Kommentar:Spekulation sogar im Armenhaus

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Es ist ein gutes Signal, dass die Stadt Mieter im Münchner Norden durch Ausweitung der Erhaltungssatzung schützen will. Die Tatsache jedoch, dass es auch dort schon erforderlich ist, sollte ein Alarmzeichen sein

Von Thomas Kronewiter

Alte Heide, Milbertshofen, Moosach, Schwabing. Die Gentrifizierung rauscht durch die Stadt, Erhaltungssatzungsgebiete wandern zunehmend dem Stadtrand entgegen, im Münchner Norden ist dieser Effekt sehr deutlich abzulesen. In den gehypten Innenstadt-Vierteln sind die Regelwerke, die einer Vertreibung der angestammten Bevölkerung entgegenwirken sollen, in den vergangenen Jahren stellenweise schon gar nicht mehr verlängert worden. Weil man dort mitunter gar nichts mehr retten kann - da die Menschen entweder schon vertrieben sind oder weil es nichts mehr an den Wohnungen aufzuwerten gibt, inklusive des dann gewöhnlich fälligen Aufschlags bei der Miete.

Insofern ist die nun anstehende weiträumige Verlängerung von Erhaltungssatzungsgebieten eine zweischneidige Angelegenheit. Für die Betroffenen ist es eine gute Nachricht, weil der Schutz - so lückenhaft er sein mag - für sie einen weiteren Zyklus lang gilt. Für die Stadtgesellschaft schwingt eine durchaus problematische Botschaft mit, weil das Mietpreisgefüge am Wohnort München sichtlich immer weiter unter Druck gerät - selbst in Bereichen, die man noch vor wenigen Jahren als vollkommen unverdächtig eingeschätzt hätte. Wenn nun also große Teile des einstigen Münchner Armenhauses, der Arbeiterviertel des Nordens, in den Fokus von Spekulanten geraten sind oder zu geraten drohen, sieht man, wie weit die Gentrifizierung schon gediehen ist. Und man kann die Verlagerung der Erhaltungssatzungsgebiete noch weiter in Richtung der Stadtgrenze geradezu vorausahnen.

Dabei brauchen nun offenkundig auch solche Wohnquartiere den Schutzstatus, die man als gehoben bürgerlich, mit sehr ordentlicher Bausubstanz und im Hinblick auf das Zusammenleben eher unauffällig kannte. Dass das Berliner Viertel auf Schwabinger Flur durchaus eine ganze Reihe geförderter Wohnungen hat, erweist sich nun als spätes Problem. Die Situation zeigt zudem nicht zum ersten Mal die begrenzte Schutzwirkung zeitlich befristeter Sozialbindungen.

Diese wenigstens möglichst lange zu strecken, hat die Politik inzwischen als erstrebenswertes Ziel erkannt. Den Menschen, die jetzt Investoren-Begehrlichkeiten zu gewärtigen haben, hilft diese Erkenntnis nicht viel. Immerhin kann die Aufnahme als Erhaltungssatzungsgebiet womöglich eine krasse Gentrifizierung wie vor Jahren im Wilhelm-Hertz-Block verhindern oder wenigstens verzögern.

© SZ vom 26.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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