Gasteig:Schall und Hauch

Lesezeit: 4 min

Die Philharmonie im Gasteig ist ein Ort des Wohlklangs, über dessen Akustik es viele Misstöne gibt. Wer den Saal an einem Probennachmittag besucht, hört Erstaunliches über Resonanzen, Stützmikrofone und Hustenfilter

Von Jutta Czeguhn

Wie Starkregen prasselt wohlwollender Applaus von den Rängen. Nach einer knappen Verbeugung dreht sich der Dirigent lautlos auf den Sohlen seiner Lackschuhe und wendet sich dem Orchester zu. Noch hat er den Münchner Philharmonikern keinen Laut entlockt. Mitten in die erwartungsvolle Stille hinein bricht ein "Hähh-Hmmm-Hchr-Hrrrrm!", ein männlich selbstbewusstes Räuspern.

Es muss von ganz weit oben im Block P kommen. Dann, wohl unten in Block C, nimmt eine Dame sachte den Ton auf: "Höüpn-Pnm-Hpfm". Andere setzen nun ein, begeben sich in den akustischen Windschatten. Anfallartig schießen Stoßhuster von links, trockenes Bellen hallt aus der Mitte, man hört Würgen und Röcheln von rechts. Eine Kakofonie an Bronchiallauten, die sich im Domino-Effekt als Soundwolke über die knapp 2400 Plätze der Münchner Philharmonie legt.

Der kollektive Hustenanfall gehört zu diesem Ort des Wohlklangs ebenso wie der Kammerton "a" beim Einspielen des Orchesters. Doch das akustische Störfeuer kann in den Wahnsinn treiben; Bariton Thomas Hampson etwa, immer wieder in der Philharmonie zu Gast, hat diese Geißel aller Konzertsäle weltweit erforscht.

Und so konnte er für die Wochenzeitung Die Zeit sogar einmal eine Typologie des Hustens verfassen - Abonnenten-Husten: "tenuto mezzoforte". Feine Antennen hatte auch Loriot, der mit den Berliner Philharmonikern seine legendäre Hustensymphonie einspielte und "konzertimmanente Geräuschsymptome" zur Bereicherung des Werks integrierte. Ähö-Hhmpfm!

"Ach, das lässt sich größtenteils rausfiltern", sagt Peter Brümmer im beruhigend beiläufigen Tonfall eines Zahnarztes vor der Wurzelbehandlung über hartnäckiges Husten im Saal. Er steht unweit der Bühne und blickt auf die leeren Ränge, die sonst in der Regel mit mehr als 2000 Menschen besetzt sind. Das Grundrauschen dieser Präsenz fehlt, doch still ist es keineswegs.

Vom Podium dringen Stimmen, Klappern, Fetzen von Musik in den Saal, Techniker installieren dort die Mikrofone. Es ist Probennachmittag der Philharmoniker, gleich wird Valery Gergiev mit ihnen den letzten Schliff an Schostakowitschs Symphonie Nr. 4 c-Moll op. 43 legen. Wie die meisten Auftritte wird das Konzert im hauseigenen Studio mitgeschnitten, in dem ein Toningenieur an einem beeindruckenden Mischpult sitzt.

Die Tondokumente wandern dann in einen Riesentresor im dritten Stock des Gasteig. "Nur für die Aufzeichnungen braucht es die Mikros, ansonsten spielt das Orchester natürlich unverstärkt", sagt Brümmer. Seit 1998 ist er am Haus, seit 2002 leitet er die Tontechnik: ". . . ein Traumjob", schwärmt der 56-Jährige. Er erzählt von seine Leidenschaft für Musik, selbst spielt er E-Bass.

Brümmers Ohren kennen diesen Saal und seine akustischen Eigenheiten in all den komplexen Details. Er weiß, wie sich die Schallwellen verhalten, wie lange sie brauchen, um die 44 Meter von der Podiumskante bis hinauf zum allerhintersten Rangplatz zu überwinden - etwa 120 Millisekunden. "Die Größe eines Raumes erkennt der Menschen mit geschlossenen Augen daran, wie schnell er die ersten Reflexionen zurückbekommt", erklärt Brümmer erst mal Grundsätzliches.

Das hört sich nach nach Fledermaus-Spielen an. Dazu könnte man jetzt einfach rasch mal auf das Dirigentenpodest hüpfen, der Gergiev ist ja noch nicht da. Dann knallend in die Hände klatschen, durch die Finger pfeifen oder mit kräftiger Stimme die viel diskutierte Akustik des noch leeren Saales herausfordern. Doch Feigheit siegt, die geschäftigen Tontechniker und Philharmoniker, die zur Probe hereintröpfeln, würden solch einen Auftritt eher befremdlich finden.

Die Soundproduktion überlässt man also den Profis. "Bong, bong, bong!", wummert ein dumpfer Ton wuchtig durch diesen enormen Raum, der in seiner Breite von einer Seite zur anderen 70 Meter misst. Die Schallwellen, welche die Pauke in den Saal schickt, sind beinahe taktil, wenn man in der Nähe des Instrumentes steht. Vibration ist in den Eingeweiden zu spüren, durchdringt die Stirn, die Ohren sausen sowieso.

Auch einer der Kontrabassisten ist nun eingetroffen und geht zu seinem Platz an der hinteren Mittelrückwand. Valery Gergiev hat die Bässe dort postiert, zuvor standen sie an den Seiten. "An der Wand gibt es einen Druckstau, sie strahlen viel intensiver, wirken kompakter, dichter", erläutert Brümmer diesen Kniff des Chefdirigenten. Nun streicht der Kontrabassist mit dem Bogen kurz über die Saiten. Ein brummendes, knurrendes Geräusch, rau, erdig und trotzdem weich, mit einem langen Tonschwanz.

Noch schwirren Musiker und Tontechniker durcheinander auf diesem riesigen Podium, das maximal eine Breite von 21,50 Meter und eine Tiefe von 20,30 Metern. Peter Brümmer erklärt, warum die Techniker die Mikrofone, die aus Öffnungen in der begehbaren Decke kommen, mit hauchdünnen Fäden an bestimmte Stellen über das Podium spannen und dann fixieren: Zusätzlich zu den drei Hauptmikrofonen im vorderen Bereich der Bühne braucht man diese Stützmikros, die für die Aufnahme des Konzertes einzelne Instrumentengruppen heben: "Sie sollen die Konturen etwas schärfen, Balancen im Orchester ausgleichen. Beispielsweise die Flöten noch ein bisschen holen." Die Sache mit den Fäden sei nötig, um die Mikros zwischen den großen Deckensegeln an die richtige Position zu bringen.

Die Deckensegel hängen wie Riesenpilze in 8,50 Metern Höhe über der Bühne. Sie wurden nachträglich installiert, damit sich die Musiker gegenseitig besser hören. Jetzt ist der Moment gekommen, Brümmer all die lauten Klagen über den Saal um die Ohren zu hauen. Sicher wird er seine Philharmonie mit Verve verteidigen, doch bleibt seine Stimme ziemlich ruhig. "Ja, es nervt mich, dass der Saal schlecht geredet wird", sagt der Tonmeister, "es gibt vielleicht Plätze ganz außen, die ein bisschen schwierig sind, das ist aber in jedem anderen Saal auch so."

Und ja, bei konzertanten Opern oder Konzerten mit Gesang müssten die Sänger schon eine wirklich große Stimme haben, um mit dem Orchester die Balance halten zu können. Das sei das Manko dieses Saals, seiner Größe geschuldet.

Die Techniker haben ihre Arbeit fast beendet, das Orchester ist auch beinahe vollzählig, gleich wird der Maestro eintreffen. Zeit, die Hörprobe im leeren Saal zu beenden. Peter Brümmer muss nicht lange nachdenken, wenn man ihn zum Abschluss bittet, den Klang der Philharmonie in Worte zu fassen: "Groß und schön".

© SZ vom 22.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: