Brauchtum:Lichtgestalt überstrahlt Corona

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Luzienhäuschen schwimmen an der Amperbrücke in Fürstenfeldbruck. (Foto: Stefan Salger)

Für die Besucher des Luzienhäuschen-Schwimmens in Fürstenfeldbruck gelten strenge Zutrittsregeln.Dennoch gibt es einen Hoffnungsschimmer

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Die beliebte Brauchtumsveranstaltung fand nach der Absage letztes Jahr heuer wieder statt. (Foto: Stefan Salger)

Natürlich steht am Montagabend die "Lichtgestalt" im Blickpunkt, der mit dem Brauchtum des Luzienhäuschen-Schwimmens gehuldigt wird. Aber der dunkle Schatten hinter der Schutzheiligen ist auch nicht zu übersehenen: Corona. Und die vierte Welle kann niemand der Amper anlasten. Sie ist vielmehr schuld daran, dass nur Zutritt zum abgesperrten Gelände rund um Amperbrücke und Leonhardikirche erhält, wer strenge Auflagen erfüllt. Letztlich ist dies der Grund, dass bei leichtem Nebel in diesem Jahr lediglich etwa 120 mit Kerzen illuminierte Modellhäuschen den Fluten der Amper übergeben werden - und nicht 250, wie vor zwei Jahren. Immerhin fand die beliebte Brauchtumsveranstaltung überhaupt statt, nachdem sie vor einem Jahr coronabedingt ins Wasser gefallen war.

Mit Gittern, wie man sie vom Volksfestaufzug oder Marktsonntag kennt, ist der Bereich abgesperrt, Sicherheitskräfte lassen Erwachsene nur passieren, wenn diese sowohl geimpft als auch frisch getestet sind und Mundschutz tragen. Ein Elternteil pro maximal zwölfjähriges Kind ist erlaubt. Zwei Jugendliche, die ihre Gitarren geschultert haben, scheitern gegen 17 Uhr prompt an dieser Hürde. Sie wollen vom Marktplatz eigentlich nur über die Brücke zur Musikschule auf der anderen Seite, müssen dann aber den Umweg über den Silbersteig machen. Einige Erwachsene wollen die Absperrung nicht akzeptieren. Einer älteren Frau müssen sich die Sicherheitsleute nachdrücklich in den Weg stellen, ein Mann wird fast handgreiflich.

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(Foto: Carmen Voxbrunner)

Louisa aus der 4a der Schule an der Philipp-Weiß-Straße hat gemeinsam mit ihren Eltern die Aumühle nachgebaut.

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(Foto: Carmen Voxbrunner)

Insgesamt wurden rund 120 Miniatur-Gebäude angefertigt.

Der Platz neben der Leonhardikirche füllt sich nach Einbruch der Dunkelheit zunehmend, und es kehrt langsam die Ruhe ein, die sich alle von dieser schönen und stimmungsvollen Veranstaltung erwarten. Immer mehr Häuschen werden von den Mädchen und Buben auf die bereitstehenden Tische platziert. Wunderschöne Modelle in allen Größen sind wieder dabei. Da gibt es das klassische Einfamilienhaus mit Fenstern aus dem obligatorischen bunten Transparentpapier. Es hat eine blaue Fassade mit goldenen Sternen. Und im kleinen Garten stehen eine Tanne und zwei Laubbäume. Daneben steht kein Haus, sondern ein hohler Baumstumpf. Darin wohnt eine große Ameise, wenn sie nicht gerade unterm Fliegenpilz-Sonnenschirm liegt. Etwas weiter stellt kurz vor Beginn der Andacht ein Kind noch schnell das Krankenhaus auf den Tisch. Der Papa muss noch schnell das abgefallene Rotorblatt des Papp-Hubschraubers befestigen.

Viele Modelle von historischen Gebäuden haben die Kinder gebastelt. (Foto: Voxbrunner Carmen)

So eine Panne muss die zehn Jahre alte Louisa aus der vierten Klasse der Grundschule an der Philipp-Weiß-Straße nicht befürchten. Denn auf ihrer Aumühle kann kein Hubschrauber landen, schon wegen der vier markanten Ecktürmchen nicht, die mit Papprollen nachgebildet sind. Einen Tag lang hat Louisa gemeinsam mit ihren Eltern das Brucker Wahrzeichen aus allen möglichen Kartons nachgebildet und mit Acrylfarbe bemalt. Geübt hatte sie schon in den Jahren zuvor, da baute sie mal ein Playmobilhaus und mal aus einem Schuhkarton ein kleines Theater, auf dessen Bühne kleine Marionetten auftraten. Für Louisa ist das Luzienhäuschen-Schwimmen eine Premiere. Die bevorstehende Trennung von dem kleinen Architektur-Kunstwerk fällt ihr dennoch nicht schwer. "Wenn's gegen Hochwasser hilft, ist es schon okay", sagt sie. Ihr schelmisches Lächeln verrät, dass sie schon weiß, dass es hier halt um einen schönen Brauch geht, gegen Hochwasser aber eher Klimaschutz und notfalls Dämme helfen.

Fast unter der stilisierten Gondel des Restaurants Venezia schieben zwei "alte Hasen" eine große Holzplatte mit einem ansehnlichen Haus in Position. Es sind Teresa, zehn, und Melinda, elf Jahre alt. Die zwei besuchen fünfte Klassen der beiden Brucker Gymnasien. Und das, obwohl hier doch eigentlich nur Grundschüler am Werk sein sollten? Des Rätsels Lösung: Bereits 2020 bastelte die Klasse in zwei Kunst-Doppelstunden die Villa. Dann aber fiel das Luzienhäuschen-Schwimmen aus. Vor ein paar Tagen meldete sich die damalige Klassenlehrerin und fragte, ob die beiden Freundinnen das Haus nicht im Namen der einstigen 4c der Grundschule Mitte ins Wasser setzten wollen. Wollten sie natürlich, zumal sie auch die nötige Routine mitbringen: "Von der ersten bis zur dritten Klasse war Teresa immer mit großer Begeisterung dabei", verrät ihre Mutter.

Zwischen Leonhardikirche und Amper warten alle Häuser darauf, nach der Segnung durch Pfarrer Otto Gäng der Amper anvertraut zu werden. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Als um 18 Uhr die Glocken der Leonhardikirche erklingen, wird es mucksmäuschenstill. Der leichte Nebel hat sich gelichtet, die großen Sterne über der Münchner Straße strahlen mit den künstlichen Kerzen am großen Christbaum um die Wette. Oberbürgermeister Erich Raff spricht von einem "tollen Fest ", auch wenn die "besonderen Zeiten" besondere Maßnahmen erfordern. Er lobt die Kinder und die Jugendgruppe des Technischen Hilfswerks, die ebenfalls ein Haus beigesteuert hat. Und er dankt der Wasserwacht für die Unterstützung. Dritte Bürgermeisterin Birgitta Klemenz erläutert den Brauch, der sich um die Märtyrerin dreht, bevor die beiden Pfarrer Otto Gäng und Valentin Wendebourg die Häuser segnen und beim Anzünden der Teelichter assistieren.

Als auf der anderen Seite der Amper, etwas flussaufwärts, die ersten leuchtenden Häuschen aufs Wasser gesetzt werden und dann langsam unter der mit Zaungästen besetzten Amperbrücke hindurchtreiben, stimmt der Posaunenchor "Alle Jahre wieder" an. Das passt - abgesehen vom vergangenen Jahr. Die flackernden Fenster sind wie ein Hoffnungsschimmer. Auf dass es auch im kommenden Jahr wieder ein Luzienhäuschen-Schwimmen gebe! Dass eines der Hausboote im Uferdickicht hängen bleibt? Kein böses Omen! "Da kommt noch eines" ruft ein Bub aufgeregt. Und richtig: An dem havarierten Modell zieht majestätisch das letzte Miniaturhaus vorbei.

© SZ vom 15.12.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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