Grünwald/Unterhaching:Pech aus der Tiefe

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Nach Millionenverlusten verkauft Unterhaching seine Anteile am Geothermie-Kraftwerk an Grünwald

Von Michael Morosow, Grünwald/Unterhaching

Am Anfang war die Euphorie, die knisternde Vorfreude auf eine gewinnbringende und noch dazu ökologische Strom-Ernte. Dann erfüllte immer häufiger der beißende Geruch von Ammoniak die mit mächtigen, silberglänzenden Rohren durchzogene Produktionshalle und brachte Ingenieure und Techniker zur Weißglut. Heute verströmt das Kalina-Kraftwerk am Grünwalder Weg das Odium des Scheiterns.

Seit August wird darin kein Strom mehr erzeugt, ist eine wichtige Einnahmequelle versiegt. Eine Abrissbirne wird wohl bald den Rest erledigen. Die nach dem russischen Ingenieur Alexander Kalina benannte Technik zur Dampferzeugung auf einem niedrigen Temperaturniveau unter Verwendung eines Ammoniak-Wasser-Gemischs hat den Unterhachinger Geothermie-Pionieren kein Glück gebracht. Im Gegenteil. Mit dem sprichwörtlichen Gold kam das Pech aus der Tiefe.

Es steht außer Zweifel, dass Quell allen Übels die vielen Störfälle im Kraftwerk waren, die das Geothermie-Projekt ins Wanken gebracht haben. Darunter allein zwölf Ausfälle der Förderpumpen und eine Implosion eines Ammoniak-Behälters im Herbst 2014, worauf die Anlage vier Monate stillstand und 1,2 Millionen Euro Einnahmen flöten gingen. Und immer wieder platzten Dichtungen. Wäre die Kette der Heimsuchungen nicht gar so vielgliedrig gewesen, der Unterhachinger Bürgermeister Wolfgang Panzer (SPD) und sein Amtskollege Jan Neusiedl (CSU) aus Grünwald hätten am Freitag wohl nicht vor der Presse einen Vertragsabschluss erläutert, der auf eine nahezu komplette Übernahme der Unterhachinger Produktions-GmbH & Co. KG durch die Erdwärme Grünwald GmbH hinausläuft. Fürderhin also streichen die Grünwalder 94,96 Prozent aller Einnahmen ein. Dazu zählen nicht nur die Einnahmen durch den Wärmeverkauf an mehr als 5000 Haushalte in Unterhaching, sondern auch die Erträge durch die Stromerzeugung. Seit Monaten schon fließt das 122 Grad heiße Wasser über Rohre zum ORC-Kraftwerk in Laufzorn, wo es verstromt wird. 10 000 Megawattstunden jährlich bringen circa 2,5 Millionen Euro.

Hätten die Unterhachinger besser die streikende Kalina-Anlage reparieren sollen, als die weiße Fahne zu hissen? Für eine Million Euro wäre dies möglich gewesen, sagt Altbürgermeister Erwin Knapek, der "Vater" der Unterhachinger Geothermie. Aber selbst er hätte davon abgeraten, weil in Deutschland diese Technologie verschlafen worden sei und keine Forschungs- und Entwicklungsgelder dafür flössen. Die häufigen Betriebsstörungen im Unterhachinger Kraftwerk hätten in den allermeisten Fällen aber nichts mit der Kalina-Technik als solche zu tun gehabt. Die Implosion des Ammoniak-Behälters etwa sei wohl auf einen Bedienungsfehler zurückzuführen. "Wenn ein Lkw auf einer abschüssigen Strecke in ein Haus rast, weil der Fahrer das Brems- mit dem Gaspedal verwechselt hat, kommt auch keiner auf die Idee, die Lkw-Technologie infrage zu stellen", sagt Knapek. Eine Reparatur würde noch viel teurer sein, glaubt dagegen Wolfgang Geisinger, Geschäftsführer der Unterhachinger Geothermiegesellschaft.

Hätten die Unterhachinger also auf ein ORC- statt ein Kalina-Kraftwerk bauen sollen? Zu dieser Frage haben sich zuletzt vor allem Laien zu Wort gemeldet. Die Kalina-Technik sei die "schlechteste auf dem Markt", stellte der Grünwalder FDP-Gemeinderat und Versicherungsmakler Michael Ritz jüngst fest. "Das hat uns der Knapek eingebrockt", urteilen seit Jahren auch Unterhachinger Gemeinderäte hinter vorgehaltener Hand. Experten sehen das ganz anders. Für Kai Zosseder, Leiter der Arbeitsgruppe Geothermie an der Technischen Universität (TU) München, und auch Christian Wieland vom TU-Lehrstuhl für Energiesysteme sind Kalina- und ORC-Technologie absolut gleichwertig. "So hirnrissig war Erwin Knapek nicht", sagt auch Wolfgang Geisinger und verweist wie dieser auf nicht vorhersehbare Umstände, die sich auf die Entwicklung der Kalina-Technik fatal auswirkten: "Wir mussten am lebenden Projekt lernen, weil wir keine Sparringspartner hatten." In Mauerstetten sei zur gleichen Zeit ein Kalina-Kraftwerk geplant gewesen, aber nicht gebaut worden, weil der Bohrtrupp auf keine Thermalquellen gestoßen sei.

Und dann war noch die Sache mit dem Großkonzern Siemens, der in Unterhaching das erste Kalina-Kraftwerk in Deutschland baute und großmundig angekündigt hatte, diesen Typ Kraftwerk in der ganzen Welt vertreiben zu wollen. Stattdessen aber verkaufte er sein Patent nach Australien. Aktuell läuft in ganz Deutschland nur in Bruchsal ein Kalina-Kraftwerk, allerdings nur zu Forschungszwecken. "Wir mussten die Lernkurve alleine durchmachen", sagt Geisinger. Aber sie wurden dabei aus der Ferne aufmerksam begleitet. "Wir haben uns die Erfahrungen der Unterhachinger zunutze gemacht", sagt ein Sprecher der Firma Daldrup, die gerade erst in Taufkirchen ein Kalina-Kraftwerk errichtet hat, eines mit einer fortschrittlicheren Technik. Anfang 2018 soll der Probebetrieb beginnen. "Die Weiterentwicklung unseres Prozesses klingt intelligent", sagt Geisinger. "Aber die müssen erst einmal anschalten."

© SZ vom 16.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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