Flüchtlinge aus der Ukraine:Sicherer Hafen in der Hasenheide

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Mit ihren behinderten Zwillingen ist Oksana ins frühere Hotel Hasenheide in Fürstenfeldbruck geflohen. Nun ist sie dort die Küchenchefin. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Das frühere Hotel in Fürstenfeldbruck dient als Erstaufnahme-Einrichtung für Flüchtlinge aus der Ukraine. Die Corona-Nachbarschaftshilfe hat die Betreuung übernommen.

Von Ingrid Hügenell, Fürstenfeldbruck

Die Neuankömmlinge erkennen die Ehrenamtlichen von der Corona-Nachbarschaftshilfe an der Leere und dem Entsetzen in ihren Augen. Viele Geflüchtete kämen völlig erschöpft in Fürstenfeldbruck an, sagt Initiatorin Monika Graf: Mit offenen Füßen, dehydriert, in Angst und Sorge um ihre Angehörigen, die noch in der Ukraine sind, im Krieg. Die Babys mit entzündeten Popos, weil sie unterwegs nicht oft genug gewickelt werden konnten. Manche Kinder, auch ältere, verlieren durch den Stress der Flucht die Kontrolle über ihre Blase. "Das ist ganz furchtbar für sie."

Im Hotel Hasenheide finden die Buben und Mädchen, Frauen und wenigen Männer einen sicheren Hafen und ein wenig Privatsphäre. Die Stadt Fürstenfeldbruck habe angeboten, das Hotel kostenlos aufzusperren für die Flüchtlinge, erklärt Graf. Die Corona-Nachbarschaftshilfe betreibt es, mit 172 Ehrenamtlichen. In 26 Zimmern können die Menschen untergebracht werden. Ein paar wenige Männer sind darunter. Ausreisen dürfen sie, wenn sie drei sehr kleine Kinder haben, wenn ein Kind behindert oder die Frau schwanger ist. Der jüngste Gast ist ein zwei Monate altes Baby, der älteste ein mehr als 80 Jahre alter Mann, der auf der Flucht einen Herzinfarkt erlitt und nun wieder gesund werden soll.

Viele sind so traumatisiert, dass sie zunächst nicht essen können

"Sie bleiben mindestens, bis sie sich gefangen haben und wieder essen", sagt Graf. "Ja, viele sind so traumatisiert, dass sie zunächst gar nicht essen können." Tag für Tag sehe man, wie es ihnen besser gehe. Dann fangen sie nicht nur an, wieder Nahrung zu sich zu nehmen, sondern auch zu reden und mitzuhelfen im Hotel.

Polina und Yehor, die siebenjährigen Kinder von Oksana und ihrem Mann Dimitri, sind behindert, sie können kaum laufen. Polina bewegt sich mit einem Gehstuhl. (Foto: privat/oh)

So wie Oksana, die mit ihren siebenjährigen Zwillingen Polina und Yehor geflohen ist. Mutter und Schwester halfen ihr. In Polen wartete sie eine Woche lang auf ihren Mann Dimitri, einen Lastwagenfahrer. Beide Kinder sind behindert, Polina kann sich nur mit einem Gehstuhl mit vier Rollen selbst fortbewegen. Um das Wägelchen mitnehmen zu können, ließen sie Kleidung zurück. Yehor stürzt immer wieder. Auf der Flucht zog er sich eine Gehirnerschütterung zu, musste ins Krankenhaus. Der Vater blieb bei ihm, Oksana fuhr mit Polina voraus. "Wir hatten ständig Angst, weil die Kinder nicht gut laufen können", sagt Oksana. Im Hotel Hasenheide ist die Familie wieder beisammen. Yehor trägt nun einen Fahrradhelm, zum Schutz.

Nun ist Oksana der "Küchenboss" im Hotel

Und Oksana, gelernte Köchin, kocht im Hotel Hasenheide nicht nur für ihre Familie, sondern auch für die übrigen Flüchtlinge. Sie schenkt Kaffee aus und scherzt mit Olga Leschtschenko. "Oksana ist der Küchenboss", erklärt die. Olga, 33, spricht hervorragend Englisch. Sie floh mit ihrer Mutter, 53, ihrem Mann und dem achtjährigen Sohn am Tag des russischen Überfalls per Auto aus Kiew. Weil ihr Mann Chinese ist, durfte auch er ausreisen. Vier Tage harrten sie an der rumänischen Grenze aus, wussten nicht, wohin.

Die russische Propaganda verbreite im Internet schreckliche Geschichten über Deutschland, berichtet Olga. Man werde dort in Lager gesperrt, bekomme Pass und Geld abgenommen, sei nicht frei. Ihre Mutter habe geweint, sie wollte nicht, dass die Familie nach Deutschland geht. Eine belorussische Freundin, die in China lebt, habe ihnen geraten, zur ukrainischen Gemeinde nach München zu gehen. Über mehrere Ecken erfuhr die Familie schließlich, dass es in Fürstenfeldbruck Hilfe gebe. Olga und ihre Familie waren am 6. März die ersten Gäste im Hotel Hasenheide. "Wir hatten zuerst Angst, irgendwelche Dokumente zu unterschreiben", sagt sie. Nun wisse sie, dass alle frei seien, auch wieder zu gehen, wenn sie Arbeit finden oder anderswo Familie haben.

In Kiew war Olga Export-Managerin einer Firma, die Lebensmittel ausführt. Heute sei sie die Managerin des Hotels, sagt Graf und lacht, eine wertvolle Unterstützung. "Monika ist toll. Sie tut alles für uns", erwidert Olga. Sie hätten Glück gehabt. "Das Hotel ist ein glücklicher Ort." Als Influencerin mit etwa 500 000 Followern auf Instagram versuche sie nun, die Wahrheit zu verbreiten. Noch ist die Familie im Landkreis nicht registriert, bekommt kein Geld und hat keine Arbeitserlaubnis. "Die Bürokratie", sagt Graf. "Das läuft schleppend." Dabei helfen die Ehrenamtlichen beim Ausfüllen der vielen Dokumente, deren Sinn sich oft weder den Geflüchteten noch den deutschen Helfern erschließe. Dass alles so lange dauere, sei psychologisch schwierig, sagt Graf. "Ich habe Angst, dass manche verzweifeln."

Monika Graf vor dem Hotel Hasenheide, das die Stadt Fürstenfeldbruck kostenlos für Flüchtlinge aus der Ukraine zur Verfügung gestellt hat. Die Initiatorin der Corona-Nachbarschaftshilfe koordiniert jetzt die Hilfe für die Geflüchteten. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Während des Gesprächs mit Oksana und Olga kommt eine neue Familie an: Zwei ältere Frauen, ein Mann, ein Kind. Eine junge Frau, im sechsten Monat schwanger. Sie sollen ein Familienzimmer bekommen. Eine der Frauen, sie spricht gut Deutsch, erklärt Monika Graf, die Schwangere sei durch die Flucht völlig erschöpft, brauche ein Zimmer alleine mit ihrem Mann. Graf organisiert rasch um und denkt auch gleich an einen Arzt für die werdende Mutter und das Ungeborene. Die resolute ältere Dame lässt sich von Oksana die Küche erklären. Es scheint, als bekomme der Küchenboss Hilfe. Olga verabschiedet sich, die Familie will in den Zoo.

Vor dem rustikal möblierten Speisesaal stehen einige Tüten mit Semmeln, Brot, Brezen vom Vortag. Die Bäckerei Wimmer lasse dem Hotel viele Lebensmittel zukommen, das freue sie sehr, sagt Graf. "Da wird sich Oksana sicher überlegen, was sie daraus machen kann." Gespendet wird viel. "Die Hilfsbereitschaft ist unfassbar hoch", sagt Graf. "Manche, die Kleidung bringen wollen, müssen wir leider abweisen, weil wir keine Lagerkapazitäten haben." Die Nachbarschaftshilfe arbeitet aber mit "Brucker helfen der Ukraine" zusammen, man ist gut vernetzt.

Eine Rentnerin bringt in einer Einkaufstasche Lebensmittelspenden

Schon morgens um kurz nach neun kommt eine alte Frau mit einer Einkaufstasche voller Lebensmittel ins Hotel. Sie habe selbst nur eine kleine Rente, erzählt sie. Aber wenn im Supermarkt Lebensmittel verschenkt würden oder es Sonderangebote gebe, nehme sie immer auch etwas für die Flüchtlinge mit. Die 80-Jährige wohnt in der Buchenau und fährt mehrmals pro Woche mit dem Bus in die Hasenheide.

Besonders dringend wird ärztliche und psychologische Hilfe gebraucht

Die Geflüchteten helfen selbst überall mit, halten die Zimmer in Schuss, waschen Wäsche, putzen, räumen auf. "Sie sind unfassbar stolz, wollen nicht um Hilfe, Essen und Geld betteln", sagt Graf. Den Deutschunterricht aber nehmen sie gerne an. Mischa, Sohn eines Deutschen und einer Ukrainerin, unterrichtet seit zwei Wochen die Erwachsenen. Das hat er auch schon am Goethe-Institut in Odessa getan, vor dem Krieg. Von dieser Woche an sollen auch die Kinder Deutsch lernen. Für die Buben und Mädchen gibt es ein Spielzimmer, einen Fuhrpark mit Bobby-Cars und Rädern, ein Trampolin und professionelle Betreuung durch ehrenamtliche Erzieherinnen.

Für die Kinder gibt es im Hotel Hasenheide ein Spielzimmer. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Alle zwei Wochen kommt zudem ein Friseur. "Das sind kleine Sachen, die dazu gehören, damit die Menschen sich stabilisieren und wohlfühlen", erklärt Graf. Sie und ihre Helfer bemühten sich, die ganze Palette der menschlichen Bedürfnisse abzudecken. Besonders dringend werde ärztliche und psychologische Hilfe gebraucht.

Wer sich ein wenig erholt hat, kann umziehen. Privatleute bieten leerstehende Wohnungen oder ganze Häuser an, Gastfamilien machen Platz für Geflüchtete. Allein in dieser Woche richte die Nachbarschaftshilfe fünf Wohnungen ein, sagt Graf. Dafür werden Möbel gebraucht, Betten, Sofas, Schränke, Haushaltswaren. "Solche Sachen holen wir auch direkt ab." Die Arbeit sei anstrengend, Graf ist oft von morgens um sieben bis nachts um drei beschäftigt. "Das ist emotional enorm erfüllend. Man sieht täglich, wie die Hilfe ankommt."

Wer spenden will: Konto der Corona-Nachbarschaftshilfe FFB e.V., Stichwort Ukraine-Hilfe, Sparkasse Fürstenfeldbruck Iban DE65 7005 3070 0032 3182 97.

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