Neue Show "Wilderness" im GOP-Varieté:Kunst mit der Kettensäge

Lesezeit: 2 min

Der will nicht nur spielen: Jacques Schneider ist Artist, Landwirt und erstmals auch Co-Regisseur. (Foto: GOP Theater)

Überlebens-Trips in die Wildnis boomen bei Städtern. Die Show "Wilderness" zeigt mit echten Naturburschen und -frauen, wer die wahren Herrscher des Waldes sind.

Von Michael Zirnstein

Hat man nicht mal mehr in der Natur seine Ruhe? Da will man mit der Kettensäge einfach ein paar Birken zu Kleinholz machen, schon fallen diese Freizeit-Robinsons in den Wald ein. Zwei stramme Stadtbrüder schlagen Saltos auf einer herangeschleppten Doppelwippe; ein leicht angestaubtes Ehepaar verscheucht mit E-Gitarre und "Carmen"-Operngeträller die Vögelchen; und eine Barbie aus dem Pop-up-Zelt schleudert Hula-Hoop-Reifen zum Techno-Gedöns durch die Gegend. Als alles Grunzen, Brüllen, Irr-aus-dem-Unterhemd-Schauen, Bartbauschen und Kettensägendrohen die Eindringlinge nicht vertreibt, greift der Waldschrat zur Axt. Nach einem Dreimeter-Sprung vom Minitrampolin halbiert er ein Holzscheit auf dem Hackbrett und demonstriert, wer der wahre Herrscher des Waldes ist. Und dieser Bühne.

Ist ja alles nur Show. Eben nicht. Fans des GOP-Theaters und der Varieté-Künste wissen von Stücken wie "La fête", dass dieser glatzköpfige Schrat namens Jacques Schneider zwar ein wahrer Artist (man darf ihn wegen der buschigen Gesichtsbehaarung ruhig einen "Bartisten" nennen) ist. Aber noch mehr ist er - wie der GOP-Dokufilm "Like Butter on Toast" zeigte - ein echt uriger Einsiedler. Schneider lebt in den Ardennen in einer Waldhütte, züchtet Bienen (dafür gewann er schon die Silbermedaille "Honig der Ardèche") und spricht am liebsten mit seinen Eseln, von denen jüngst leider zwei starben, jetzt begleiten ihn nur noch "Gewürz" und "Brezel".

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Jacques Schneider (hier erstmals Co-Regisseur) lebt und verströmt also schon seit Jahrzehnten, was etliche Möchtegern-Lederstrümpfe derzeit mal für eine Nacht im Wald anschnuppern, nachdem sie Überlebens-Streamingserien wie "Naked Survival" oder "7 vs Wild" geglotzt haben. Die Wildnis boomt. Zeit also, diesen Auswuchs der Zivilisation auf einer Bühne durchzuspielen. Das Beste an der Show "Wilderness", dieser Hommage an das Leben der Kunst- und Naturgewalt Schneider, ist aber: Die will nicht nur spielen, die bietet auch kauzige Originale.

Vor der geheim gehaltenen Künstlerbehausung in München steht bis Mitte März eine holzbeheizte mobile Fasssauna. Die finnischen Artisten haben sie mitgebracht und sind davor schon nackig gesichtet worden. Alles ganz natürlich. Und so sieht man auch zentral auf der GOP-Bühne eine multifunktionale Sauna und einige nackte Hinterwäldlerhintern blitzen.

Die Multitalente Matias Salmenaho und Rachel Ponsonby in "Wilderness". (Foto: GOP Theater)

Wie die meisten finnischen Akrobaten zeichnen sich auch diese hier durch schrulligen Humor und eine schambefreite kernige Körperlichkeit aus. Hula-Hoop-Querkreiserin Sirje Tolonen tingelte mit ihren Schwestern schon zu Hause in Lappland über die Dörfer, so auch die Handstandtänzerin Erika Ahola, die in "Wilderness" mit ihrem multibegabten wie vollbärtigen Lebenspartner Matias Salmenaho auf einem Hackstock Polka tanzt.

Liebe mit Hindernissen: Der ungewöhnliche Pas de deux von Silvana Sanchirico und Jacques Schneider. (Foto: GOP Theater)

Das Feine im Wilden und das Animalische im Spießergewand - "Wilderness" bringt es hervor: Wenn die wunderbare Musikclownin Rachel Ponsonby (ihr Opa war Bauer, sie ist eine Art weiblicher Wigald Boning oder Götz Alsmann) mit den Beinen klappert und den Axeln hupt; oder wenn das ganze Ensemble auf dem großen Trampolin zum "Devil's Dance" von Flogging Molly einen Tanz hintaumelt - Jacques Schneider sogar auf dem Kunstrad, wenn er auch seinen berühmten Rückwärtssalto diesmal verweigerte. Aber sein Liebestanz mit der Chilenin Silvana Sanchirico - der nun sehr zarte Hüne auf dem Rad in halsbrecherischen Positionen und sie wie ein Äffchen vom Vertikalseil turnend - ist der Höhepunkt, der bleibt, weil er nicht nur Kunst und Natur vereint, sondern auch Himmel und Erde und Handwerk und Herz.

"Wilderness", im GOP-Theater München, bis So., 10. März, Maximiliansstr. 47, Tel. 089/21028844, variete.de/muenchen

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