Kritik:Jugenderinnerungen

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Gitarrist John Scofield in der Münchner Unterfahrt. (Foto: Ralf Dombrowski)

Der Gitarrist John Scofield zerlegt bei seinem Konzert in der Unterfahrt lustvoll Stücke von Bob Dylan bis Pharoah Sanders.

Von Ralf Dombrowski

Erfahrung hat viele Kehrseiten. Überdruss ist eine, Melancholie eine andere, ein gewisse Ernüchterung etwa im Blick auf die Welt. Sie kann aber auch in Gelassenheit umschlagen, eine Form von freundlich schrulligem Humor auf der Basis der Erkenntnis, dass Perfektion immer Illusion bleiben wird und Sinn vor allem im Austausch mit anderen entsteht. John Scofield hat vieles ausprobiert, biografisch und musikalisch.

Er hat schräges, verrücktes, vertracktes Zeug gespielt und das mit so ziemlich jedem, der in seiner Welt von Bedeutung war und ist. Was bleibt mit Anfang siebzig, ist die Freude, sich auf das konzentrieren zu können, was mehr Spaß als Mühe macht. "Yankee Go Home" nennt er sein Quartett-Programm und nimmt sich in der Unterfahrt Songs der eigenen Adoleszenz vor, Stücke von Bob Dylan, Neil Young, Grateful Dead oder Pharoah Sanders, zu denen schon vor einem halben Jahrhundert die Tüten die Runde machten.

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Damit dockt er an die eigenen nostalgischen Gefühlslagen ebenso wie an die des Publikums an, spielt Jazz für die Early-Boomer-Generation und kann das Material zugleich wohlgelaunt zerlegen. Denn kompliziert sind die Vorlagen eher nicht, dafür kann Scofield sich stellenweise gestaltend weit davon entfernen, im Kern melodiebezogen, aber harmonieskeptisch den Freak Folk zerlegen, bis hinter der emphatischen Oberfläche der oft dominanten Originale das eigentliche Leuchten der Motive erscheint.

Seine Mitspieler folgen ihm bei dieser Archäologie der Interpretation, der Schlagzeuger Josh Dion mit ähnlichem Spaß am verstockten Groove, der Bassist Vincente Archer im Sound voluminös und in der Struktur formgebend gegenüber Scofields Auflösungstendenzen. Der Pianist Jon Cowherd wiederum hält mit im Verhältnis wohlklingender Ästhetik dagegen, was unterm Strich wunderbar entspannte, mit Spielenergie getränkte Musik ergibt, die Erfahrung in den fröhlichen Ernst aufblitzender Weisheit übersetzt.

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