Hepatitis bei Drogensüchtigen:Böses C

Lesezeit: 4 min

Drogensüchtige erkranken in München oft an Hepatitis, weil sie gebrauchte Spritzen benutzen. Im Kontaktladen Off bekommen sie Hilfe.

Von Florian Haenes

Martina Fischer (Name geändert) regt sich gerne auf. Über die dünne Gemüsesuppe im Knast. Wie die Ärzte sie immer anglotzten. Im Moment allerdings ist sie recht entspannt, sie hält eine Tasse Kaffee in der Hand, aus der sie ab und zu trinkt, während sie von der Krankheit erzählt, die sie fast umgebracht hätte. Seit drei Jahrzehnten ist Martina Fischer drogensüchtig. Nicht sehr viel kürzer ist sie infiziert - mit HIV und mit Hepatitis C. Während sie gegen den HI-Virus Medikamente zu sich nahm, konnte die Hepatitis in ihrem Körper ungezügelt wüten.

Martina Fischer sitzt vor dem "Off", einem Gemeinschaftsraum für Drogenkonsumenten nahe des Ostbahnhofs. Drinnen, in einem Hinterzimmer, sitzt Klaus Fuhrmann, einer der Gründer des Off. Seit 25 Jahren gibt es die Einrichtung - mit ihm sind auch die Klienten älter geworden. Und die leiden unter den typischen Altersgebrechen von Drogensüchtigen. Auf seinem Computer öffnet Fuhrmann eine Liste: Seit 2008 sind acht seiner Klienten an den Spätfolgen von Hepatitis C, an einer kaputten Leber, gestorben.

Heroin-Sucht
:Der glücklichste Junkie der Welt

Alexander Donnelly spritzte mit 17 Heroin. Eine klassische Drogenkarriere, inklusive Knast und Obdachlosigkeit. Bis zu einem geschickten Schachzug seiner Freundin.

Protokoll: Lars Langenau

"Die Hepatitis C hat immer eine geringere Aufmerksamkeit als HIV gehabt", sagt Fuhrmann. Deshalb sei wenig Geld in die Prävention und in die Erforschung neuer Medikamente geflossen. Entsprechend leicht habe sich die Krankheit verbreiten können. Fuhrmann lädt ein zweites Dokument hoch: einen wenige Monate alten Bericht des Robert-Koch-Instituts über Infektionskrankheiten in der Münchner Drogenszene. 235 Drogensüchtige haben die Forscher befragt. Demnach tragen 63 Prozent der Studienteilnehmer den Hepatitis-C-Virus in sich - bei der Hälfte von ihnen ist er aktiv und gefährlich. Im Vergleich zu anderen Städten, die ebenfalls untersucht wurden, liegt München damit im Mittelfeld: Während in Leipzig nur 23 Prozent der Studienteilnehmer eine aktive Infektion haben, sind es in Hannover 54 Prozent.

Was Süchtige riskieren

Die Studie zeigt auch, dass viele Süchtige beim Konsum der Drogen hohe Risiken eingehen. In München teilen demnach etwa ein Drittel von ihnen gebrauchte Spritzen und Utensilien mit anderen Konsumenten, obwohl das Wissen über die Gefahr eigentlich weit verbreitet ist. Die Autoren der Studie vermuten daher, dass Konsumenten gerade dann Spritzen und Utensilien tauschen, wenn keine sauberen zur Hand sind, etwa wenn Apotheken und Suchthilfestellen geschlossen sind. Klaus Fuhrmann will das ändern:

Alkohol und Arbeit
:Erlösung vom Stress

Nur Versager sind Säufer? Von wegen: Die Ehrgeizigen, die viel arbeiten, neigen eher zu riskantem Alkoholkonsum, als Menschen die nur 37 Arbeitsstunden pro Woche mit ihrem Job zubringen.

Von Werner Bartens

Im Off gibt es kostenlose Spritzen und Utensilien. Auf einem kleinen Tisch am Eingang liegen Spritzen, aus einem verschlossenen Metallschrank geben die Mitarbeiter sterile Löffel aus, auf denen man die Drogen erhitzt, es gibt Ascorbinsäure und steriles Wasser. Andere Suchthilfestellen gäben sterile nur im Tausch gegen benutzte Spritzen heraus, sagt Fuhrmann, doch davon hält er wenig. "Wer will schon mit benutzten Spritzen durch München laufen und bei einer Polizeikontrolle womöglich in Schwierigkeiten geraten?" Möglichst viele Barrieren abbauen, die Benutzung von sauberem Besteck verhindern, das ist Fuhrmanns Anliegen. Solange die Stadt die sterilen Spritzen und Utensilien finanziere, wolle er davon so viel in Umlauf bringen, wie er nur kann.

"Erst damals habe ich gelernt, was Schmerzen sind"

Für die Hepatitis-Patientin Martina Fischer kam die Präventionsarbeit von Sozialarbeitern wie Klaus Fuhrmann zu spät. Während einer Untersuchung vor drei Jahren habe ihr Arzt ihr mitgeteilt, dass ihre Leber ziemlich hinüber sei - höchste Zeit für Interferon, eine Therapie, die Mediziner wegen erheblicher Nebenwirkungen so lange wie möglich hinausschieben, und die bei manchen Virustypen auch nur jedem zweiten Patienten hilft. Entsprechend niedrig ist die Behandlungsrate: Zwei Drittel der Studienteilnehmer aus München sagten dem Robert-Koch-Institut, nie mit Interferon behandelt worden zu sein.

Drogen- und Suchtbericht 2014
:Wie sich der Drogenkonsum verändert

Der Anteil der jugendlichen Raucher ist um 50 Prozent gesunken. Außerdem haben drei Viertel aller erwachsenen Deutschen noch nie irgendeine Droge probiert. Deshalb sieht sich die Drogenbeauftragte der Bundesregierung "richtig aufgestellt". Doch es gibt Probleme - vor allem mit Crystal Meth.

Ein halbes Jahr lang nahm Fischer die Medizin. "Erst damals habe ich gelernt, was Schmerzen sind", sagt sie heute. Sie ertrug Übelkeit und Heulkrämpfe, verlor ihr Haar. Nach einem halben Jahr schien sie geheilt, drei Monate später kehrte der Virus zurück. Ihre einzige Chance, sagte der Arzt, seien neue Medikamente, die bis dahin aber nicht zugelassen waren.

Inzwischen sind die neuen Wirkstoffe auf dem Markt, Simeprevir, Daclastavir und Sofosbuvir. Nach Ansicht des Münchner Suchtmediziners Stephan Walcher haben sie die Therapie von Hepatitis C mächtig durcheinander gewirbelt. Die Behandlung verkürze sich auf bis zu acht Wochen, die Erfolgswahrscheinlichkeit liege bei fast 100 Prozent. "Endlich haben wir es in der Hand, die Krankheit zu besiegen", sagt Walcher. Doch dafür müssen die Ärzte auch behandeln, und das täten längst nicht alle.

"Von etwa 30 Suchtmedizinern in München behandeln nur fünf eine Hepatitis-C-Infektion regelmäßig", schätzt Walcher. Er selbst betreibt eine Substitutionspraxis in Schwabing und verschreibt dort seinen Patienten Ersatzstoffe, die das Verlangen nach illegalen Drogen wie Heroin dämpfen sollen. Die Studie des Robert-Koch-Instituts legt nahe, dass die Substitutionspraxen für die medizinische Betreuung Suchtkranker in München die wichtigste Adresse sind. Doch Suchtmediziner sind rar geworden.

Mit einem Bein im Gefängnis

Nach Auskunft der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern liegt das Durchschnittsalter von Suchtmedizinern im Freistaat bei 56 Jahren. Die Zahl der substituierenden Ärzte sei in den vergangenen fünf Jahren landesweit von 303 auf 253 zurückgegangen. Nachwuchs gebe es kaum, klagt Walcher. Wer Ersatzstoffe verschreibe, stehe mit einem Bein im Gefängnis und bange um seine Approbation, sagt Walcher. So treffen derzeit zu viele Patienten auf zu wenige Ärzte. Zudem ist die Therapie teuer - bis zu 100 000 Euro -, die Erstattungskriterien der Krankenkassen sind kompliziert. So verzichten Suchtmediziner oft auf eine Therapie der Hepatitis C.

Martina Fischers Arzt hat die Hepatitis seiner Patientin ein zweites Mal therapiert, nachdem die neuen Wirkstoffe zugelassen worden waren. Die neuen Medikamente wirkten, auch die Substitution funktioniert einigermaßen. Nur für einen Moment war sie nach der Therapie voller Sorge: Ihr Bauch war wieder dick, sie fürchtete, die Hepatitis sei erneut aufgeflammt. Ihr Arzt habe nur gelacht, erzählt sie. "Ihnen geht es endlich besser", hat er gesagt. "Sie haben sich einfach nur ein Fettpolster angefressen."

© SZ vom 10.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: