Notfalleinsätze, Schichtdienste am Wochenende, Nachtdienste auf der Tier-Intensivstation: Ist das noch Ausbildung oder schon Arbeit? Und das alles offenbar häufig für etwas mehr als zehn Euro im Monat. Junge Tierärzte in München klagen über die Arbeitsbedingungen für Doktoranden an der Medizinischen Kleintierklinik der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU). Mittlerweile liegt den Behörden eine anonyme Anzeige vor; folgt man den darin erhobenen Vorwürfen, dann verstößt die Tierklinik womöglich gegen das Mindestlohngesetz.
Ein Doktorand hat sich in der vergangenen Woche in einem Brief an die Zollverwaltung, an Bundesministerien, Gewerkschaften und Medien über die mutmaßlich "sittenwidrigen Arbeitsumstände der meisten Tierärzte" an der LMU-Kleintierklinik beschwert. Der Brief ist anonym, weil der Autor nach eigenem Bekunden die Bedingungen selbst akzeptiert hat, um an der Klinik promovieren zu können. Er befinde sich nun in einem "moralischen Dilemma", schreibt er; denn abfinden will er sich mit den Verhältnissen nicht, auch um "künftigen Generationen junger Tierärzte solche Bedingungen zu ersparen".
Arbeitszeit wird nicht dokumentiert
Mit diesen "Bedingungen" ist gemeint, dass Doktoranden laut dem Brief unter der Woche täglich anwesend sein müssen, zum Teil auch dann, wenn sie eigentlich an ihrer Dissertation arbeiten sollten. Ihre Arbeitszeiten würden nicht dokumentiert, heißt es da. Bezahlt würden sie meistens nur mit etwas mehr als zehn Euro im Monat. In wenigen Teams gebe es monatlich wenigstens bis zu 451 Euro, auch das aber entspreche nicht dem Mindestlohngesetz, klagt der Schreiber. Gerechtfertigt würde dies von der Universität damit, dass die Arbeit der Doktoranden Teil der klinischen Ausbildung sei. Tatsächlich aber handle es sich um Anstellungen als Assistenztierärzte. Im Grunde müsse "die Lizenz, eine Doktorarbeit in der Klinik anfertigen zu dürfen, durch unbezahlte Arbeit in der Klinik erkauft werden", heißt es in dem Brief.
Prozess um LMU-Dozent:Unbefristet zurück
Als Lecturer bringt er Erstsemestern die Grundlagen bei - und hat kaum Zeit für Forschung: Sieben Verträge hatte ein Dozent der LMU in den vergangenen sechs Jahren, dann schasste ihn die Hochschule. Damit wollte er sich nicht abfinden - und bekam Recht.
Von der Universitätsleitung heißt es dazu lediglich, die Vorwürfe seien bekannt und würden nun intern geprüft.
Doch das Problem ist nicht neu. In den vergangenen Jahren haben junge Tierärzte auch außerhalb Münchens immer wieder auf prekäre Arbeitsbedingungen während der Promotion aufmerksam gemacht - und auch danach. Denn wegen der geringfügigen Bezahlung an den Universitäten sei auch das Lohn-Niveau an privaten Tierkliniken häufig schlechter geworden. Anfangsgehälter lägen oft unter 2000 Euro brutto im Monat, sagt ein Münchner Tierarzt. Wer jahrelang für wenige hundert Euro gearbeitet habe, der gebe sich eben auch nach der Promotion mit wenig Geld zufrieden. Einen flächendeckenden Tarifvertrag für Assistenztierärzte gibt es nicht.
Schwierige Rechtslage
Am 1. Januar aber ist das Mindestlohngesetz in Kraft getreten. Es sieht eine Minimalvergütung in Höhe von 8,50 Euro je Stunde vor. Nur: Ob es auch auf Doktoranden in einer Uni-Tierklinik anwendbar ist, das ist unklar. Das Gesetz gilt zwar explizit auch für Praktikanten; darunter fallen alle, die für begrenzte Zeit beschäftigt werden, um sich so auf ihren Beruf vorzubereiten. Auch ein Veterinärmediziner, der bereits die tierärztliche Prüfung bestanden hat, kann demnach Praktikant sein. Für Pflichtpraktika aber, die zum Beispiel aufgrund einer "hochschulrechtlichen Bestimmung" absolviert werden, macht das Gesetz eine Ausnahme: Hier muss kein Mindestlohn gezahlt werden. Das Bayerische Hochschulgesetz von 2006 verweist nun auf die Promotionsordnungen der Universitäten - und an der Tierärztlichen Fakultät der LMU sieht diese Ordnung den Nachweis über eine mindestens zweijährige Tätigkeit an einer Einrichtung der Fakultät vor. Das gilt aber lediglich für künftige Doktoren der Tierbiologie, nicht der Tiermedizin.
Mindestlohn:Geschummelt, gestrichen, gemogelt
Arbeitgeber schimpfen, Vereine fühlen sich bedroht, Taxifahrer ärgern sich - und viele Angestellte sind begeistert. Einen guten Monat nach Einführung des gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro ist es Zeit für eine erste Bilanz.
Was gilt nun für die LMU-Veterinäre? Nach Interpretation des Bundesarbeitsministeriums muss der Arbeitgeber im Einzelfall belegen, dass er eine Ausnahme vom Gesetz machen darf. Aber was genau dafür nötig ist, dazu macht das Gesetz keine näheren Angaben. Der Zoll, dessen Abteilung "Finanzkontrolle Schwarzarbeit" die Einhaltung des Mindestlohns überwacht, will sich nicht festlegen; er verweist auf die Staatsanwaltschaft. Und die teilt lediglich mit, sie führe in dieser Angelegenheit derzeit kein Ermittlungsverfahren.
Die Bezahlung ist "unmöglich"
Ob Mindestlohn oder nicht, in jedem Fall bringe es wenig, Schuld zuzuweisen, sagt Leopold Deger. Der Tierarzt ist Doktorand an der LMU-Klinik für Wiederkäuer in Oberschleißheim und Vorsitzender des Vereins "Vetdocs", der Interessenvertretung der Doktoranden an der Tierärztlichen Fakultät der LMU. Er selbst fühle sich gut betreut, seine Promotion sei ein großer Gewinn, sagt er. Seine halbe Stelle wird nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst vergütet.
Aber aus zahlreichen Gesprächen kennt er die Sorgen seiner Kollegen an der Medizinischen Kleintierklinik - da hat er auch von den Zehn-Euro-Verträgen erfahren. Sein Verein rät den Doktoranden zuweilen dazu, die Promotion abzubrechen. Die Bezahlung an der Klinik nennt Deger "unmöglich". Er sagt aber auch: Die Bedingungen seien jedem Doktoranden von Anfang an bekannt, in den Vorstellungsgesprächen werde die Gehaltsfrage deutlich thematisiert; zudem sei auch die Weiterbildung Geld wert. Und die Klinik stehe vor einem Dilemma: Ihr Etat ist begrenzt; würde sie mehr bezahlen, könnte sie weniger Doktoranden annehmen. Eine Lösung müsse langfristig aus der Politik kommen, fordert Deger: Die Kliniken bräuchten mehr Geld - und es müsse verbindliche Standards geben.