Germering:Talentiert, fleißig, aber nicht willkommen

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Ilda Karaj träumt davon, Ärztin zu werden. Die 15 Jahre alte Albanerin zieht zu ihrem Vater nach Germering - und scheitert um ein Haar am Ausländerrecht.

Stefan Salger

Für Ilda hat sich doch noch alles zum Guten gewendet. Und dabei hatte es lange so ausgesehen, als werde die 15-Jährige in den Mühlen der Bürokratie zermahlen. Die Tochter von Muhamet Karaj sollte das Land verlassen. Obwohl sie doch im Juli 2011 ganz legal eingereist war und zu ihrem 44 Jahre alten Vater, einem gelernten Bautechniker, nach Germering ziehen wollte. Der lebt hier seit seiner Flucht aus dem vom Bürgerkrieg geschüttelten Kosovo. Seit 14 Jahren ist die Familie nur in Urlaubs- oder Ferienzeiten vereint.

Als die Ausländerbehörde Mitte Februar von Zwangsausweisung spricht und den letzten Termin setzt, da weiß Ildas Lehrerin längst die Wissbegier und den Fleiß ihrer Schülerin zu schätzen. "Solche Talente braucht man doch", pflichtet Johannes Rauter bei, der in dieser Zeit fast schon ein Experte im Ausländerrecht geworden ist. Der 67-jährige Volkswirt hat in den vergangenen Jahren zwölf Hauptschülern an der Schwelle von der Schule in den Beruf geholfen und dabei auch einige kennen gelernt, denen es an Motivation fehlte und die nicht erkannten, wie wichtig die deutsche Sprache als Schlüssel für die Integration und auch die berufliche Karriere ist.

Ilda aber hat das erkannt, seit sie 2011 gemeinsam mit der Mutter und dem sieben Jahre alten Bruder mit einem Touristenvisum von Albanien nach Deutschland gekommen ist. Weil alles gut klappte, sollte die Tochter fest in der Wohnung des Vaters einziehen. Sobald sie den Einbürgerungstest besteht, so der Plan der Mutter, will diese mit dem Sohn nachkommen. Muhamet Karaj schreibt Ilda also in der Schule ein. Dort besucht sie zunächst eine Übergangsklassen für Migranten. Rauter übernimmt im November die Betreuung und ist begeistert von ihrer Motivation. Man müsse sie eher bremsen und ihr klar machen, dass man nicht nur zehn Stunden am Tag lernen kann, sondern auch die sozialen Kontakte ausbauen und pflegen muss, etwa in einem Sport- oder Gesangsverein.

Weil Ilda aber mit einem Touristenvisum eingereist ist und deutsches sowie albanisches Sorgerecht die Sache noch komplizierter machen, spitzt sich die Lage um die Jahreswende herum zu. Ilda soll ausreisen, daran ändern auch die guten Schulnoten und der sichtbare Integrationsfortschritt nichts - an den vielen Einsern und Zweiern im Mittelzeugnis lassen sich später Wille und Fleiß buchstäblich schwarz auf weiß ablesen. Die Wende buchstäblich in letzter Minute kommt, als der Vater im März die deutsche Staatsbürgerschaft erhält. "Ich hatte eigentlich schon kapituliert", sagt Muhamet Karaj. Anfang April, als die Sachen der Tochter schon gepackt sind, klappt es doch noch mit dem "Visum für Familiennachzug".

Die Ausländerbehörde in Fürstenfeldbruck habe alle Möglichkeiten ausgeschöpft, lobt Rauter, der sich aber über die einschlägigen Gesetze ärgert: Bis 2025 fehlen in Deutschland den Hochrechnungen zufolge sechs Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter. Dass talentierten und leistungsbereiten Zuwanderungswilligen dennoch Knüppel zwischen die Beine geworfen werden, schade nicht nur diesen Menschen, sondern sei geradezu ein Eigentor für die deutsche Gesellschaft. Der Fall Ilda ist für Rauter zudem "ein Beispiel, dass für eine erfolgreiche Schulkarriere eben nicht nur der Sozialstatus der Familie determinierend ist", wie dies manche Bildungsforscher behaupten. Statt ständig über die angebliche Chancenungerechtigkeit zu lamentieren, solle lieber für eine möglichst unbürokratische "grüne Welle für Talente" gesorgt werden. Zudem fordert Rauter, die Mittelschule "als Integrationsschule der Nation" personell und finanziell besser auszustatten. Ebenso wichtig wie Motivation und Geld ist freilich die Unterstützung der Eltern. Ilda hat großes Glück, denn für ihren Vater "ist Bildung alles".

Die 15-Jährige verfolgt unbeirrt ihr Ziel: Sie will Ärztin werden. Nach dem Halbjahr ist sie in die Regelklasse gewechselt - und dort schon die Beste. Man glaubt es kaum, dass sie vor zehn Monaten noch kein Wort Deutsch konnte. Nun soll dem albanischen Schulabschluss, den sie bereits in der Tasche hat, ein guter Quali folgen. Das würde die Tür öffnen für die zehnte Klasse und dann für die Fachoberschule. Ilda hat sich für ein Stipendium bei der Robert-Bosch-Stiftung beworben. Nur in den Sommerferien geht es gemeinsam mit dem Vater noch einmal in die alte Heimat - zur anderen Hälfte der Familie.

© SZ vom 21.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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