Nachruf:Groß im Kleinen

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Heide von Strombeck spielte 53 Jahre lang in München an den Kammerspielen und am Residenztheater. (Foto: Thomas Dashuber)

Die Schauspielerin Heide von Strombeck ist im Alter von 95 Jahren gestorben. Sie war eine Perle im Ensemble von Dieter Dorn.

Von Christine Dössel

Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze, sagt das Dichterwort. Das gilt erst recht, wenn der Mime eine Mimin und keine Berühmtheit war. Wenn eine Schauspielerin wie Heide von Strombeck, Jahrgang 1928, sehr alt wird, dann ist ihre Theaterarbeit lange her und bei den meisten vergessen. Die älteren unter uns aber erinnern sich an diese zarte, wundersam verschmitzte Frau, die, wie alt sie auch sein mochte, immer etwas Mädchenhaftes hatte und an den Münchner Kammerspielen und später am Residenztheater - insgesamt 53 Jahre lang - mit ihrem Fluidum viele Inszenierungen bereicherte.

Hauptrollen hat sie nie gespielt, sie war keine Tragödin wie Gisela Stein, nicht so präsent wie ihr Mann und Kammerspiele-Kollege Peter Lühr, der an der Otto-Falckenberg-Schule einst ihr Lehrer war. Sie kam aus einer Zeit, als die Theaterhierarchien streng patriarchalisch und die Möglichkeiten für Frauen sehr begrenzt waren. Sie war schüchtern, bescheiden. Im Internet gibt es kaum Bilder von ihr, kein Material. Abgespeichert ist sie allenfalls in den Köpfen und Herzen. Und doch war Heide von Strombeck-Lühr im Theater eine Große: groß im Kleinen, groß in dem, was man "dienende Rollen" nannte. Eine erste Zweite, herausleuchtend mit ihrer Sprachkunst, ihrer feinen Ironie. Glücklich das Theater, das solche Perlen im Ensemble hat. Dieter Dorn hatte davon eine ganze Kollektion, Schauspieler wie Helmut Stange, Richard Beek, Jennifer Minetti, die in Nebenrollen als sogenannte Stützen des Ensembles Trümpfe ausspielten, alle schon lange tot.

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An die Kammerspiele kam die gebürtige Dresdnerin von Strombeck nach Engagements in Kiel, Hannover, Schleswig und am Staatstheater Wiesbaden im Jahr 1958. Hier blieb sie über Jahrzehnte, arbeitete unter den Intendanten Hans Schweikart, August Everding, Hans-Reinhard Müller und schließlich bei Dorn, mit dem sie 2001 ans Resi wechselte. Dort war sie bis 2011 Ensemblemitglied. Von den vielen Inszenierungen, in denen sie mitwirkte, darunter Dorns Botho-Strauß-Uraufführungen "Ithaka" und "Schlusschor", soll diese hervorgehoben werden: die damals einen sensationell neuen, radikalpoetischen Ton anschlagende Uraufführung von Werner Schwabs "Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos" (1991) in der Regie von Christian Stückl. Die Ambitionen ihres Sohnes Hermann Wurm (Michael Tregor), ein großer Maler zu werden, wusste von Strombecks Muttermonster mit Blicken und Sätzen wie Giftpfeile zu durchkreuzen: "Jetzt gehst du den Farben der allgemeinen Malerei schon wieder auf die Nerven!"

Heide von Strombeck spielte ihre Mütter, Gouvernanten und Seniorinnen hinreißend eigensinnig, oft ein bisschen schrullig, aber immer tiefgründig. (Foto: Thomas Dashuber)

Ob in Theresia Walsers makabrer Altenheimgroteske "King Kongs Töchter", in Genets "Die Wände", Ibsens "Brand" oder in der Überwachungsstaat-Satire "Alkaid" von Frank-Markus Barwasser alias Pelzig - immer spielte von Strombeck ihre Mütter, Gouvernanten und Seniorinnen hinreißend eigensinnig, oft ein bisschen schrullig, aber doch tiefgründig, balancierend zwischen Tragik und Komik. In Becketts "Endspiel", 2002 von Barbara Frey am Resi inszeniert - mit Thomas Holtzmann als Hamm und Götz Schubert als Clov - steckte sie als Nell in der Mülltonne, dort, wo in dem Stück Hamms betagte Eltern vegetieren. In Thomas Bernhards "Der Weltverbesserer" (2000) ließ sie sich als Frau des Titelhelden von Rudolf Wessely mit stummem Gleichmut traktieren. Selbstverständlich war sie 2011 am Resi auch in Dorns Abschiedsinszenierung, Kleists "Käthchen von Heilbronn", dabei: Wie ein skurriles Mütterchen aus einem alten Märchen erzählte sie als Haushälterin Brigitte mit leuchtenden Augen vom Heiratstraum des Grafen. Es war ihre letzte Rolle.

Wie erst jetzt offiziell bekannt wurde, ist Heide von Strombeck-Lühr am 9. Dezember im Alter von 95 Jahren in einem Münchner Pflegeheim gestorben. Ihre Urne wird am 2. Februar um neun Uhr auf dem Nordfriedhof beigesetzt.

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