Immersives Event:Zwischen Voyeurismus und Emanzipation

Lesezeit: 3 min

An der Selfie-Station des immersiven Spektakels "Klimts Kuss - Spiel mit dem Feuer" kann man Teil des Kusses werden. (Foto: Morris Mac Matzen)

Die immersive Ausstellung "Klimts Kuss" entführt audiovisuell in Leben und Werk des Malers, wagt dabei aber auch den Versuch, sich mit dessen ambivalenter Beziehung zu Frauen auseinanderzusetzen.

Von Henriette Busch

Niederösterreich, Anfang Mai 1945. Schloss Immendorf steht in Flammen - und mit ihm die drei "Fakultätsbilder" des österreichischen Jugendstil-Malers Gustav Klimt (1862-1918). Heute nur noch als Schwarz-Weiß-Fotografien überliefert fallen die Gemälde den Flammen im Münchner Utopia erneut zum Opfer - digital und in einer 360 Grad Projektion an Wände und Boden des Ausstellungsraums. Der Untertitel "Spiel mit dem Feuer" des immersiven Kunsterlebnisses von "Klimts Kuss" zieht sich wie ein roter Faden durch die Show.

Nepomuk Schessl, Produzent der Multimedia-Show der Münchner Alegria Konzert GmbH, verweist nicht nur auf die verbrannten Gemälde, sondern auch auf Klimts revolutionäre - an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert als anstößig wahrgenommene - Kunst und kontroverse Biografie. Denn Klimts umfassendes Werk ist voller Frauenportraits und Aktdarstellungen, zu vielen seiner Modelle wurden ihm sexuelle Beziehungen nachgesagt. Das Team hinter der Show habe sich mit diesem Aspekt intensiv auseinandergesetzt. "Die Beziehung zwischen Klimt und seinen Modellen ist kritisch zu betrachten und darf nicht aus der Show ausgeklammert werden", sagt Schessl.

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Zu diesem Zweck führen mit Emilie Flöge - Modeschöpferin, Unternehmerin und Klimt-Muse - und einer fiktiven Studentin der Kunstgeschichte zwei Frauen in einem Dialog durch das 45-minütige Kunsterlebnis. Klimt habe sich intensiv mit der Emanzipation der Frau beschäftigt, erklärt Flöge, während die vier Wände des Ausstellungsraums sich mit Darstellung weiblicher Nacktheit, Schambehaarung und Masturbation füllen.

Ganz anders sieht das die Studentin: Klimt ziehe die Betrachter seiner Werke unwillentlich in seinen Voyeurismus hinein. Die Sicht der Frau zu Klimts Lebzeiten und die der Frau aus 2023 stehen sich so aktiv gegenüber, erklärt Schessl. War Klimt nun Voyeur, der seine Stellung als Maler ausnutzte, oder half er seinen Modellen beim Ausleben ihrer gesellschaftlich unterdrückten Sexualität?

Klimts Markenzeichen durchdringen den Raum

Die Ausstellung liefere keine Antwort, stattdessen sollen die sich gegenüberstehenden Positionen und persönlichen Erfahrungen der beiden Frauen einen Denkanstoß an das Publikum liefern, so Schessl. Kunsthistorische Grundlage bildet die Expertise des österreichischen Kunsthistorikers und Klimt-Experten Tobias G. Natter, mit dem man sich "intensiv auseinandergesetzt" habe.

Die zentrale Show führt chronologisch durch die wichtigsten Stationen in Klimts Leben, die Projektion umfasst die Montage und Collage von Gemälden und Zeichnungen, Fotografien und digitalen Animationen. Klimts Markenzeichen, florale Motive und goldene Ornamente, durchdringen den Raum. Laut Schessl herrsche eine "Dramaturgie des Herumschauens." Das auf Sitzsäcken in der Raummitte platzierte Publikum müsse aktiv den Blick schweifen lassen, da die vier Wände nicht gleich bespielt werden. Stattdessen sind Gemälde zeitgleich im Ganzen und im Detail zu sehen, Figuren schweben von einer Wand zu nächsten, der von einem Schauspieler dargestellte Klimt blickt über die Köpfe des Publikums hinweg auf sein Modell. Und das "Beethovenfries", ein 1902 als Hommage an Ludwig van Beethoven geschaffener Bilderzyklus, wird visuell vom Wiener Secessions-Gebäude nach München versetzt.

In der Sammlung des Oberen Belvederes in Wien kann man neben Klimts bekanntestem, 1909 vollendetem, Gemälde "Der Kuss" noch über 20 weitere seiner Werke im Original betrachten - und das ohne, dass das Tempo vorgegeben wird. Warum also sollte man sich statt der Originale die Show ansehen? Nicht jeder habe die Zeit und die finanzielle Möglichkeit nach Wien zu fahren, sagt Schessl. Dass seine Ausstellung die Erfahrung der Originale nicht ersetzten könne, sei ihm aber bewusst. "Man sollte beides erleben." Er habe die Hoffnung, dass der Besuch im Utopia die Menschen dazu anrege. "Wenn die Hälfte der Besucher nach Wien fährt, haben wir unseren Job gemacht."

Mit "Monets Garten" steht für Oktober bereits die nächste Installation der Alegria an. Bis Anfang März waren bereits die Werke Frida Kahlos erlebbar. Laut Schessl seien Monet, Kahlo und Klimt vielen Menschen eher als Pop-Art-Ikonen statt als Künstler ein Begriff. Dabei sei insbesondere Klimt ein Revolutionär gewesen, dessen Leben es wert sei, erzählt zu werden. Davon können sich die Münchner nun selbst überzeugen - und in der Selfie-Station Teil des "Kusses" werden.

"Klimts Kuss - Spiel mit dem Feuer", bis 14. Mai, Mo - So, 10-21 Uhr, Utopia , Heßstraße 132

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