Immer wieder klagen Kunst- und Kulturvereine über Nachwuchsmangel und fehlende öffentliche Aufmerksamkeit. Lange ging es auch dem Kulturverein Puchheim nicht anders - bis er im Sommer 2021 eine neue Vorsitzende wählte: Marta Zientkowska-Schulz. Seitdem hat die 43-Jährige den Verein so radikal umgestaltet, dass er für mächtig Aufsehen über die Landkreisgrenzen hinaus gesorgt hat. Mittlerweile gehören namhafte Münchner Künstler wie Loomit und Z-Rok zum Verein, die regelmäßig nach Puchheim kommen, um sich an den Ausstellungen und Aktionen des Vereins beteiligen. Wie Zientkowska-Schulz das gelungen ist?
Durch eine Öffnung des Vereins, die es erlaubt, dass sich dort sowohl ambitionierte Amateure als auch etablierte Profis wohlfühlen. Außerdem hat der Verein sein soziales Engagement in Puchheim intensiviert und eine komplette Nachwuchskünstlergruppe aufgenommen, die nun unter dessen Dach aktiv ist. "Ich finde, die Kunst muss manchmal etwas von ihrem hohen Ross kommen. Ich wollte das Verständnis des Begriffs Kultur erweitern und auch die breite Masse ansprechen", sagt sie. Wie viele andere Künstler auch, sei sie selbst eigentlich kein "Vereinsmensch". "Ich verstehe Künstler als freie Vögel, deswegen sehen wir uns mehr als Kollektiv denn als klassischen Verein." Deshalb habe sie die Verantwortlichkeiten im Verein auch aufgeteilt. Mittlerweile sei so ein gut eingespieltes Team entstanden. Für seine herausragende Arbeit im Bereich der Kunst wird der Kulturverein Puchheim nun für den SZ-Kulturpreis Tassilo nominiert.
Der Verein hat in den vergangenen eineinhalb Jahren Dutzende neue Mitglieder gewonnen
Anfangs sei sie mit ihren Änderungen natürlich auch auf Widerstand bei bestimmten Altmitgliedern gestoßen, erzählt Zientkowska-Schulz, mittlerweile werde ihr Kurs aber von denen, die sich noch aktiv beteiligen, getragen. Dass der Verein in den vergangenen eineinhalb Jahren Dutzende neue Mitglieder gewinnen konnte, liegt aber auch daran, dass die 43-jährige Vorsitzende, die selbst Künstlerin ist, eine herausragende Netzwerkerin ist, die genau weiß, wann und wie sie mit wem reden muss. Und sie hat sowohl das nötige Charisma, als auch eine gewisse Durchsetzungsfähigkeit, um andere von ihren Ideen zu überzeugen.
So ist es ihr auch gelungen, junge Künstlerinnen und Künstler in den Verein zu holen. Bei der Verleihung des Nachwuchskunstpreises des Landkreises Fürstenfeldbruck im Oktober 2021 ist ihr der damals 18 Jahre alte Preisträger Nikos Georgalas aufgefallen. "Sie hat mich angesprochen und mir von ihrer Idee einer jungen Gruppe erzählt. Ich habe sofort gesagt, ich kriege bis Ende des Jahres zehn Leute zusammen", erinnert sich Georgalas an diesem Moment. Er findet schnell mehr als zehn Interessierte, und schon im Juli 2022 tritt die Gruppe unter dem Namen "Vivid" erstmals öffentlich auf. Und wie. Sie wird eingeladen, sich im Münchner Lenbachhaus an der Ausstellung "Junge Gruppendynamik" zu beteiligen. Wenig später gab es dann die erste großen Vivid-Gruppenausstellung in der Galerie des Puchheimer Kulturzentrums. Gerade habe sich, erzählt die 43-Jährige, eine zweite Jugendgruppe gegründet, die sich stärker der Musik widmen möchte.
Die jungen Künstler arbeiten regelmäßig mit Jugendlichen aus benachteiligten Familien
Die junge Gruppe ist auch Teil der sozialen Aktionen, mit denen Zientkowska-Schulz den Verein belebt hat. Alle zwei Wochen treffen sich die Vivid-Mitglieder im Atelier des Vereins mit Jugendlichen aus sozial benachteiligten Familien, um mit ihnen gemeinsam kreativ zu sein. Im vergangenen Sommer gab es unter der Führung des Vereins außerdem ein einwöchiges Sommercamp in Puchheim, bei dem sich die jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer den ganzen Tag unter Anleitung der Mitglieder austoben konnten. Der Kulturverein hat auch die Patenschaft für mehrere Kinder der Musikschule übernommen, um ihnen eine Ausbildung dort zu ermöglichen. "Aber nicht so, dass sie dann auch für uns Konzerte spielen müssen. Wir wollen sie nicht stigmatisieren, sondern ihnen einfach eine Chance geben", sagt Zientkowska-Schulz, die seit zehn Jahren mit ihrem Mann und zwei Kindern in Puchheim lebt. "Ich komme aus Polen, da sind die Verhältnisse etwas anders. Hier habe ich das Glück, zur Mittelschicht zu gehören. Deswegen bin ich der Meinung, dass man auch etwas zurückgeben sollte, wenn man kann."
Dass Zientkowska-Schulz der Jugend so einen großen Raum im Verein einräumt, hat keineswegs dazu geführt, dass sich ältere Mitglieder abwenden. Im Gegenteil, berichtet die Vorsitzende, vielmehr seien auch einige ältere Künstlerinnen und Künstler in den Verein eingetreten oder zurückgekommen. Wie gut diese Mischung gelingt, lässt sich bei den Ausstellungen des Vereins sehen. Nicht nur, dass die anwesenden Künstler eine gemischte Altersstruktur haben, auch das Publikum ist im Durchschnitt wesentlich jünger, als bei den meisten anderen Ausstellungen im Landkreis. Dazu kommt, dass nicht wie sonst maximal zwei bis vier Dutzend Besucher zu den Vernissagen erscheinen, sondern auch gerne mal mehr als 100.
Die Arbeit des Vereins wird auch außerhalb des Landkreises wahrgenommen
Dass ihre Arbeit auch außerhalb des Landkreises genau beobachtet wird, habe sie erst kürzlich gemerkt, als sie einen Münchner Galeristen angerufen habe, um ihm einen Künstler vorzustellen. "Wir hatten vorher noch keinen Kontakt, und er wusste sofort, was wir machen und wer wir sind." So sei es ihr mittlerweile auch gelungen, mehrere Sammler auf den Verein aufmerksam zu machen und sie für die Arbeiten bestimmter Künstlerinnen und Künstler zu begeistern. "Das ist ja auch wichtig. Natürlich gibt es Künstler, denen es reicht, wenn sie ausstellen können, aber andere wollen gerne auch etwas verkaufen und von der Kunst leben. Denen helfen zu können, ist natürlich toll."
Natürlich möchte Zientkowska-Schulz sich nicht auf den Erfolgen der ersten eineinhalb Jahre ausruhen, sondern auch weiter daran arbeiten, den Verein erfolgreicher zu machen. Ein Ziel sei es, eine bessere Vernetzung mit anderen Institutionen in der Stadt zu schaffen, der Verein habe sich in der Vergangenheit zu sehr abgekapselt. Sehr am Herzen liegt es ihr auch, den Verein stärker für Literatur zu öffnen und vor allem den öffentlichen Raum mitzugestalten. "Es gibt so viele Stellen in der Stadt, die nicht schön sind und die wir gestalten könnten", sagt sie. Das würde dann auch wunderbar zur neuen Strategie des Vereins passen, sich zu öffnen und vor allem Kunst für alle zu machen.