Klavierkonzert:Balance zwischen Poesie und Passion

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Alexander Gadjiev kostet die emotionalen Sphären von Chopins Musik aus. (Foto: Andrej Grilc)

Alexander Gadjiev mit einem bewegenden Chopin-Abend in der Münchner Allerheiligen-Hofkirche.

Von Klaus P. Richter

Reine Chopin-Konzerte sind selten geworden. Man huldigt dem Gott der absoluten Klavierkunst meistens nur mit Einlagen und Zugaben, vielleicht weil die Gestaltung eines so eigenen Klangidioms umso mehr Differenzierung verlangt. Vielleicht auch, weil es weniger Exerzierplatz für Virtuosentum ist als mehr exquisite Balance zwischen poetischer Feinkost und tiefsinniger Passion. Damit stach Chopin schon in seiner Zeit aus dem pianistischen Milieu heraus, über das Heinrich Heine bissig bemerkte, dass die reisenden Klaviervirtuosen Paris jeden Winter überfielen wie Heuschreckenschwärme.

Wenn sich Alexander Gadjiev an seinem Abend in der Allerheiligen-Hofkirche zuerst auf die Nocturnes einlässt, dann sucht er diese Balance. Dabei entfaltet der italienisch-slowenische Künstler mit russischen Wurzeln aber weniger den morbiden Umbra-Zauber als ruhige Gelassenheit. Nur in den bewegteren Mittelteilen von Chopins dreiteiliger Architektur der Stücke entfesselt er etwas Dramatik, besonders eindrucksvoll im c-Moll Nocturne aus opus 48.

Auch in den sechs Mazurken gab es weniger "masurischen" Tanzfuror, man erlebte vielmehr wie Chopin die pointierte Volkstanzrhythmik in seine eigene, rhythmisch und harmonisch komplexe Faktur verwandelt. Dabei gelang es Gadjiev besonders die cis-Moll-Sphäre zweier Mazurken auszukosten. Cis-Moll und Verwandlung auch im Scherzo aus opus 39, wo sich die Scherzo-Idee der klassischen Sonate zu dialektischen Wechselspielen zwischen Tranquillo-Ruhe und Presto-Unruhe überhöht, bis Gadjiev schließlich im tosenden Fortissimo von Doppeloktaven und mächtigen Akkordkaskaden seine russische Seele offenbarte.

Das Flair des exquisiten Chopin-Zaubers entstand dann aber erst mit zwölf Préludes aus opus 28. Obwohl an Bachs Wohltemperiertem Klavier orientiert, das Chopin auswendig beherrschte, sind sie doch viel mehr als dessen Evokation der Tonarten als Seelenräume, nämlich eigenwillige Individuen expressiver Ausdruckssuche. Gadjiev horcht sie genau aus und verleiht ihnen damit einen Rang jenseits aller Belletristik. Das letzte in g-Moll war mit seiner fulminanten Leidenschaft, erinnernd an die "Revolutionsetüde", vor allem aber den tosenden Schluss-Ausbrüchen, die perfekte Überleitung zum Prunkstück des Abends, der Polonaise-Fantaisie As-Dur aus opus 61. Gadjiev fantasiert hier mit Chopin in den vielen wechselnden Episoden, bis er im Glanz des Finales wieder ganz sein russisches Temperament demonstrierte. Zwei Zugaben, die letzte als eine Improvisation in pastellfarbigem Klangkolorit.

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