Konzertreihe:Minimalistisch zur Glücksekstase

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70-Minuten-Rausch: Mitglieder der Münchner Philharmoniker bei der Generalprobe von "Feminine". (Foto: Robert Haas)

Das Münchner Lenbachhaus beginnt mit seiner Hommage an den grandiosen amerikanischen Komponisten Julius Eastman.

Von Reinhard J Brembeck, München

Überall im Raum verteilt finden sich schwarze große Sitzkissen, ach was, das sind eher Liegekissen, so kuschelig sind sie und werden den glücklichen Besuchern, die eines davon ergattern können, die folgenden siebzig Minuten grandioser Musik noch beseligender machen. Bei der Generalprobe mahnt Matthias Mühling, der Chef des Münchner Lenbachhauses, der sich zusammen mit Eva Huttenlauch diese fulminante Retrospektive ausgedacht hat, dass die Feuerpolizei es strikt verboten habe, die Sitzlümmelkissen zu verschieben. Gekicher bei der Generalprobe, vor dem Konzert aber werden dann doch etliche Besucher mit einem Kissen im Schlepptau erwischt und zurückgeschickt. Denn der dem Lenbachhaus angeschlossene Kunstbau direkt über einer U-Bahnstation, die ein- und ausfahrenden Züge liefern einen grummelnden Kontrapunkt zur Musik, ist vor allem sehr lang, weshalb viele der Neugierigen kaum in der Nähe der mittig platzierten zehn Münchner Philharmoniker und Philharmonikerinnen zu sitzen, zu liegen kommen.

Am U-Bahn-Eingang und an den Litfaßsäulen der Stadt ist derzeit riesig ein suggestives Schwarz-Weiß-Foto plakatiert, es zeigt einen schwarzen Komponisten konzentriert mit einem Filzschreiber an einer Partitur arbeitend. Das Foto ist 50 Jahre alt, sieht aber aus wie gestern geschossen und zeigt Julius Eastman, der 1990 obdachlos verarmt mit knapp 50 Jahren starb. Gerade wird Eastman und seine Musik wiederentdeckt, in München in drei Konzerten vom Lenbachhaus. Was ein Kunstmuseum mit einem Komponisten zu tun hat? Dafür ist die hier zentrale Sammlung der "Blaue Reiter"-Meister verantwortlich, der Gruppe assoziiert waren viele Komponisten, darunter Arnold Schönberg und Alban Berg.

Julius Eastman um 1969 bei der Arbeit an einer Partitur. (Foto: Donald W. Burkhardt)

Mit deutschem Expressionismus aber hatte der in New York geborene Pianist, Performer und Komponist Julius Eastman nichts im Sinn, er tendierte zum Exzessiven, zum Berauschenden, Provokativen und brillant Konstruierten. Damit aber kam er als bekennender Schwuler und zudem Schwarzer in den bürgerlich braven Avantgardezirkeln der USA nicht übermäßig gut an. Mit dem sich in buddhistische Gleichmut so apolitisch wie ästhetisch versenkenden John Cage, der Lichtgestalt jener Jahre, geriet er aneinander, als er dessen "Song Book" bei einer Performance mit Sex auflud. Cage was not amused.

Julius Eastman war ein notorischer Grenzüberschreiter. Wer erleben will, wie weit er Grenzen hinter sich lassen konnte, der höre sich die halbstündigen "Eight Songs for a Mad King" von Peter Maxwell Davies an. Hier definiert ein Ausnahmeperformer Verrücktheit und Singen neu, hier wird das Entgrenzte zur Normalität, genauso das Überschlagen der Stimme, Hochkreischen, Ausrasten, Knarzen, Drohen, Antibelcantistische, aber auch das Lockende, schlicht Schöne. Die "Eight Songs" finden sich genauso in den einschlägigen Kanälen des Internet wie Eastmans eigene Meisterstücke. Mit "Gay Guerilla", "Crazy Nigger" und "Evil Nigger", Eastman schenkt sich und seinen Publikum schon mit den Titel nichts, will er Aufmerksamkeit für seine Rolle im Leben wie in der Kunst. Aber Eastman beherrscht spielend leicht die großen Formen, in denen er Aggressivität mit Eleganz verbindet, strahlende Helle mit Verzweiflung, Drive mit Rhythmus, Abbrüche mit Ausbrüchen.

Eastman ist elegant radikaler als seine Kollegen

Im schlangenlang gebogenen Kunstbau war bis vor ein paar Tagen noch Dan Flavins "Untitled (for Ksenija)" zu sehen. Mit diesen den Raum folgenden vier Leuchtröhren in Grün, Blau, Gelb, Pink an der Decke wurde der Bau 1994 eröffnet. Jetzt erinnern bloß noch die Schienen an der Decke an Dan Flavin, neben den Musikern und Musikerinnen stehen orange Leuchtsäulen. Eastmans dazu gespieltes "Feminine" teilt Flavins Hang zum strahlenden Leuchten und zur Reduktion, es erweist sich als ein vom Publikum bejubeltes Meisterwerk der Minimal Music. Doch Eastmans Minimalismus ist ein anderer als der des zum Pop schielenden Philip Glass, des ernst politischen John Adams, des verspielt hintersinnigen Louis Andriessen oder des meditativen Morton Feldman. Eastman ist elegant radikaler als seine Kollegen: der Minimalist der Minimalisten.

Der Beginn des auf nur fünf Notenblättern notierten "Feminine" minimiert eine europäische Tradition, die auf den Beginn von Ludwig van Beethovens Neunte zurückgeht, Anton Bruckner hat das dann gern auch so gemacht. Und eben Julius Eastman. Erst kommt ein Klangwirbel, Eastman genügen ein paar Schellen, die die Musiker ans Publikum weitergegeben, der Wirbel ist dann 70 Minuten Hintergrundklang. Dann kommt im Metallophon ein einfaches Motiv: ein langer Tonwirbel plus drei Ganztonschritte nach oben. Das ist schlicht und eingängig, ein Ohrwurm. Eastman, das beweist ihn als ganz großen Komponisten, braucht nur dieses eine Motiv, um seinen 70-Minuten-Rausch zu entfesseln und am Leben zu halten. Er verzichtet auf harmonisch Harsches, kontrapunktisch Kompliziertes, rhythmisch Raffiniertes.

So entfesselt Eastman eine strahlende und zudem formal stimmige Musik. Obwohl das Grundmotiv im Grundtempo beibehalten wird, kommen nach und nach immer schneller wuselnde Stimmen dazu. Irgendwann wird nach zwei dezidiert dahineilenden Großpartien die Musik nachdenklich, ergeht sich in romantischen Reflexionen, die die die in puncto Romantik wohlerfahrenen Philharmoniker und Philharmonikerinnen besonders versonnen spielen. Nach und nach drängt sich die Vermutung auf, dass Eastman in "Feminine" eine durch und durch diesseitige spirituelle Reise komponiert hat, eine Suche nach Erleuchtung, nach Erlösung. Zuletzt wird das Grundmotiv dann immer wieder in allen zehn Instrumenten gebieterisch skandiert, dazwischen aber zerbröseln die Klänge, Glück breitet sich aus, das Ziel ist erreicht. Welches?

Eastman komponierte 1974 auch "Masculine" als Gegenstück zu "Feminine", die Partitur ist allerdings verschollen. Weshalb es schwer ist, das speziell Frauliche in "Feminine" zu bestimmen. Doch die Titel bei Eastman sind nicht bloß Provokation und äußerlich, sie machen abstrakt kompositorische Prozesse dingfest und verständlich. "Gay Guerilla", "Crazy Nigger" und "Evil Nigger" wirken da wie Selbstportraits dieses Komponisten und formulieren womöglich in ihrer repetitiven und aggressiven Rauschhaftigkeit das männliche Gegenstück zu "Feminine". Vielleicht. Die kommenden Eastman-Konzerte am 5., 11. und 12. März werden darüber Aufschluss geben.

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