Wettbewerb:Schwer zu entscheiden

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Sieger Enno Kraus erinnert an Gustaf Gründgens als Mephisto und singt selbst vertonte Texte von Morgenstern, Ringelnatz und Tucholsky. (Foto: Astrid Ackermann)

Bei der Verleihung des Giesinger Kulturpreises wird in diesem Jahr die Kunst des Chansons gewürdigt. Die Wahl der Jury ist allerdings kaum nachzuvollziehen.

Von Dirk Wagner, München

Musikwettbewerbe, so sie denn öffentlich ausgetragen werden, gewinnt in der Regel das Publikum. Das erlebt in solchen Wettbewerben nämlich gleich mehrere preisverdächtige Darbietungen. Wenn noch dazu alle zwei Jahre die Versicherungskammer Kulturstiftung zusammen mit dem Kulturzentrum Giesinger Bahnhof in München den mit 5500 Euro dotierten Giesinger Kulturpreis für junge, experimentelle Bühnenkunst verleiht, darf das Publikum dem Finale des Wettstreits nicht nur bei freiem Eintritt beiwohnen. Selbst die Getränke werden an diesem Abend großzügig vom Gastgeber spendiert.

Der mittlerweile deutschlandweit ausgeschriebene Wettbewerb, der stets wechselnde Kategorien berücksichtigt, galt heuer dem Chanson. Wer denkt da nicht gleich an Frankreich, an Edith Piaf, oder auch an den Belgier Jacques Brel? Die Finalisten des diesjährigen Wettbewerbs verorten den Chanson aber auch bei Claire Waldoff oder Georg Kreisler. Wenn die Gewinner des zusätzlichen Publikumspreises, Gold und Fische alias Anna Veit am Gesang und Michael Gumpinger am Klavier, Arbeiten der 2012 mit 36 Jahren verstorbenen Musikkabarettistin Christiane Weber präsentieren, werden hier auch Möglichkeiten eines neuen Chansons spürbar.

Anders als das Publikum hält die Fachjury an einem historischen Chanson-Begriff fest

Anders als das Publikum hält die Fachjury trotzdem an einem historischen Chanson-Begriff fest, wenn sie sowohl den ersten Preis als auch den Sonderpreis für die beste Eigenkomposition an den Berliner Sänger Enno Kraus vergibt. Mit einer Verkleidung, die an Gustaf Gründgens als Mephisto erinnert, singt Kraus selbst vertonte Texte von Morgenstern, Ringelnatz und Tucholsky. Nun kann man die Gegenwart auch mit hundert Jahre alten Texten sehr treffend kommentieren. Warum diese dann aber von der Fachjury für besser befunden werden als beispielsweise Sophie Mefans selbst gedichtete Eigenkomposition "Still" über Gewalterfahrungen in Beziehungen, hätten die Jurorinnen und Juroren dem Publikum ruhig auch mit einer kurzen Begründung erklären dürfen. Stattdessen belässt es der Jurysprecher Vladimir Korneev in seiner Urteilsverkündung bei dem Versprechen, dass alle Urteilenden den beurteilten Künstlerinnen und Künstlern im Anschluss für "Feedback-Gespräche" zur Verfügung stünden.

Dabei hätte das Publikum doch auch gerne erfahren, warum der erste Preis nun an Enno Kraus geht, derweil es selbst sich doch vielmehr von Anna Veits theatralischem Vortrag berührt sieht. Noch dazu fungiert Veits Pianist Michael Gumpinger nicht nur als musikalischer Begleiter. Sein Klavierspiel unterwandert den textlastigen Vortrag mit musikalischem Witz und lässt zum Beispiel in einer irrwitzigen Aufbereitung des Aschenputtel-Märchens pointiert den Soundtrack aus dem tschechischen Filmklassiker "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel" einfließen. Nicht, dass Enno Kraus den Preis darum nicht verdient hätte. Verdient haben ihn letztlich alle Finalisten. Auch Peter Lewys Prestons deutschsprachiger Vortrag von Jacques Brels "Amsterdam" hätte einen Preis begründen können. Doch solche Begründung bleibt dem Publikum vorenthalten, und das, obwohl es sehr lange auf die Entscheidung der Jury gewartet hat.

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