Kampf zwischen Rad- und Autofahrern:Pedal gegen Gaspedal

Lesezeit: 3 Min.

Die Persönlichkeit wechselt mit dem Fahrzeug: Wer sich aufs Rad oder ans Steuer setzt, wird durch eine rätselhafte Metamorphose ein anderer Mensch - und nur selten ein besserer.

Von Karl Forster

Es fällt erst beim zweiten Blick auf die Gesamtsituation auf. Aber seien wir ehrlich: Spricht man vom Radlrowdy oder seinem Pendant, dem rechthaberischen Autofahrer, dann sitzt im Sattel oder hinter dem Volant im Gedankenbild doch meist ein Mann. Und durchstöbert man die Unfallstatistiken, egal wer gegen wen, so kommen die Frauen am Lenker, egal ob Rad oder Auto, deutlich besser weg als jene, die sich eigentlich für die Herrscher alles Fahr- und Lenkbaren halten. Vielleicht ist es also nicht ganz falsch, sich zunächst auf männliche Verkehrsteilnehmer zu beschränken, wenn man sich Gedanken über die Ursachen der Aggressionen zwischen Auto- und Radfahrer und den daraus resultierenden Gefahren macht. Die paar Frauen, die sich wie Männer aufführen, seien in Kauf genommen (ebenso deren Proteste gegen eben diese Einschätzung).

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Dafür kann man die jeweilige - und austauschbare - Aversion von Auto- und Fahrradfahrern sehr viel tiefer ausloten, man lappt dabei ins Psychologische genauso wie ins Historische, ja sogar, wenn man nicht aufpasst, ins Parareligiöse. Denn schließlich wird der Schamane erst durch Schminke und diverse Rituale zum Schamanen. Der Ritter durch den Ritterschlag. Der Priester durch die Weihe. Der Held durch den Orden. Und ist es nicht so, dass, wer sich aufs Rad oder ans Steuer setzt, wie durch eine rätselhafte Metamorphose ein anderer wird, nicht unbedingt ein besserer, oft aber ein wilderer, rechthaberischer, gnadenloserer?

Ritter mit Pedalen, Kämpfer mit Stroßstange

Die Persönlichkeit wechselt mit dem Fahrzeug. Ein Ritter mit Pedalen, ein Kämpfer mit Stoßstange - es ist eine Art Initiationsritus, der sich vollzieht, wenn der zu Fuß gehende Mensch sich mit dem Zwei- oder Vierrad mobilisiert.

Der amerikanische Schriftsteller, Philosoph und Protagonist der dortigen Männerbewegung Robert Bly vertritt in seinem Buch "Eisenhans: Ein Buch über Männer" (das sich übrigens mit dem gleichnamigen Werk der Gebrüder Grimm auseinandersetzt) die These, schon die alten Mythen bewiesen die Notwendigkeit männlicher Archetypen und Verhaltensweisen zur Mannwerdung; das Kriegerische im Mann, sagt Bly, sei nicht immer destruktiv (im Umkehrschluss: Der Mann braucht die Aggression, auch am Steuer). So könnte man das Kriegerische im BMW-Fahrer oder auf dem Mountainbike erklären als gesellschaftliche Reaktion auf den Mangel an archetypischen Vaterfiguren.

Aber das ist vielleicht ein bisschen zu einfach und zu theoretisch. Denn den BMW-Fahrer mit den das Klischee prägenden Eigenschaften gibt es ja nicht erst, seit die ach so fürsorgliche Vätergeneration am Wickeltisch steht. Das Klischee stammt aus jener Zeit, in der das Auto auch in der Großstadt noch Potenzometer war; in der ausgebeulte Kotflügel, tiefer gelegtes Fahrwerk und Doppelrohrauspuff für Fortpflanzungsfähigkeit und - noch mehr - Coituswilligkeit standen.

Sie mögen sich einfach nicht, die Rad- und die Autofahrer. Hier, in der Dienerstraße in München, kommen sie sich immer wieder in die Quere. (Foto: Stephan Rumpf; Stephan Rumpf)

Später folgte ähnliche Aufrüstung beim Fahrrad. Heute hält sich solch Gebaren meist nur noch auf einigen ländlichen Inseln. Aber bei Fahrern eines Dodge Ram Heavy Duty 2500 ist es immer noch üblich, an der Anhängerkupplung eine Art übergroßen silbernen Hodensack der staunenden Umwelt zu präsentieren. Man sieht hier seltener Frauen am Steuer.

Weniger geschlechtsspezifisch ist die Feindschaft zwischen Zwei- und Vierradlern, die sich oft um 180 Grad dreht, wechselt der Bicyclist ans Volant und umgekehrt (was übrigens sehr für die Wirkung des Initiationsritus spricht). Aber es stammt doch ein Großteil dieser in Klischees gebündelten Einschätzungen aus jener Vergangenheit - siehe oben - , in der die Porsches und BMWs noch echte PS-Dominanz hatten und nicht vor einem Audi A6 zittern mussten. Heute ist ein Großteil der Durchschnittslimousinen so stark motorisiert, dass Grenzerfahrungen und Kampf gar nicht mehr so arg nötig sind.

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Es macht sich, so eine ausführlichere, wenngleich beileibe nicht repräsentative Umfrage, der Eindruck breit, als zöge etwas Entspannung ein auf Münchens Straßen. Entspannung zwischen Auto und Auto vor allem, aber auch zwischen Auto und Fahrrad. Das Einfädeln vor Baustellen am Ring, einfacher Fahrbahnwechsel auf Handzeichen, und, ja auch, Rück-Sicht im wahrsten Wortsinne auf die Radwege und deren Benutzer sind keine Ausnahmen mehr.

Deppen auf den Straßen gibt es noch genug

Woran das liegt? Vielleicht greift ja Vernunft um sich. Vielleicht ist es aber auch Angst: Angst vor der Zukunft; Angst davor, dass Unvernunft am Steuer und eine dadurch bedingte Unfallhäufigkeit Forschung und Technologie zu weiteren Anstrengungen in Richtung voll automatisiertes Auto vorantreiben. Die Furcht, die Herrschaft übers Auto zu verlieren, könnte uns also zu besseren Autofahrern machen nach dem Motto: Schaut her, geht doch!

Doch keine Angst, Deppen auf den Straßen gibt es noch genug. Wer Anschauungsunterricht sucht, befahre wochenends ein paar Mal den Schäftlarner Berg. Dummdreistere Radler finden sich kaum in dieser Masse sonstwo. Und gerade am Wochenende gibt es ihn noch in der Stadt, den Kampf zwischen Zwei- und Vierrad, zwischen Pedal- und Gaspedalritter. Dann herrscht nicht Berufs- sondern Freizeitverkehr. Und da pressiert's schließlich.

© SZ vom 30.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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