Show im Zenith:Pathos und Parodie

Lesezeit: 2 min

Der Moderator Jan Böhmermann ist in München aufgetreten. (Foto: imago/STAR-MEDIA)

Das Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld und Jan Böhmermann spielen in der Schickimicki-Hochburg München.

Von Dirk Wagner

Wahrscheinlich ist es nur ein glücklicher Zufall und das Rundfunk- Tanzorchester Ehrenfeld startet die Zugabe seiner aktuellen Show mit Jan Böhmermann auf der gesamten "Ehrenfeld Intergalactic Tour" mit Daft Punks "Giorgio by Moroder". Weil der darin thematisierte Musiker und Produzent Giorgio Moroder seine Karriere einst in München gestartet hatte, könnte man jene musikalische Einlage aber auch als ein anderes München-Bild deuten. Ein Bild, das das Rundfunk-Tanzorchester im ausverkauften Zenith sämtlichen München-Klischees gegenüberstellt, die Böhmermann dem Publikum in seinen Moderationen zumutet.

Mal skizziert er München als die altbewährte Schickimicki-Hochburg, in der man im P1 noch immer das Kokain unter den Tischen zusammenkehren könne. Mal zeichnet er es als "Minga" und stellt es einem offensichtlich sehr hinterwäldlerischem Bayern gleich, in dem alles verboten sei, was ein bisschen Spaß macht - "es sei denn, es hat mit Alkohol zu tun".

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Immer wieder fragt Böhmermann darum auch, ob man in "Minga" schon Rap kennen würde, und ob es hier überhaupt legal sei, politische Lieder mitzusingen, wie er sie an diesem Abend zelebriert. Etwa Rocko Schamonis Song "Gegen den Staat", der im Übrigen ursprünglich vom Münchner Label Trikont veröffentlicht wurde.

Die Schlager-Moves hat sich Böhmermann von Matthias Reim abgeschaut

Böhmermann singt ihn in seiner Revue zur Wiederbelebung des politischen Liedes aus zwei Gründen: Als politischer Liedermacher stünde man immer auf "shoulder of giants", sagt er: "Kultur ist ein aufeinander aufbauendes Konstrukt". Und als zweiten Grund gesteht der norddeutsche Satiriker: "Wir wollen Gema-Kohle nach Hamburg schicken". Denn in Hamburg residiert King Rocko Schamoni, der ursprüngliche Sänger jenes Liedes also, den Böhmermann in München würdevoll vertritt.

Dabei ist der wahrlich keine jener Figuren, die Böhmermann im weiteren Verlauf seiner Show detailverliebt zu parodieren versteht. Mit Schlager-Moves zum Beispiel, die er sich von Matthias Reim abgeschaut habe. Oder mit Hoodie und Sonnenbrille, die den verschmitzt dreinblickenden ZDF-Moderatoren auch optisch in einen spaßbefreiten coolen Gangsterrapper verwandeln.

In solcher Revue, die auch gut als Faschingsveranstaltung oder Silvestergala amüsieren könnte, gelingen Böhmermann aber auch sehr hintergründige Kommentare der aktuellen politischen Ereignisse. Diskussionen, wie sie über den russischen Krieg gegen die Ukraine geführt werden, resümiert der Komiker nicht nur mit der Feststellung: "Unrecht abwarten - vielleicht hört es ja auf, ist die Devise".

Er karikiert solche Haltung gegenüber Putins Verbrechen sogleich mit einem russischen Lied, das 1961 Jewgeni Jewtuschenko gedichtet hatte, um damit gegen die angebliche "antisowjetische Hetze" des Westens im Kalten Krieg zu protestieren: "Meinst du, die Russen wollen Krieg?" Pathetisch wie einst der sowjetische Schauspieler Mark Bernes singt Böhmermann jenen Text.

Einmal mehr brilliert er dabei als Parodist, derweil das Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld nicht weniger parodierend den dargebotenen Songs aber auch eine tatsächliche musikalische Erhabenheit abgewinnen kann. Spannend wetteifern hier die Streicher mit den Bläsern, die ebenso pointiert wie mitreißend von einer Rhythmus-Sektion angetrieben werden. An deren Version von "Intergalactic" hätten die Beastie Boys ihre Freude gehabt.

Und auch das in der Zugabe gecoverte französische Duo Daft Punk wird vom RTE mit sehr viel Spielfreude in einen Bigband-Himmel gesetzt, dessen Sterne allesamt selbstleuchtende sind. Intergalaktisch brillant erweist sich das RTO also. Gerne hätte man darum auch mehr von diesem Orchester allein gehört, ohne damit die Leistungen von Jan Böhmermann oder den kurzen Gastauftritt des isländischen Sängers Daði Freyr in Frage zu stellen.

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