München/Maisach:Unübersichtliche Beweislage

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Flüchtling wegen gefährlicher Körperverletzung in Maisacher Unterkunft zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt

Von Ariane Lindenbach, München/Maisach

Weil er einige Mitbewohner in einer Asylunterkunft in Maisach angegriffen hat, muss ein 33-jähriger Nigerianer für zwei Jahre und sechs Monate ins Gefängnis. Mit dieser Entscheidung des Landgerichts München II ist der verheiratete Vater eines Sohnes noch glimpflich davon gekommen. Denn die Anklage hatte auf versuchten Totschlag gelautet, unter anderem, weil der Mann bei einer Attacken ein Besteckmesser benutzt und auf einen am Boden liegenden eingetreten haben soll. Die Richter der 1. Kammer verurteilten den 33-Jährigen jetzt "nur" wegen vorsätzlicher und gefährlicher Körperverletzung in mehreren Fällen. Der Unterschied im Strafmaß ist erheblich: Bei versuchtem Totschlag ist die Mindeststrafe fünf Jahre Haft, bei gefährlicher Körperverletzung sechs Monate.

Wie so oft, wenn völlig unterschiedliche Menschen auf beengtem Raum zusammenleben müssen, ist es auch in der Unterkunft in Maisach vor einem Jahr zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung gekommen. Der Auslöser ebenso banal wie häufig: die zu laute Musik, die der betrunkene Nigerianer gegen Mitternacht hört. Ein junger Mann aus Afghanistan beschwert sich, nicht zum ersten Mal. Der 33-Jährige provoziert, der verbale Streit eskaliert und wird handgreiflich, andere Bewohner kommen dazu, um dem Afghanen zu helfen. Der Nigerianer wird immer aggressiver, wehrt sich erst mit bloßen Händen und greift insgesamt vier Mitbewohner, darunter ein 15 Jahre altes Mädchen, dann auch mit Gegenständen an, unter anderem einer leeren Bierflasche und seinem Gürtel, den er wie eine Peitsche benutzt.

Wie der Vorsitzende Richter Thomas Bott in der Urteilsverkündung am Donnerstagvormittag erläutert, gestaltete sich die Beweisaufnahme in dem fünf Tage dauernden Prozess "sehr schwierig". Der Angeklagte hatte sich überhaupt nicht zu den Vorwürfen geäußert und auch keinen besonders überzeugenden Auftritt hingelegt, als er zu seinem Leben befragt wurde. Allein die Basisinformationen - Familienverhältnisse, schulische und berufliche Laufbahn - abzufragen dauerte mehr als drei Stunden, da der 33-Jährige kaum eine Frage direkt beantwortete. Ähnlich mühselig verhielt es sich mit den Aussagen der diversen Zeugen. Die vielen verschiedenen Versionen, die die bei der Schlägerei Anwesenden bei der Polizei und im Gerichtssaal erzählten, erschwerten den Nachweis der einzelnen Taten für die Richter. Aus diesem Grund wurde der Nigerianer in einigen Punkten freigesprochen. "Den Messerangriff konnten wir ihm nicht nachweisen", ebenso den Peitschenhieb mit dem Gürtel auf einen elfjährigen Buben, erläutert der Vorsitzende Richter.

Sowohl Staatsanwältin Cathrin Rüling als auch Rechtsanwältin Birgit Schwerdt kommen in ihren Plädoyers zur gleichen Bewertung hinsichtlich der nachgewiesenen Taten. Von einem versuchten Totschlag ist nicht mehr die Rede, wenngleich der medizinische Sachverständige den Stampftritt auf die Brust eines am Boden Liegenden und den Angriff mit dem Besteckmesser als "abstrakt lebensgefährlich" eingestuft hatte. Letzterer konnte am Ende ohnehin nicht nachgewiesen werden. Und der Tritt war nach Angaben des Opfers weniger heftig, als von der Staatsanwaltschaft angenommen. Letztlich unterscheiden sich also die Plädoyers lediglich im Strafmaß. Die Staatsanwältin fordert drei Jahre Haft, die Verteidigung eine zweijährige Bewährungsstrafe.

Die Rechtsanwältin ist mit dem Resultat der Verhandlung sehr zufrieden, ihr Mandant scheint zunächst wenig begeistert. Als ihm der Dolmetscher übersetzt, dass er weiter im Gefängnis sitzen muss - seit dem Vorfall bis zum Verfahren saß der 33-Jährige in Untersuchungshaft in Stadelheim - bricht er förmlich zusammen, vergräbt den Kopf in seinen auf dem Tisch liegenden, verschränkten Armen. Die Rechtsanwältin bittet um eine Unterbrechung. Als die Verhandlung fortgesetzt wird, hat es Schwerdt geschafft, den Nigerianer davon zu überzeugen, dass er mit dem Urteil zufrieden sein kann. Er verzichtet auf Revision, das Urteil ist rechtskräftig, verkündet Bott. Des weiteren erklärt er dem 33-Jährigen, dass er vermutlich ohnehin nicht mehr lange in einem deutschen Gefängnis sitzen muss, weil er wohl bald abgeschoben werde.

© SZ vom 04.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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