Schwabing:GBW saniert Wohnungen - Mieten sollen sich verdreifachen

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Viele Bewohnerinnen und Bewohner der Schwabinger Wohnanlage könnten sich die angekündigte Mieterhöhung nicht leisten. (Foto: Sebastian Gabriel)

Etwa wegen neuer Balkone, die die Bewohner gar nicht wollen. Möglich ist das nur, weil es die Wohnungsgesellschaft noch vier Tage vor Silvester angekündigt hat.

Von Anna Hoben

Die Mieter konnten noch in Frieden Weihnachten feiern. Dann, am 27. Dezember, kamen die Briefe. Absender: die GBW-Gruppe. "Frohes Neues", dachte sich Gabriele F., als sie die vielen Seiten überflogen hatte und bei der vorletzten angekommen war, da, wo die entscheidenden Zahlen standen. Bisher: 386,59 Euro. Zukünftig: 993,65 Euro. So viel Miete soll F. "voraussichtlich" bezahlen nach der Modernisierung ihrer Wohnung. Etwa zweieinhalb Mal so viel wie bisher.

Ihre jetzige Miete ist so günstig, weil sie seit 40 Jahren in der Wohnung lebt, beim Einzug war sie sieben Jahre alt, ihre Mutter arbeitete bei der Bayerischen Landesbank, der die Wohnungsgesellschaft GBW gehörte. Zwei kleine Zimmer an der Luxemburger Straße im nördlichen Schwabing, eine Wohnküche, ein Bad, knapp 48 Quadratmeter. Hier hat ihre Mutter sie einst allein großgezogen. Hier hat sie später ihren Sohn allein großgezogen, bald macht er sein Fachabitur. "Das hat sich immer wie Heimat angefühlt", sagt Gabriele F. Jetzt ist es anders. Nachdem sie das Schreiben überflogen hatte, legte sie es weg. Sie wollte sich nicht die freien Tage verderben.

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Bisher durften Vermieter nach einer Modernisierung elf Prozent der Kosten auf die Mieter umlegen. Jedes Jahr, auch dann noch, wenn sich die Kosten längst amortisiert hatten. Zum 1. Januar hat sich dieser Punkt im Mietrecht, der oft horrende Mieterhöhungen nach sich zog, geändert. Künftig sind höchstens drei Euro mehr pro Quadratmeter erlaubt. Bei Ausgangsmieten unter sieben Euro - so wie an der Luxemburger Straße - liegt die Grenze noch niedriger. Nach neuem Recht dürfte die GBW die Miete von Gabriele F. um maximal 96 Euro erhöhen, nicht um 600 Euro, wie sie es jetzt plant. Aber das Unternehmen hat die Ankündigung gerade noch im alten Jahr verschickt. "Das Vorgehen der GBW ist Entmietung pur", kritisiert Beatrix Zurek, Vorsitzende des Mietervereins München. "So handelt jetzt eine ehemals dem Freistaat gehörende Wohnungsbaugesellschaft." Im Jahr 2013 hat die Bayerische Landesbank die GBW mit ihren etwa 30 000 bezahlbaren Wohnungen an ein Konsortium aus 27 Investoren unter der Führung der Augsburger Patrizia verkauft.

Gabriele F. (mit ihrem Sohn Lillebror) lebt in ihrer Wohnung, seit sie sieben ist. "Das hat sich immer wie Heimat angefühlt", sagt sie. Mittlerweile sei es anders. (Foto: Sebastian Gabriel)

BLUS-Wohnraumprojekt, so nennt die GBW die Entwicklung des Quartiers im nördlichen Schwabing. Die Abkürzung setzt sich aus den Anfangsbuchstaben der Straßen zusammen, an denen sich die Häuser befinden: Brabanter Straße, Luxemburger Straße, Ungerer- und Stengelstraße. Der erste Bauabschnitt wurde im Dezember 2017 beendet, durch Nachverdichtung entstanden neue Wohnungen, die bestehenden wurden modernisiert. Im April soll nun der zweite Abschnitt starten, der Gabriele F. und ihre Nachbarn betrifft. Ein Polizist ist darunter, eine Reinigungskraft, ein Paketausfahrer, eine pensionierte Postbeamtin. Menschen, deren Einkommen in vielen Fällen nicht zu dem passen, was die GBW mit ihren Mieten vorhat.

Durch Dachaufstockung entstehen acht neue Wohnungen, 104 Wohnungen werden modernisiert. Fast drei Jahre sollen die Bauarbeiten dauern, fast drei Jahre werden die Mieter auf einer Baustelle wohnen müssen. Am Ende wird es acht Wohnungen mehr, aber wohl 104 bezahlbare Wohnungen weniger geben in München.

Gerhard O., ein 56-jähriger Polizist, wohnt seit 1988 mit seiner Frau in einer 49-Quadratmeter-Wohnung im zweiten Stock. Seine Miete soll laut Ankündigung von bisher 497,71 Euro auf "voraussichtlich" 1177,74 Euro steigen. Anders als Gabriele F. könnte er sich das vielleicht sogar leisten, aber eigentlich will er nicht 22,65 Euro pro Quadratmeter bezahlen. Die Kaltmiete soll sich bei ihm nahezu verdreifachen. Auf 26 Seiten erläutert die GBW, was sie in O.s Wohnung und an dem Haus alles machen will: die Fassade energetisch modernisieren, neue Fenster, neues Bad, ein Außenaufzug. Und so weiter. Als er die Modernisierungsankündigung studierte, stellte O. fest, dass sich seine Wohnfläche vergrößern soll, auf 52 Quadratmeter. Er wunderte sich, dann las er, dass sein Balkon abgerissen und durch einen neuen ersetzt werden soll. Auf der anderen Seite, nach Westen, soll zudem ein zweiter Balkon entstehen. Dieser stelle "dahingehend eine Verbesserung dar", dass er Abendsonne habe, schrieb die GBW. Solange O. und seine Frau in der Wohnung leben, werden sie allein wegen des zweiten Balkons jeden Monat 127 Euro mehr bezahlen.

Gerhard O. steht nun bei Gabriele F. in der Küche, sie haben noch einen weiteren Bewohner dazugeholt, Eckhard S. Es wird gewitzelt über die Namensänderung der GBW, von Mitte Januar an wird sie Dawonia heißen. Der Name GBW passe nicht mehr zur Unternehmensstrategie, hatte die Geschäftsführung unlängst erklärt. Schließlich sei man auch außerhalb Bayerns aktiv und seit vielen Jahren nicht mehr gemeinnützig. Dawonia also, so wie "Da wohn' i a", da wohne ich auch. Neuer Name, neues Image, so ist wohl die Hoffnung des Unternehmens. In der Küche von Gabriele F. werden weitere Namen vorgeschlagen. "Da-hammer-gwohnt-a". "Da-sterb-i-nimma". Auch Gabriele F. soll zwei Balkone bekommen, bisher hat sie keinen. Brauche sie auch nicht, sagt sie. F. wohnt im Hochparterre, "ich kann ja jedem die Hand schütteln, der vorbeiläuft".

"Ausgeliefert" fühlten sie sich, sagt einer

Am Ende der Modernisierungsankündigungen heißt es, die GBW wolle erreichen, "dass der Wohnkomfort Ihrer Wohnanlage und Ihrer Wohnung nachhaltig verbessert wird und Sie sich in Ihren Räumen langfristig wohlfühlen". Sie haben sich eigentlich immer wohlgefühlt, Gabriele F., Gerhard O., Eckhard S. und die anderen Mieter. Haben im Sommer zusammen auf der Freifläche vor dem Haus gesessen, geratscht und ein Glas Wein getrunken. Haben sich ihre Wohnungen selber schön gemacht und teilweise viel Geld hineingesteckt, so wie Eckhard S. Er geht durch seine Wohnung, zeigt hierhin und dorthin, das Bad hat er damals eingebaut, den Boden gefliest, die Elektrik gemacht. Und jetzt solle also modernisiert werden - "wozu?", fragt S.

Eckhard S. hat als Handwerker viel Geld und Arbeit in seine Wohnung gesteckt. "Modernisierung", sagt er, "wozu?" (Foto: Sebastian Gabriel)

"Wir sind als Vermieterin zur Erhaltung der Mietsache verpflichtet", schreibt die GBW in ihrer Ankündigung. Mittelfristig will sie die Wohnungen verkaufen, Mitte 2020 soll der Vertrieb starten. Die bisherigen Mieter hätten ein Vorkaufsrecht, ein Viertel der Mieter im ersten Bauabschnitt habe davon Gebrauch gemacht. Die Modernisierungsumlage richte sich "nach der Lebenssituation des jeweiligen Mieters", schreibt die GBW. Man tausche sich "in persönlichen Gesprächen, die im Januar beginnen sollen, eng mit den Mietern aus" und stehe in Kontakt mit dem Mieterverein. Dessen Juristen prüfen nun, inwieweit die Umlagen rechtens sind; 25 Bewohner sind Mitglied im Verein. In finanziellen oder persönlichen Härtefällen kann es eine Reduzierung der Erhöhung geben.

Da ist zum Beispiel Thomas J., 69 Jahre, auch sein Einzug liegt fast drei Jahrzehnte zurück. Eine Wohnung für Staatsbedienstete war das damals, er arbeitete beim Arbeitsgericht, in der Telefonzentrale, an der Pforte. Bei ihm sei es jetzt schon immer knapp, sagt J., aber "ich leb' mich so durch". Die angekündigte künftige Miete würde allerdings die Höhe seiner Rente übersteigen. Vor allem aber fürchtet er sich wie seine Nachbarn vor der Baustelle, vor der "Sanierung am lebendigen Leib", wie einer es bezeichnet. "Ausgeliefert" fühlten sie sich, sagt ein anderer.

Finanziell sei es bei ihm, so Thomas J., immer knapp. Die neue Miete allerdings würde die Höhe seiner Rente übersteigen. (Foto: Sebastian Gabriel)

Gabriele F., die als Psychologin im sozialen Bereich arbeitet, kann sich als Alleinerziehende einen Urlaub schon jetzt nur alle zwei Jahre leisten. Die neue Miete würde mehr als die Hälfte ihres Nettoeinkommens auffressen. Schon während des ersten Bauabschnitts habe sie gelitten, sagt sie, weil mal das Toilettenhäuschen der Bauarbeiter, mal die Müllcontainer direkt vor ihrem Fenster gestanden hätten. F. ist in München geboren, ihr ganzes Leben hat sie hier verbracht. Sie ist nie umgezogen, weil sie auf die günstige Wohnung angewiesen war. Für sie es so: "Alles steht und fällt mit einer Wohnung, die einigermaßen bezahlbar ist." Sie hat sich in jüngster Zeit öfter gefragt, ob die Stadt es für sie noch wert ist zu bleiben. Eine Überlegung ist es, wegzuziehen, wenn ihr Sohn mit der Schule fertig ist. "Wieso soll ich mir das noch antun?"

© SZ vom 09.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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