Wenn Judith Gerlach, die Staatsministerin für Digitales von der CSU vorbeikommt, kann es nur um die Digitalisierung im Freistaat gehen. Bei einem Besuch in Germering erzählt Gerlach, die in Aschaffenburg wohnt, von Erlebnissen, bei denen sie unterwegs schon mal ohne Handynetz war. Noch gibt es längst nicht überall Breitband-Internet - Digital-Diaspora Deutschland. "Wir hätten den Internet-Ausbau nicht den privaten Firmen überlassen sollen", räumt der anwesende CSU-Landtagsabgeordnete Benjamin Miskowitsch ein. "Wir hätten das selber machen sollen. Jetzt kostet uns das deutlich mehr."
"Die Genehmigungsverfahren dauern zu lange", kritisiert Gerlach und: "Die Kommunen müssen auch die Förderung abrufen." Beim Besuch in der Großen Kreisstadt bekommt die Digital-Ministerin einen örtlichen Vorzeigebetrieb in Sachen digitalisierter Prozesse vorgeführt. Das Unternehmen Docuware betreibt seit 1988 IT-gestütztes Dokumentenmanagement. Im schmucken Neubau der Firma sticht dem Besucher der Unternehmenszweck sofort ins Auge.
Neben jeder Tür, und es gibt viele Türen im mehrstöckigen Gebäude an der Planegger Straße, sind Schilder angebracht, aber keine analogen. "Digitale Buchungspanels" nennt sie Geschäftsführer Michael Berger beim Rundgang durchs Haus. Dort können Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stundenweise Besprechungstermine eingeben und so den Raum reservieren. "Haben wir noch nicht im Ministerium", sagt Gerlach. Besonders beliebt seien kleinere Räume - "Kommunikationszellen" nennt sie Berger. Die sind nur drei oder fünf Quadratmeter groß. "Die sind sehr gern genommen."
Doch im Docuware-Haus, in der gerade eine Mitarbeiterparty läuft und das Durchschnittsalter der Beschäftigten eher bei etwa 30 Jahre zu liegen scheint als darüber, geht es bei der Einrichtung sehr analog zu. Überall sind Ruhezonen auszumachen, die mit Sofas ausgestattet sind. Im obersten Stockwerk sind in einem großen Raum Sportgeräte zu besichtigen. Hanteln stehen herum. Ja, auch Bewegung und Sport sind offenbar gern gesehen und sollen die Arbeitslaune stimulieren. Das Docuware-Haus ist groß, häufig sind nur 80 Beschäftigte anwesend. Es gibt viel Homeoffice und Vertrauensarbeitszeit, also Arbeit ohne direkte Zeiterfassung. 2022 gab es den Top-Job Award.
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Die Belegschaft soll sich wohlfühlen. Docuware wächst weiter und muss Mitarbeiter halten und neue dazu gewinnen. Mindestens 40 offene Stellen gibt es allein am Hauptquartier in Germering zu vergeben. Dort arbeiten 280 Menschen, wenn alle da sind; weltweit sind es etwa 530. IT-Spezialisten aller Art und welche fürs Marketing werden ständig gesucht, aber kaum gefunden. Die Konkurrenz der Großunternehmen in München, wie Google, BMW oder Microsoft, sei einfach zu groß, klagt Marketing-Geschäftsführer Max Ertl.
Die Belegschaft ist international besetzt, die Geschäftssprache ist Englisch. Docuware bietet ausschließlich die eigene Standard-Software für Dokumentenspeicherung an und arbeitet vor allem für mittelständische Unternehmen. 70 Prozent des Umsatzes macht das Unternehmen mit Firmen zwischen 20 und 500 Personalstärke. Tätig ist man in hundert Ländern. Das Umsatzwachstum des vergangenen Geschäftsjahres betrug 23,7 Prozent. Die Umsatzzahlen sind jedoch geheim.
Seit zehn Jahren bietet Docuware cloudbasierte Lösungen an. 7000 Cloud-Kunden hat das Unternehmen mittlerweile. "Bei der cloudbasierten Datenspeicherung läuft in den Ministerien noch nichts", hat Judith Gerlach, seit 2018 im Amt, zuvor schon berichtet. Vom Staat sei da keine Lösung zu erwarten.
Docuware fühlt sich unter anderen auch durch den EU-Datenschutz gegenüber der internationalen Konkurrenz benachteiligt. Andere Vorschriften würden ebenso große Unsicherheit bei Mittelstandsfirmen verbreiten und die Kundenakquise erschweren. Dazu komme immer wieder das Internetproblem. Geschäftsführer Ertls Dauererfahrung: "Häufig haben die Kunden kein vernünftiges Internet zur Verfügung."