50 Jahre Nachbarschaftshilfe Garching:"Die Gussform des sozialen Engagements"

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50 Jahre Nachbarschaftshilfe wurden in Garching mit vielen Darbietungen im Bürgerhaus gefeiert. (Foto: Katherine Hepperle-Parker/oh)

Die örtliche Nachbarschaftshilfe war vor 50 Jahren die erste im Landkreis. Die demografische Entwicklung stellt sie vor neue Herausforderungen.

Von Gudrun Passarge, Garching

Was wäre Garching ohne seine Nachbarschaftshilfe? Gäbe es dann die Spielgruppen für Säuglinge, den Kinderclub, die Kindertagespflege, die Mittagsbetreuung, das Betreute Wohnen, die Aktivierungsgruppe für Menschen mit Demenz, den Hospizkreis, das offene Seniorencafé?

Das sind nur einige Beispiele, wie sich die Nachbarschaftshilfe in der Stadt engagiert. Ein Engagement, das über 50 Jahre gewachsen ist. Für die Garchinger Nachbarschaftshilfe - die erste im Landkreis - war das ein Grund zu feiern, mit Darbietungen, vielen Ehrungen und gutem Essen. Stellvertretend für alle, die von diesem Einsatz direkt oder indirekt profitieren, "letztlich wir alle", sprach Bürgermeister Dietmar Gruchmann (SPD) beim Festabend am Freitag im Bürgerhaus seinen Dank aus.

Garching im Jahr 1969 war noch sehr dörflich strukturiert, aber durch starken Zuzug geprägt. Zum einen kamen viele Mitarbeiter der neuen Forschungsinstitute in die Gemeinde, zum andern auch viele Gastarbeiter, erinnert sich der damalige Pfarrer Klaus Rückert. Er zog als 25-Jähriger von Nürnberg nach Garching, es war seine erste Pfarrstelle und er war der erste evangelische Pfarrer in Garching. "Die Idee war, möglichst viele ins Boot zu holen", sagt er rückblickend zu der Initiative, die zur Gründung der Nachbarschaftshilfe in Garching geführt hat.

Die Frauen in der Gemeinde hatten von dem Sozialdienst in Unterpfaffenhofen-Germering gehört und schnell stand fest: "So was brauchen wir auch." "Und das war auch wirklich nötig", sagt Gründungsmitglied Gisela von Woyna. Sie selbst half beispielsweise in Familien aus, deren Mütter durch Krankheit oder Kur ausfielen, und sie nennt noch einen Nebeneffekt: "Wir jungen Frauen - damals neu in Garching - waren glücklich, Kontakt zueinander aufzunehmen und einer sinnvollen Tätigkeit nachgehen zu können." Vielleicht war das auch der Grund, warum sich gleich am Gründungsabend im Gasthof Neuwirt 70 Mitglieder einschrieben.

Man wollte etwas für die Bürger

Der Sozialdienst, wie die Nachbarschaftshilfe anfangs noch hieß, kümmerte sich jedoch nicht nur um die Familien und richtete den Kinderpark ein, sondern es gab auch Angebote für die Gastarbeiter im Ort. Pfarrer Rückert berichtet von Sprachkursen und gemeinsamen Veranstaltungen. Er schildert auch die bewusste Entscheidung, unter das Dach des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands zu gehen und nicht der Diakonie, was ihm in der eigenen Kirche Kritik einbrachte. "Aber wir wollten keinen konfessionellen Verein, sondern etwas für alle Bürger."

Was gelungen ist, obwohl es im katholisch geprägten Garching anfangs gar nicht so einfach war, wie Woyna berichtet. Aber der neue Verein etablierte sich und es gab eine gute Zusammenarbeit mit den bestehenden Organisationen. Heute ist die Nachbarschaftshilfe mit ihren fast 800 Mitgliedern, mit ihren 72 festangestellten und mehr als 150 ehrenamtlichen Helfern nicht mehr aus der Stadt wegzudenken.

Bürgermeister Gruchmann nannte diese Form der Hilfe am Nächsten "die Gussform sozialen Engagements", die zum sozialen Frieden in der Gesellschaft beitrage, auch weil sie institutionelle staatliche Defizite ausgleiche. Die Nachbarschaftshilfen im Landkreis hätten 652 000 Arbeitsstunden im vergangenen Jahr erbracht. Allein die Garchinger haben dazu 52 803 Stunden beigetragen. Davon wurden 3181 Stunden rein ehrenamtlich geleistet. Landrat Christoph Göbel (CSU) bescheinigte der Nachbarschaftshilfe denn auch in seiner schwungvollen Rede, "wirtschaftlich Unglaubliches" zu leisten.

Die Vorsitzende Angelika Faschinger betonte, dass sich der Verein nach 1995 unter Vorsitz von Åsa Gless zu einem mittelständischen Unternehmen entwickelt habe. 2010 zählte der Verein bereits 700 Mitglieder, 2018 hat die Nachbarschaftshilfe mehr als 1,7 Millionen Euro für Projekte ausgegeben. Bei der großen Anzahl an handelnden Personen und den vielen Angeboten braucht es Platz. Da trifft es sich gut, dass Bürgermeister Gruchmann in seiner Rede noch einmal darauf hinwies, dass eine räumliche Erweiterung in Sicht ist. Wenn das Bürgerhaus fertig ist und die Bücherei ihre Büros über der Gastwirtschaft beziehen kann, können die Mitarbeiterinnen der Nachbarschaftshilfe wiederum die Verwaltungsräume der Bücherei dazu nehmen.

Herausforderung Demografie

Zumal die Nachbarschaftshilfe noch viel vor hat. Faschinger sagte, nicht zuletzt wegen der demografischen Entwicklung stehe der Verein vor großen Herausforderungen. Die Vorsitzende betonte, es seien Service- und Kompetenzzentren nötig, die den Menschen im Ort zur Verfügung stünden. Sie kündigte auch an, Konzepte zur Versorgung älterer Menschen auszuarbeiten und bestehende Strukturen auszubauen, damit die Senioren ihrem Wunsch gemäß so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden bleiben könnten. Gerade in diesem Bereich bescheinigte der Landrat der Nachbarschaftshilfe große Leistungen, ohne die sich Senioren diesen Wunsch nicht erfüllen könnten.

Er forderte die Einrichtungen auf, zu bleiben wie bisher. Bei aller Professionalisierung hätten sie es geschafft, sich die ehrenamtlichen Strukturen zu erhalten, "eine Vereinsstruktur, die Gold wert ist".

© SZ vom 18.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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