Olympia-Attentat:"Ich habe es nicht begreifen können"

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Anton Fliegerbauer, Neffe des 1972 beim Olympia-Attentat getöteten Polizeibeamten, hat seinen Onkel nicht kennenlernen können. Für den 43 Jahre alten Diakon hat das Gedenken an die Opfer eine besondere Bedeutung

Steine der Erinnerung wählen (von links) Diakon Anton Fliegerbauer, Rabbiner Steven Langnas und der evangelische Pfarrer Markus Ambrosy beim Gedenken vor dem Fliegerhorst aus, um sie an der Gedenkstätte niederzulegen. (Foto: Carmen Voxbrunner)

"Zwölf Monate - zwölf Namen" lautet in diesem Jahr die Reihe der Gedenkveranstaltungen für die Opfer des Olympia-Attentats von 1972. Im Februar wird an den Polizeibeamten Anton Fliegerbauer erinnert, der bei dem Befreiungsversuch auf dem Fliegerhorst Fürstenfeldbruck ums Leben kam. Nach einer Lichtinstallation am Polizeipräsidium München vor wenigen Tagen folgt am Dienstag eine Veranstaltung in der Polizeihochschule in Fürstenfeldbruck, in der es um den Polizisten selbst, die Lehren der Polizei aus dem Attentat und die Erinnerungsarbeit des Landkreises geht. Eingeladen dazu ist auch Anton Fliegerbauer, der Neffe des Getöteten. Er stammt wie sein Onkel aus Ettling in Niederbayern, ist Lager- und Logistikmeister gewesen und hat 2014 den Beruf gewechselt. Der 43-Jährige ist seitdem Diakon und als Seelsorger in zwei katholischen Pfarrgemeinden mit mehr als 7500 Mitgliedern tätig.

SZ: Herr Fliegerbauer, Sie tragen denselben Vornamen wie Ihr Onkel, der Polizeibeamte Anton Fliegerbauer. Welches Vermächtnis bedeutet das für Sie?

Anton Fliegerbauer: Wir haben denselben Vornamen, ich bin im selben Haus aufgewachsen wie er, und manche Menschen sagen mir, ich hätte einige Ähnlichkeit mit meinem Onkel. Wissen Sie, in Ettling wohnen etwa 200 Menschen. Da kennt jeder jeden. Mein Onkel war hier in Vereinen engagiert, er war gesellig und galt im Dorf als Vernunftsperson. Ich bin hier groß geworden, ich lebe hier mit meiner Familie, und ich bin seit 2014 Diakon. Ein Vermächtnis allein durch den Namen sehe ich nicht.

Wann haben Sie wahrgenommen, dass Ihre Familie Teil eines zeitgeschichtlichen Ereignisses ist? Wie sind das Attentat und der Befreiungsversuch der Geiseln in Fürstenfeldbruck in Ihrer Familie erzählt worden?

Es ist nie viel darüber gesprochen worden. Es muss so um 1983 herum gewesen sein, als ich das erste Mal gehört habe, der Onkel sei erschossen worden. Ich habe das damals nicht begreifen können. Erst Anfang der Neunzigerjahre habe ich durch die Medien mitbekommen, was da während der Olympischen Spiele in München passiert ist. Es hat mich sehr interessiert, vor allem das Schicksal der Opfer und die Frage nach dem Warum. Etwa, warum wurden die Olympischen Spiele als Plattform dieses Anschlags gewählt oder warum sind sich dort Menschen aus verschiedenen Kulturen und Religionen begegnet.

Der 32-jährige Münchner Polizeiobermeister Anton Fliegerbauer starb in der Nacht zum 6. September 1972 bei einem Schusswechsel im Erdgeschoss des Towers. (Foto: dpa)

Sie haben etliche Male an den jährlichen Gedenkveranstaltungen vor dem Fliegerhorst teilgenommen und sich unter anderem 2018 mit Rabbiner Steven Langnas und dem evangelischen Pfarrer Markus Ambrosy am gemeinsamen Gebet beteiligt. Außerdem waren Sie Gast bei Veranstaltungen des Landkreises zur Aufarbeitung der Geschehnisse von 1972. Welche Bedeutung haben für Sie diese Veranstaltungen?

Das alles hat eine große Bedeutung für mich. Ich habe im Jahr 2015 zum ersten Mal bei der Gedenkveranstaltung am 5. September teilgenommen. Bis dahin waren aus unserer Familie meine Tante und mein Vater dabei. 2017 war es eine große Ehre für mich, beim Gedenken zum 45. Jahrestag dabei gewesen zu sein. Es geht bei den Veranstaltungen in Fürstenfeldbruck um die Opfer. Und die Gemeinschaft derjenigen, die sich dort versammeln, wird immer wichtiger. Nicht nur, um das Andenken an die Opfer zu erhalten, sondern auch für mich persönlich. Es ist schon eine freundschaftliche, ja fast eine familiäre Atmosphäre, wenn sich die Angehörigen der Opfer aus Israel, unsere Familie und die Verantwortlichen aus dem Landratsamt dort treffen. Ich bin besonders Landrat Thomas Karmasin und Ulrike Gruber aus seinem Büro dankbar, dass sie sich so um das Gedenken kümmern. Ich hoffe, dass es gelingt, engere Kontakte zu knüpfen, sodass sich alle auch einmal in Israel treffen können. Das fände ich verbindend.

Das Gedenken findet in der Regel vor der Kaserne statt. Haben Sie den Ort, an dem Ihr Onkel gestorben ist, schon einmal besucht?

Ja, ich war schon am Tower im Fliegerhorst, und ich war überrascht, wie viel dort seit 1972 verändert worden ist. Man kennt das von den Bildern, vor allen denen, auf denen der ausgebrannte Hubschrauber vor dem Tower steht. Ich weiß, dass dort mein Onkel gestorben ist. Ich habe mit meiner Familie auch den Ort besucht, wo alles begann. Wir waren im olympischen Dorf vor dem Haus, in dem die israelische Mannschaft gewohnt hat und von den Terroristen angegriffen wurde. Das gehört zusammen.

Unter anderem mit Ausstellungen ruft der Landkreis die Ereignisse von 1972 in Erinnerung. (Foto: Johannes Simon)

Es ist seit langem in der Diskussion, den Originalschauplatz, den alten Tower im Fliegerhorst, zum zentralen Ort für Gedenkveranstaltungen zu machen. Welche Ideen hätten Sie, welche Inhalte sollten dort Ihrer Meinung nach vermittelt werden?

Ich könnte mir vorstellen, dass aus dem Tower eine Begegnungsstätte werden können. Denn über das reine Gedenken an die Opfer hinaus sollten dort Menschen von überall her aufeinandertreffen können, um sich darüber klarzuwerden, wie wichtig es ist, Vorurteile abzubauen. Wenn man gelernt hat, nicht mehr mit dem Finger auf andere zu zeigen, ist schon viel gewonnen. Mir wäre wichtig, dass die Menschen hier lernen, dass einer nicht schlechter als der andere ist. Gerade in dieser Zeit der Globalisierung, in der die Welt kleiner zu werden scheint, sollte man aufhören, Gewalt anzuwenden. Junge Leute sollten dort zusammenkommen und sich zum Beispiel die Frage stellen, was haben das Christentum, das Judentum und der Islam zu bieten. Es geht doch um eine friedliche Zukunft. Wenn wir das dort erfahren und begreifen, dann ist das mehr wert als ein weiterer Gedenkstein.

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