Isarvorstadt:Der Klang des Federmäppchens

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Die Klasse 6a der Mittelschule an der Wittelsbacherstraße erhält einen ganz besonderen Musikunterricht. Die Schüler lernen zu hören, ohne zu reden und sie dürfen komponieren: alles ohne Instrumente

Von Anna-Leandra Fischer, Isarvorstadt

Es ist ein Freitag vor Schulbeginn: Die Woche ist für die Schüler einer sechsten Klasse der Mittelschule an der Wittelsbacherstraße fast geschafft. In den Gängen herrscht reges Treiben, auch im Klassenzimmer im zweiten Stock treffen sich langsam die ersten Schüler. Pünktlich zum Schulgong um 8 Uhr trudeln auch die letzten ein. In der ersten und zweiten Stunde haben sie Musikunterricht. Doch statt Musiklehrerin Laura Kaiser steht die Münchner Komponistin und Pianistin Laura Konjetzky vor der Tafel und begrüßt die Klasse. Sie sieht nicht so aus, wie sich Kinder eine Komponistin vorstellen könnten: Die schicke Kleidung für ein Konzert ist im Schrank geblieben, stattdessen steht sie leger gekleidet da - in Jeans und Stiefeln.

Konjetzky ist bereits zum zweiten Mal für das Projekt "Klangradar" in der Klasse 6a. In den nächsten Schulstunden wird sie mit den Elf- und Zwölfjährigen ein Musikstück komponieren - ganz ohne den Einsatz von Instrumenten. "Es geht darum, den Kindern die Tür zu einem kreativen Raum zu öffnen, der so frei sein sollte wie möglich", sagt die Musikerin. Die Komponistin lässt den Schülern viel Platz zur Entfaltung. Sie gebe nur einen "groben Fahrplan" vor, so die 41-Jährige. Die Ideen für das Stück sollten von der Klasse kommen.

Die Schüler lernen, dass sie Töne nicht nur mit einem Xylofon erzeugen können: Auch das Klopfen auf einen Tisch kann klingen. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Nach der Wiederholung der vergangenen Woche geht es vom Klassenraum im zweiten Stock hinunter in die Aula. Diesen Weg verknüpft Konjetzky mit einer Übung: Bevor die Schüler durch den Schulgang gehen, stellen sie sich im Klassenzimmer in einer Reihe auf. Sie sollen von nun an ganz leise sein. "Dann hören wir mal, wie eure Schule klingt", sagt die Komponistin. Sie ist eine von drei Klangexperten, die fünfte und sechste Klassen an Münchner Mittelschulen besuchen. Ihre Kollegen sind Johannes Schachtner an der Mittelschule Fernpaßstraße und Atac Sezer an der Mittelschule Toni-Pfülf-Straße. Von 2014 bis 2018 erprobte der Verein "Netzwerk Junge Ohren" als Träger das Projekt zunächst nur in Berlin. Seit diesem Schuljahr gibt es den experimentellen Unterricht auch in Leipzig, Oberursel, Schwerin und eben auch in München.

Hören, ohne zu reden, ist nicht ganz einfach. Schon die ersten zehn Sekunden im Klassenzimmer scheinen für manche so schwer zu sein wie das Luftanhalten. Die Kinder schauen sich gegenseitig an und verkneifen sich das Lachen. Manche halten sich die Hände vor den Mund. Trotzdem geht es wortlos weiter, zu hören sind nur schnelle Schritte. Und knarrende Türen, die sich in einem anderen Gang öffnen und wieder schließen. Ein Tritt gegen eine Tür hallt in den hohen Fluren.

Experimentelle Klanggestaltung auf dem Stundenplan. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Konjetzky hat schon viel Erfahrung mit Kompositions- und Klangprojekten. Seit 2016 führt die hauptberufliche Konzertpianistin Kinder in Schulen und bei Aktionstagen an Klänge heran. "Die Projekte helfen, wieder an die Wurzeln der Musik zu gelangen", erzählt die studierte Musikerin.

In der kühlen Aula mit ihren hohen Decken stellen sich die Kinder in einem Kreis auf. Nacheinander dürfen sie sich in die Mitte stellen und Dirigent sein. Die Aufgabe ist begehrt. Die anderen Kinder überlegen sich Geräusche, die der Dirigent mit Handbewegungen steuern kann. Er gibt den Einsatz für die Töne. Lauter, leiser. Langsamer, schneller. Dabei verfliegt die Freitagsmüdigkeit schnell, die noch zu Beginn der Stunde in den Gesichtern der Kinder zu sehen war.

Aneinanderreiben von Händen, Schnalzen mit der Zunge, Schnipsen, Pfeifen oder festes Stampfen auf dem Fußboden: "Das kann auch Musik sein", sagt Anna Peters, organisatorische Leiterin von Klangradar in Berlin. Nicht immer brauche es ein Instrument, um Musik zu machen. Das Kompositionsprojekt solle Kinder an bewusstes Hören heranführen - unabhängig von festen Mustern. "Man will ihnen einen Weg aufzeigen, wie sie musikalisch aktiv werden können, ergänzt sie.

Laura Konjetzky (Mitte) nimmt erste Kompositionsversuche auf. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Wieder zurück im Klassenzimmer. Die 18 Sechstklässler haben die Aufgabe, in kleineren Gruppen ein einminütiges Stück zu komponieren. Ohne Vorgaben. "Damit schmeiße ich die Schüler ins kalte Wasser", sagt Laura Konjetzky. Venhar, Sophia, Hanna und Alara sind Gruppe zwei. Mit Schlagzeug-Besen, Holzstäben und anderen Schlegeln probieren sie - anfangs noch sehr vorsichtig - aus, wie die Schläge auf dem Tisch, auf dem Federmäppchen oder auf einer Eisteepackung klingen. Bald kommen helle und tiefe, dumpfe und hohe Töne aus jeder Ecke des Raums. Und vermischen sich zu einer großen Klangkulisse.

Drei Monate lang haben die Schüler nun wöchentlich Klangunterricht mit der Komponistin. Am Ende werden sie die Ergebnisse ihrer Klangforschungsarbeit bei einem gemeinsamen Abschlusskonzert mit den beiden anderen Münchner Mittelschulen präsentieren.

Gruppe zwei legt die Reihenfolge der Töne für ein einminütiges Stück fest: Jeder übernimmt einen Schlag. "Und das müssen wir jetzt eine Minute machen?", fragt Sophia nicht ganz zufrieden. Die Schüler probieren solange, bis ihnen der Rhythmus gefällt. Die anderen Gruppen kommen währenddessen auf die Idee, Trommeln und Xylofone aus den Schränken zu holen. Doch die Vier sind so vertieft in ihr kleines Stück, dass sie keine Bongos mehr bekommen. Am Ende gibt Laura Konjetzky ihnen noch zwei Rasseln. Doch die brauchen sie gar nicht mehr. Musik machen - das geht auch ganz ohne Instrumente.

Das Abschlusskonzert findet am Donnerstag, 27. Juni, statt. Beginn ist um 18 Uhr in der "Whitebox", Atelierstraße 18.

© SZ vom 16.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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