Gräfelfing:Fernsehen aus der Holzbude

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1918 gelang dem Hochfrequenzforscher Max Dieckmann mit der ersten kabellosen Bildübertragung eine Sensation. Viele seiner Projekte verbanden Theorie und Praxis, zum Beispiel ermöglichte er Funkverkehr in Zeppelinen

Von Carina Seeburg, Gräfelfing

Im Jahr 1906 war Max Dieckmann von einer Idee getrieben. Das Fernsehen war noch nicht erfunden, die Vorstellung davon ließ ihn jedoch nicht los. Als Assistent des Nobelpreisträgers Ferdinand Braun schlug er vor, die Braunsche Röhre zur Übertragung elektrischer Bilder zu benutzen. Davon wollte Braun jedoch nichts wissen. Als "Spielerei" und "Unsinn wie das Perpetuum Mobile", habe er das Thema abgetan. Beirren ließ Dieckmann sich nicht. Schon wenig später gelang dem 24-jährigen Doktoranden und seinem Kollegen Gustav Glage das, was noch keinem vor ihnen geglückt war: die Bildübertragung mit der Kathodenstrahlröhre.

Dieckmann, der heute vor 60 Jahren gestorben ist, war aber nicht nur ein Wegbereiter des Fernsehens. Er war auch Vorreiter auf dem Gebiet der Flugfunk-Forschung und betrieb in einer kleinen Holzhütte in Gräfelfing bahnbrechende Forschung in vielen Bereichen der Hochfrequenztechnik. Um den Störungen von umliegender Bebauung zu entgehen, hatte er 1908 für luftelektrische Messungen eine Wiese in der Gemeinde angemietet und gründete hier mit nur 26 Jahren die private "Drahtlostelegraphische und Luftelektrische Versuchsstation Gräfelfing (DVG)".

Der erste große Erfolg seiner kleinen Einrichtung kam 1912 mit einem Auftrag von Ferdinand Graf von Zeppelin. Dieser kämpfte mit dem Problem, dass Funkverkehr für seine Luftschiffe unmöglich war, da die damit verbundene Reibungselektrizität den Wasserstoff im Ballon zur Explosion bringen konnte. Dieckmann entwickelte Ballonstoffe mit Feingoldauflage, wodurch sich die Leitfähigkeit der Hüllen erhöhte, und löste das Problem. Das erste Telegramm, das er vom Luftschiff "Viktoria Luise" verschickte, war eine Sensation.

Funkverkehr war für Luftschiffe zunächst verboten, da die damit verbundene Reibungselektrizität den Ballon zur Explosion bringen konnte. Dieckmann löste das Problem durch innovative Ballonstoffe. (Foto: Scherl)

Nach und nach mauserte sich "die Holzbude", wie die Forschungseinrichtung von Kollegen wie dem Physiker Heinrich Welker genannt wurde, zu einem renommierten Institut. Für eine Zeit war es das einzige auf der Welt, das sich mit der Anwendung elektromagnetischer Wellen befasste. Dieckmanns Ziel war der Einsatz dieser Wellen für Kommunikation, Navigation, Ortung und Untersuchung elektrischer Prozesse in der Atmosphäre. Lange bevor das Wort "Radar" die Wissenschaft prägte, führte er bereits Experimente zur Ortung beweglicher Ziele durch.

So wurde seine Forschung im Ersten Weltkrieg prompt für die Luftschifftruppe, zu der er als Freiwilliger stieß, und dann auch für die Fliegertruppe interessant, für die er von 1917 an in der Nachrichten-Versuchsabteilung forschte und militärisches Material entwickelte. Darunter Geräte zum Ausspähen französischer Telegrafenkabel und Fernsprecher, aber auch Peiler und Funkgeräte für die Luftwaffe. 1918 war der Krieg zu Ende, und die Forschungsstation Gräfelfing wurde vorübergehend von der bayerischen Roten Armee besetzt.

"Der Zusammenbruch nach dem Krieg brachte auch für Dieckmanns Arbeiten sehr schwere Zeiten", erinnerte Paul Freiherr von Handel 1942 in einer Ansprache zum 60. Geburtstag des Forschers. Dieckmann trotzte diesen Widrigkeiten, indem er sich mit seiner Frau ins gesellschaftliche Leben stürzte. Denn auch der Privatmann Max Dieckmann hatte viele Facetten. Nach Anmietung der Wiese am Neunerberg war er 1909 frisch vermählt mit seiner Frau Elsa nach Gräfelfing gezogen. Hier verkehrte das Paar in Künstler- und Intellektuellenkreisen. Gelegentlich inszenierte Elsa Dieckmann Theateraufführungen, in denen auch der Hochfrequenzforscher in diverse Rollen und sogar in Damenschuhe schlüpfte. Daneben malte er leidenschaftlich gern und verkaufte seine Werke bisweilen auch, um seine Forschung zu finanzieren. Herzensprojekt blieb aber sein Gartenhaus mit Marionettenbühne, in dem er handgeschnitzte Puppen tanzen ließ.

Seinen Traum vom Fernsehen verlor Dieckmann trotzdem nie aus dem Blick. An seiner Station am Neunerberg forschte er gemeinsam mit Studenten und Mitarbeitern unermüdlich weiter, bis ihm mit der ersten kabellosen Bildübertragung ein Meilenstein gelang: Er schickte eine handgemalte Zeichnung seiner Villa per Funk zur Versuchsstation auf der Wiese. Wieder eine Sensation.

Längst war Dieckmann, der Mathematik, Physik und Elektrotechnik studiert hatte, über seine Assistentenrolle hinausgewachsen. Das Interesse an seiner Forschung war immens und führte 1920 zu seiner Berufung als Professor für Radiotechnik und Flugfunkwesen an die Technische Hochschule München (heute Technische Universität). Dieckmanns Stärke sei gewesen, "Theorie mit Praxis und Forschung mit Entwicklung" zu verbinden, heißt es auf der Website des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), das seinen eigenen Ausgangspunkt in Dieckmanns Gräfelfinger Holzhütte sieht. Denn 1937 gründete Dieckmann das "Flugfunk-Institut Oberpfaffenhofen", dem er die DVG angliederte und das heute als "Institut für Hochfrequenztechnik und Radarsysteme" zum DLR gehört.

Nicht nur die Gräfelfinger erfreuten sich seiner praxisnahen Forschung, etwa wenn Zeppeline den Neunerberg passierten: Am Ammersee hielt ein funkgesteuertes Boot die Anwohner wochenlang in Atem. "Das Schönste war, dass man sich genötigt sah, eine lebensgroße Strohpuppe an das Steuer dieses Schiffs zu setzen, um es vor wohlmeinenden Ammersee-Piraten zu schützen, die es einzufangen suchten", erinnerte Handel an das berühmte Geisterboot.

Auf die außergewöhnliche Forschungsarbeit, die von 1933 an stark von den Nationalsozialisten subventioniert worden war, wurden auch die Amerikaner aufmerksam. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Dieckmann auf Befehl der Militärregierung als Professor der TU München suspendiert und bei der Entnazifizierung als Mitläufer eingestuft. Seine Arbeit als Wissenschaftler setzte er 1947 in Dayton in den USA fort, kehrte jedoch nach einem Schlaganfall schon zwei Jahre später nach Gräfelfing zurück. Dort ist der Mann, der sich den Traum vom Fernsehen selbst erfüllte, bis heute unvergessen. Und bei der einst einsamen Holzhütte am Neunerberg liegt ein nach ihm benannter Platz. Als schlichte Erinnerung an ein außergewöhnliches Leben.

© SZ vom 28.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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