Kulturstrand:Wo die Hochhausdebatte in den Sand gesetzt wird

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Harte Arbeit am Bau: Nur zwei Stunden haben die Teilnehmenden Zeit, um die perfekte Burg zu formen. (Foto: Mark Siaulys Pfeiffer)

Wer baut Münchens beste Sandburg? Am Kulturstrand treten die Mini-Architekten gegeneinander an, die Veranstalter haben eigens Profi-Sand anliefern lassen. Und manch hoher Turm lässt die Jury grübeln.

Von Caroline Drees

Svetislav Zdravkovic pinselt ein paar Sandkörner vom Rücken seiner Riesenkraken. Er kneift die Lippen zusammen, verschiebt den kleinen Campinghocker ein Stück nach rechts und greift zu einem Spachtel. "Ich mache das eigentlich nur im Urlaub", sagt der 49-Jährige ITler. Aber dann hat er das Plakat zum Sandburgen-Wettbewerb des Kulturstrandes gesehen, machte spontan an diesem Donnerstag früher Feierabend und fuhr an die Corneliusbrücke: "Ohne, dass mein Chef davon weiß", sagt er. "Heute ist Urlaubsfeeling."

Mit Strohhut auf dem Kopf und barfuß hockt er sich jetzt auf eine Fußmatte und formt ein Schiff, das die Krake angreift. Zdravkovic ist Profi, er und zwei andere Teams eifern in dieser Kategorie um den Preis für die beste Sandburg. Die 13 anderen Teams laufen außer Konkurrenz zu den Profis: In ihnen bauen vor allem kleine Kinder und ihre Familien.

Svetislav Zdravkovic ist Sandbau-Profi: Seine Riesenkrake sieht so lebensecht aus, als sei sie gerade dem Meer entstiegen. (Foto: Mark Siaulys Pfeiffer)

Zum ersten Mal seit der Corona-Pandemie findet der Wettbewerb wieder statt. Ins Leben gerufen hatten ihn 2016 die Architektin Regine Geibel und der Geschäftsführer des Kulturstrands, Benjamin David. Sie beide sind Teil der siebenköpfigen Jury. David sagt: "Architekten ist es sehr wichtig, junge Leute möglichst früh an die Architektur zu führen." Der Kulturstrand-Chef ist selbst ein Sandburgenfan: Kaum ein Urlaub, in dem er nicht mit seinen drei Söhnen am Strand baut. Kaum eine Reise, von der er nicht Sand im Glas mitbringt, einmal hat er mit seinen Kindern aus dem gesammelten Urlaubssand eine Burg gebaut, mit allen möglichen Schattierungen.

Und natürlich hat Benjamin David auch darauf geachtet, dass das geeignete Baumaterial zum Wettbewerb an den Kulturstrand kam. Er habe am Morgen acht Tonnen Sandburgen-Spezialsand liefern lassen, erzählt er. "Mit dem werden sonst nur Autobahnen oder Konzertsäle gebaut, der ist super für die Statik."

Nur beste Materialien für die Präzisionsarbeit: Die Konsistenz des Sandes erlaubt eine gute Statik. (Foto: Mark Siaulys Pfeiffer)

Um einen Tag musste der Wettbewerb verschoben werden, das Wetter war schuld, dafür nehmen nun mehr Gruppen teil als ursprünglich geplant. Die Sonne knallt, in orangefarbenen und blauen Liegestühlen fläzen sich Menschen mit Sonnenhüten, aus Boxen trudelt Hip-Hop-Musik. Und die Burgenbauer bauen, was das Zeug hält. In Schubkarren und Pappkartons schaffen sie kiloweise Sand heran. Schweißtropfen wackeln an Nasenspitzen, Jeanshosen haben ausgebeulte, sandige Knie. Arme stecken bis zur Achsel in Sandtunneln. Neben den Sandhaufen liegt allerlei Gerät: Löffel, Messer, ein Sektglas ohne Stiel, Pfannenwender, Plastikeimer, Tapezier-Werkzeug, Sprühflaschen mit Wasser. Manche Teams haben sogar buntes Farbpulver dabei und Discokugel-Scherben. Zwei Stunden haben sie, um die beste Burg zu erschaffen.

Für die Burg haben Marion Altmann und ihre Kinder Äste, Muscheln und Steine gesammelt, Playmobilfiguren mitgebracht. Auch eine Freundin der Mutter hat sich dem Team angeschlossen. (Foto: Mark Siaulys Pfeiffer)

Hinten in der Ecke unter dem Baum werkelt Marion Altmann mit ihren zwei Kindern und ihrer Freundin an einem Schloss, dessen Türme an die des Kölner Doms erinnern. Altmann hebt einen Teich aus, legt ihn mit einer Plastiktüte aus und bepflanzt das Ufer mit Moos. "Ich glaube, ich habe gerade mehr Spaß als meine Kinder, das ist mein Perfektionismus", sagt sie. "Wir tun nix, wir wollen nur spielen", so hat Altmann ihr Team genannt: "Unser Name ist Programm, egal was rauskommt, am Ende haben wir eine coole Burg", sagt die Mutter. "Wir bemühen uns zumindest." Das Team kam vorbereitet, sie haben Äste, Muscheln und Steine gesammelt, Playmobilfiguren mitgebracht: "Das ist im Urlaub auch immer so, die drei sammeln Material und bauen dann den ganzen Nachmittag", sagt Kathi Großalber, Altmanns Freundin.

Nach etwa eineinhalb Stunden, um 17.30 Uhr, trifft nach und nach "Münchens kritischste Jury" ein, wie Kulturstrand-Chef Benjamin David sie nennt. Unter anderem bewertet Stadtbaurätin Elisabeth Merk die sandigen Gebilde. Mit Sonnenbrillen vor den Augen und Getränken in der Hand bahnen sie sich ihren Weg durch rennende Kinder und schwitzende Eltern.

Eine Gruppe nach der anderen stellt ihr Kunstwerk vor, Kinderstimmen krähen in ein quietschendes Mikro. Die sechsjährige Alma Henniger möchte später Paläontologin werden, sie hat eine Dino-Burg gebaut. "Auf dem Turm landen die Flugsaurier, unten schlafen sie", erklärt sie. Heute morgen hat sie extra eine Fahne und eine Girlande bemalt. "Ich liebe Sandburgen."

Eine andere Gruppe hat eine Unterwasserwelt gebaut, die Schwanzflosse des Wals bröckelt etwas. "Da könnte vielleicht etwas Injektionsmörtel rein", sagt Thomas Beck, Jurymitglied und Statiker. Eine Burg lobt die Jury als vorbildlich barrierefrei, der Aufstieg zum Turm führt über eine Rampe. Bei einer anderen diskutiert die Jury lebhaft, ob eine solche Burg nach Münchner Bauvorschrift zulässig wäre: Die Türme sind doch sehr hoch geraten.

Wer sammelt die meisten Schirmchen? Die Jury begutachtet jedes Bauwerk äußerst kritisch. (Foto: Mark Siaulys Pfeiffer)

Mit bunten Papierschirmchen gibt die Jury nun ihre Stimmen ab. Sie macht es spannend, in vielen Bauten stecken drei oder vier Schirmchen. Kinder umschwärmen die Begutachter, ringen um ihre Gunst. "Kannst du da noch einen Schirm reinstecken?", fragt ein Junge.

Und schließlich verkündet Benjamin David das Ergebnis: "Wir wissen jetzt, wer die besten Architekten der Stadt sind." Den ersten Platz teilen sich mit jeweils fünf Punkten eine Dino-Burg und die Gruppe "Sandwürmer". Svetislav Zdravkovic lobt die Kommission für seine bildhauerischen Fähigkeiten und küren ihn zum Sieger in der Profi-Kategorie.

Zdravkovic sammelt seine Spachtel und Schaufeln wieder ein, die er an andere Teams verliehen hatte. "Meine Familie schimpft immer mit mir. Wenn es irgendwo Sand gibt, dann verschwinde ich für mehrere Stunden."

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