S-Bahn:Söder lässt Karmasin im Unklaren

Lesezeit: 3 min

Landrat Thomas Karmasin (links) nimmt es gelassen, dass ihm die Staatskanzlei von Ministerpräsident Markus Söder (beide CSU) die neuerlichen Verzögerungen beim Bau der zweiten Stammstrecke in München verschwiegen hat. (Foto: Johannes Simon)

Der Landrat wendet sich im Frühjahr 2022 wegen der Regionalzüge an die bayerische Staatskanzlei. Die verschweigt in ihrer Antwort die Verzögerung beim Bau der zweiten Stammstrecke in München.

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

Die bayerische Staatskanzlei hat Landrat Thomas Karmasin (CSU) verschwiegen, dass sich der Bau der zweiten Stammstrecke in München um Jahre verzögert. Dass in Althegnenberg, Haspelmoor und Mammendorf danach weniger Regionalzüge halten werden, wurde auf das Projekt Stuttgart 21 abgewälzt.

Der Landrat gibt sich großmütig gegenüber seinem Parteifreund, dem Ministerpräsidenten Markus Söder. Nein, er fühle sich nicht hinter die Fichte geführt, sagt Karmasin. "Eine abgestimmte Kommunikationsstrategie, die nicht Einzelpersonen vorab informiert, halte ich für üblich und richtig. Ob die Kommunikation im Nachhinein betrachtet insgesamt rechtzeitig war, kann ich nicht beurteilen", erklärt der Landrat.

Newsletter abonnieren
:SZ Gerne draußen!

Land und Leute rund um München erkunden: Jeden Donnerstag mit den besten Freizeittipps fürs Wochenende. Kostenlos anmelden.

Karmasin hatte dem Ministerpräsidenten am 31. März 2022 geschrieben. Er verwies auf einen Beschluss des Kreistages, wonach der Bau der zweiten Stammstrecke nicht dazu führen dürfe, dass sich das Zugangebot für die Landkreisbürger verschlechtert, insbesondere nicht im Nordwesten.

Vorwurf von Runge

Das ist für sich schon bemerkenswert, denn der von CSU und Freien Wählern dominierte Kreistag übernahm damit den Vorwurf von Martin Runge. Der Landtagsabgeordnete der Grünen zählt von Anfang an zu den schärfsten Kritikern des Münchner Mammutprojekts. Runge hatte stets gewarnt, das Projekt werde erheblich teurer und länger dauern, als die Staatsregierung behauptete, und sei verkehrsmäßig unsinnig, weil es die zentralistische Struktur der S-Bahn zementiere, statt ein Netz aufzubauen. Obendrein würden die Milliarden, die in München versenkt werden, für wichtige Bahnprojekte fehlen und sich das Angebot im Umland verschlechtern.

Der viergleisige Ausbau der Strecke im Nordwesten des Landkreises, etwa in Mammendorf, ist lange vollbracht, aber das Angebot für die Pendler hat sich nicht verbessert. (Foto: Günther Reger)

In seinem Brief schildert Karmasin, wie sich das Angebot an Regionalzügen, für das der Freistaat verantwortlich ist, für Althegnenberg, Haspelmoor und Mammendorf in all den Jahren stetig verschlechtert habe. Wesentlich besser bedient würden dagegen die Fahrgäste im Landkreis Aichach-Friedberg.

Karmasin wies darauf hin, dass zwar eine neue Regional-S-Bahn S 23 X stündlich verkehren soll, wenn die Röhre irgendwann mal fertig wird, aber Regionalzüge würden gar nicht mehr dort halten. Die Express-S-Bahn hingegen soll zusätzlich an vier S-Bahnhöfen halten, was die Reisezeit der Bewohner des Nordwestens nach München verlängert. In Mammendorf seien nur noch zwei Zughalte statt vier pro Stunde vorgesehen.

Das Schreiben aus Fürstenfeldbruck ging am 20. April 2022 in der Staatskanzlei ein. Am 17. Mai fertigt das zuständige Referat einen Vermerk über den Sachverhalt samt Bewertung an. Darin wird empfohlen, auf die S 23 X als Verbesserung hinzuweisen. Denn ansonsten schaut es nicht gut aus für die Pendler im Nordwesten.

Verantwortung der Bahn

Wenn der Neubau der Bahnstrecke zwischen Stuttgart und Ulm fertig sei, werde es schwierig, das Angebot im Nahverkehr aufrechtzuerhalten oder auszuweiten, heißt es darin. Zwar setzten sich das bayerische Verkehrsministerium und die Bayerische Eisenbahngesellschaft dafür ein, aber der Bund und die DB Netz seien verantwortlich, das Angebot liege nicht "im Einflussbereich der Staatsregierung". Insgesamt seien Verbesserungen für Althegnenberg, Haspelmoor und Mammendorf "kaum realisierbar".

Die Befürchtung, nach Inbetriebnahme der zweiten Stammstrecke in München könnte sich das Angebot verschlechtern, "könnte zwar ausgeräumt werden, das Angebot wird nämlich sogar verbessert", heißt es weiter in dem Vermerk. Allerdings sollte dieser Aspekt wegen "der Verzögerungen bei der 2. Stammstrecke (Inbetriebnahme vsl. 2036, noch nicht öffentlich kommuniziert) möglichst nicht herausgehoben werden".

Höhere Nachfrage in Aichach

Der Mitarbeiter empfahl, in der Antwort an den Brucker Landrat auf die Verbesserung durch die Express-S-Bahn hinzuweisen, aber auch zu schreiben, dass Regionalzughalte am Morgen mangels Kapazitäten nicht möglich seien. Mehr als der 20-Minuten-Takt bei der S 3, der ab Dezember 2022 gelte, sei nicht drin. Dass es die Pendler im Landkreis Aichach besser haben, liege an der höheren Nachfrage dort, ist der Argumentationshilfe zu entnehmen.

Der Leiter der Staatskanzlei, Florian Herrmann, ging in seiner Antwort an den "lieben Thomas" vom 25. Mai 2022 über die Empfehlung im Aktenvermerk hinaus. Die Verzögerung beim Bau in München wurde nicht nur nicht herausgehoben, sondern gar nicht erst erwähnt. Stattdessen heißt es darin, wegen Stuttgart 21, dem ebenso umstrittenen Megaprojekt in der schwäbischen Metropole, würden "die Spielräume im Nahverkehrsangebot noch weiter reduziert", zuständig für den Fahrplan sei jedoch die DB Netz AG. Die Staatsregierung werde sich aber dafür einsetzen, das Angebot "in diesem schwierigen Umfeld aufrechtzuerhalten und nach Möglichkeit auszubauen".

Nachdem immer mehr Details über die Kostenexplosion und die Verzögerung beim Bau der Münchner Röhre durchsickerten, ging der bayerische Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) Ende Juni 2022 an die Öffentlichkeit. Er schob der Bahn die Schuld an der Kommunikationsstrategie der Heimlichtuerei zu.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusSöder und die S-Bahn
:"Hier bahnt sich ein größeres Desaster mit Ansage an!" - "Alarm!!!"

Bayerische Regierungsakten belegen, dass Ministerpräsident Markus Söder und seine Staatskanzlei lange und eindringlich vor einem Debakel bei der zweiten Stammstrecke der Münchner S-Bahn gewarnt waren. Es ist ein Drama in zehn Akten, zu dem Söder jetzt im Landtag aussagen muss.

Von Klaus Ott

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: