Neuer Ausbildungsweg:Mit Express-Schulung schneller in den Hort

Lesezeit: 3 min

  • Fast zehn Prozent der Stellen für Erzieherinnen seien derzeit nicht besetzt, heißt es von der Stadt.
  • Nun wird eine nur zweijährige Ausbildung angeboten, mit der man im Hort arbeiten kann.
  • Die "Fachkräfte für Grundschulkindbetreuung" könnten sich dann später weiterbilden.

Von Jakob Wetzel, München

Plätze gebe es jetzt schon nicht genug, sagt Sylvia Künzner. Doch nun spitze sich die Lage noch einmal zu. Künzner leitet die "Casa Don Bosco", ein Haus für Kinder an der Auerfeldstraße im Münchner Stadtbezirk Au-Haidhausen. Als Eltern im August 2013 einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für ihre ein- bis dreijährigen Kinder erhielten, seien viele Krippenplätze geschaffen worden, erzählt sie. Spätestens jetzt aber würden diese Kinder in die Grundschulen drängen. "Die Horte sind aber nicht ausgebaut worden", sagt Künzner. Und einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung soll es für Grundschülerinnen und Grundschüler zwar auch geben, aber erst 2025.

Die Leidtragenden sind die Eltern. Künzner muss vielen absagen. Sie berichtet von weinenden Müttern, die fürchten, dass sie ihren Beruf aufgeben müssen. Dabei habe doch während der Krippen- und der Kindergartenzeit ihrer Kinder alles geklappt. Und sie erzählt von Familien, die nach München ziehen wollten, jetzt aber doch fernbleiben, einfach weil sie keinen Hortplatz gefunden haben. Das Problem, sagt Künzner, sei vor allem das mangelnde Personal. "Wir suchen laufend", sagt sie. Doch es fehlen Erzieherinnen und Erzieher.

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Die Münchner Arbeitsagentur, der Freistaat Bayern, mehrere Fachakademien für Sozialpädagogik sowie die Träger von Kindertagesstätten gehen nun einen neuen Weg, um die Personalnot zu lindern: Ab September soll ein neuer Ausbildungsweg erprobt werden. Bis zum Abschluss soll es hier nicht mehr fünf Jahre dauern wie bei der regulären Ausbildung zur Erzieherin, sondern nur zwei; ein Jahr davon wird bezahlt. Die ersten Kurse sollen an der städtischen Fachakademie für Sozialpädagogik an der Schlierseestraße beginnen sowie an derjenigen der Armen Schulschwestern am Mariahilfplatz in der Au. Beide Fachakademien suchen jetzt Bewerber.

Trotz der Zeitersparnis solle es keine Abstriche an der fachlichen Qualität geben, betont Christine Hefer vom Kultusministerium. Stattdessen sollen sich die Schülerinnen auf Grundschulkinder spezialisieren. Was Erzieherinen sonst über die Betreuung von Kleinkindern oder von jungen Erwachsenen lernen, fällt weg. Als "Fachkräfte für Grundschulkindbetreuung" sollen die Absolventinnen nur in Horten, Mittagsbetreuungen oder Ganztagsschulen arbeiten - oder sich, wenn sie wollen, später zur kompletten Erzieherin weiterbilden.

Es ist nicht der erste Versuch, den Einstieg in den Beruf der Erzieherin zu erleichtern. Bereits seit 2016 gibt es ein Ausbildungsmodell mit "optimierten Praxisphasen" ("Optiprax"). Je nach Vorbildung wurde hier die Ausbildung auf drei Jahre verkürzt. Daneben gibt es verschiedene Fortbildungen, die einen schnellen Einstieg versprechen, sich aber schlecht bewährten, sagt Sylvia Künzner: Viele Absolventinnen seien in der Praxis überfordert und sprängen wieder ab.

Die neue Ausbildung solle nun vor allem Quereinsteiger ansprechen, sagt Wilfried Hüntelmann, Chef der Münchner Arbeitsagentur. Er denke an Arbeitslose, die bereits viele Kompetenzen mitbringen, es sich aber nicht leisten können, für fünf Jahre nichts zu verdienen. Für sie wolle man eine Brücke schlagen "in einen tollen und zukunftssicheren, aber auch anspruchsvollen Beruf". Es gebe viele offene Stellen, und diese würden nicht weniger, im Gegenteil.

Wie viele Erzieher speziell im Hortbereich fehlen, lässt sich nur überschlagen. Für stadtweit knapp 43 000 Schüler an den staatlichen Grundschulen existieren derzeit etwas mehr als 35 000 Betreuungsplätze, das entspricht einem Versorgungsgrad von 79 Prozent. In den etwa 430 städtischen Kindertagesstätten arbeiten insgesamt knapp 5000 Menschen in der Betreuung, ein knappes Drittel davon mit Grundschulkindern. Fast zehn Prozent der Stellen für Erzieherinnen seien derzeit nicht besetzt, heißt es von der Stadt. Und der Bedarf werde zunehmen, sagt Hüntelmann. 2025 komme ja der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschüler. Dann würden mehr Fachkräfte gebraucht.

"Ich weiß, dass es ein Knochenjob ist"

Für die Fachakademien drängt die Zeit freilich schon jetzt. Entwickelt wurde die neue Ausbildung erst in den vergangenen Monaten, und bereits im September sollen die Kurse beginnen, geplant sind zwei Klassen mit jeweils 16 Schülerinnen und Schülern. Und bis September müssen die Interessenten noch ein sechswöchiges Praktikum bei Grundschulkindern nachweisen. Man könne erst seit Ostern über das Konzept informieren, sagt Schwester Gisela Hörmann, Schulleiterin der Fachakademie der Armen Schulschwestern. Aber das Interesse sei da, und es wachse.

Eine der ersten Bewerberinnen für die neue Ausbildung ist Judith Tukacs. Die 40-jährige gelernte Gymnasiallehrerin ist vor Jahren aus Budapest nach München gezogen. Hier mache sie sich keine Hoffnungen auf einen Job als Lehrerin, sagt sie. Zuletzt arbeitete sie für deutsch-ungarische Firmen. Vor zwei Monaten aber meldete ihr Arbeitgeber Insolvenz an. Jetzt hat sich Tukacs bei der Fachakademie der Armen Schulschwestern eingeschrieben.

Überzeugt habe sie am Ende, dass die Ausbildung nur zwei Jahre dauern wird, sagt sie. Ohnehin habe sie immer pädagogisch arbeiten wollen. Bisher tut sie das nebenher: Ehrenamtlich betreut sie einen Grundschüler und mehrere Kindergartenkinder, sie hilft ihnen beim Deutschlernen. Und auch ein Praktikum im Hort habe sie bereits absolviert, sie wisse, was auf sie zukomme, sagt sie. "Ich weiß, dass es ein Knochenjob ist. Und dass es vollkommen andere Stresssituationen gibt als im Büro."

© SZ vom 04.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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