Gefährdetes Ökosystem:Goldfisch in der Fröttmaninger Heide

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Durchwachsene Bilanz: Tobias Maier, Gebietsbetreuer der Fröttmaninger Heide, hat zuletzt zunehmende Nutzungskonflikte im Biotop festgestellt. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Im Südteil des Fröttmaninger Biotops wollen sich Mensch und Tier gleichermaßen ausbreiten - besonders während der Pandemie. Über einen schwierigen Spagat zwischen Freizeitnutzung und Artenschutz im Naturschutzgebiet.

Von Benjamin Stolz

Im Tümpel herrscht wieder Ruhe. Noch vor Kurzem hatten sich in einem kleinen Teich in der südlichen Fröttmaninger Heide etwa 1200 Goldfische getummelt. Diese bildeten nicht nur einen optischen Kontrast zum grauen Kies ringsum, sondern sorgten für ein problematisches Ungleichgewicht in der sensiblen Flora und Fauna des Naturschutzgebietes unweit der Allianz-Arena. Immer wieder setzen Menschen dort Tiere aus und gefährden dabei ein empfindliches Ökosystem. Gebietsbetreuer Tobias Maier, auch im Winter barfuß in Sandalen unterwegs, geht in die Hocke und inspiziert den frisch gereinigten Teich. Klar bis zum Boden. "Wenn es trüb ist, dann bekommen Wasserpflanzen kein Sonnenlicht", erklärt er.

Siedeln sich Fische dort an, wo sie nicht sollen, wirbeln sie Schlamm auf und beeinträchtigen den Lebensraum von Wasserpflanzen. Der Biologe findet am Ufer ein Stückchen Dichtes Fisch- oder Laichkraut, groenlandia densa, das in Bayern als gefährdet eingestuft ist. Jetzt kann es wieder ungestört wachsen. Die Goldfische, die hier kurzzeitig lebten, haben, so Maier, "Glück gehabt": Ende November rückte eine Abordnung des Fischereivereins Garching in der Heide an. Helfer pumpten den Tümpel ab, betäubten die Fische mit Strom, sammelten sie ein und übersiedelten sie in den Garchinger Stadtweiher.

Die Goldfisch-Aktion steht symptomatisch für eine nicht unproblematische Entwicklung in der Heidelandschaft. Zu Beginn der Pandemie kamen mehr Menschen in die südliche Fröttmaninger Heide und hinterließen ihre Spuren. "Anfang letzten Jahres hat sich die Besucherzahl vervierfacht", sagt Maier. Das 347 Hektar große Areal beheimatet 350 verschiedene, teils seltene Pflanzenarten. Der Kalkmagerrasen der Heide ist der nährstoffarme Grund für einen ungewöhnlichen Artenreichtum, auf dem die größte Wechselkröten-Population Bayerns, seltene Schmetterlinge und typische Vogelarten ihren Platz finden. Im vergangenen Jahr fiel die Vogelbrut der Bodenbrüter, die ihre Nester direkt auf der Erde bauen, durch den Besucherzustrom nahezu komplett aus. Ein Problem für die Graslandschaft sind freilaufende Hunde, die den Krötenlaich oder Vogelnester gefährden. "Zwei Hunde könnten einen Kalkmagerrasen so groß wie den Marienplatz in einem Jahr vernichten", schätzte Tobias Maier jüngst in einem Vortrag für den Landesbund für Vogelschutz. "Hunde und Naturschutz passen einfach nicht gut zusammen."

Christine Joas ist Geschäftsführerin des Heideflächenvereins, der das Gebiet 2007 von der Bundeswehr erworben hat. Die Autobahnumgehung A 99 teilt die Fröttmaninger Heide in einen nördlichen Abschnitt, der immer noch von der Bundeswehr genutzt wird, und in den südlichen, teilweise zugänglichen Teil. Zusammengerechnet ist sie die größte noch erhaltene Fluss-Schotterheide Süddeutschlands. Joas' Verein errichtete am südlichen Eingang das Heidehaus, ein "Informations- und Bildungszentrum", sowie einen Lehrpfad. "Man sollte auf den Wegen bleiben", empfiehlt Joas nach wie vor, nicht nur aus Naturschutz-, sondern vor allem aus Sicherheitsgründen. Gut 200 Jahre lang haben auf der früheren Weidefläche unter anderem Einheiten der bayrischen Armee, der Wehrmacht, der US-Armee und zuletzt der Bundeswehr trainiert. Zurück blieben Bomben, Minen und andere Munitionsreste, die teilweise noch heute unter der Erde liegen. Erst 17 Prozent des gesamten Gebiets, darunter ein 22 Kilometer langes Wegenetz, sind entschärft. Nächstes Jahr sollen die Arbeiten weitergehen. Die Entmunitionierung von 58 Hektar hat bisher zwei Millionen Euro gekostet.

Ein großer Teil der Heide ist eine ganzjährig gesperrte Schutzzone

Eine Tafel am Eingang zur Heide zeigt schematisch, auf welchen Wegen und Zonen sich die Besucher frei bewegen dürfen. Die "Zone für das Heideerleben" darf in der Brutzeit von März bis Juli nicht betreten werden. Ein großer Teil der Heide ist eine ganzjährig gesperrte Schutzzone. Die gesicherten und betretbaren Zonen - auf der Karte grün markiert - wirken nur wie ein Bruchteil des Gebiets, seien aber, so Joas, in Summe größer als ein durchschnittlicher Stadtpark.

Auf den Wegen bleiben: Das nützt Tier wie Mensch gleichermaßen. (Foto: Alessandra Schellnegger)

"Es gibt Leute, die meinen, sie müssen hier das Sagen haben, obwohl ihnen das Gebiet nicht gehört", sagt Tobias Maier, und deutet auf die erst im vergangenen Jahr errichteten Markierungen am Wegrand. Die Tafeln an den Holzpflöcken, die den sicheren Pfad von dem potenziell gefährlichen Gebiet trennen, wurden bald nach ihrer Installation von Unbekannten abgerissen.

Hanna Kokorsch von der Interessengemeinschaft (IG) Heide verurteilt den Vandalismus, wundert sich jedoch nicht über den Groll mancher Besucher. Für sie wirkt die Einteilung des entmunitionierten Wegnetzes teilweise "mehr wie eine Schikane als eine ernstzunehmende Regelung". Die IG Heide hat sich in einem drei Jahre dauernden Bürgerbeteiligungsprozess rund um die Erstellung des heutigen Nutzungskonzepts für die Interessen der Anrainer eingesetzt. Erreicht hat sie unter anderem eine unter besonderen Auflagen mögliche Befreiung von der Hundeleinenpflicht. "Wir wollen hier keinen Park für die Hunde haben", erläutert Kokorsch, "aber im Winter sollte man den Hund auch mal frei laufen lassen können". Besonders kritisiert sie die Errichtung des "Heideblicks", einer Art Aussichtsplattform über das Sperrgebiet. Der dafür durchbrochene bewaldete Wall nütze den Anrainern eigentlich als Lärmschutz gegen die nahe Autobahn.

Das Biotop ist einzigartig, auch weil es so nah am städtischen Siedlungsgebiet liegt. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Vielfältige und teilweise konträre Ansprüche an städtische Freiflächen sind ein bekanntes Problem. "Allgemein haben Nutzungskonflikte in Stadtregionen in den letzten Jahren erheblich zugenommen", erklärt Dieter Rink, Stadtsoziologe am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung. Dies liege einerseits an einem von der Pandemie befeuerten "Nutzungsdruck" sowie an vermehrten "Bemühungen für den Schutz von Grün- und Freiflächen". Der Heideflächenverein betreut zugleich ein beliebtes Naherholungsareal mit U-Bahn-Anschluss und ein Natura-2000-Gebiet. "Die naturschutzfachliche Qualität im Gebiet darf sich nicht verschlechtern", ist sich Christine Joas bewusst.

Werden geschützte Tierarten wissentlich gefährdet, dann hat das rechtliche Konsequenzen für Trägerorganisationen und Staaten. 2016 sprach der europäische Gerichtshof etwa die griechische Regierung schuldig, die gefährdete Meeresschildkröte caretta caretta nicht ausreichend vor am Strand geparkten Autos und bitumenbeschichteten Wegen geschützt zu haben. Die heimische Wechselkröte befindet als eines von 13 Amphibien im Anhang IV der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie und genießt somit einen der höchsten Schutzränge in Deutschland.

Christine Joas, Geschäftsführerin des Heideflächenvereins, weiß, dass sich die Situation in der Heide nicht verschlechtern darf. (Foto: Alessandra Schellnegger)

In der Umweltbildungszone rund um das Heidehaus sehen die Besucher, was man im Zuge der Entmunitionierung alles unter der Heide gefunden hat: betonierte Laternenmasten, die nun die Pfade säumen. Betonklötze, die auf einem alten Fundament platziert neuerdings als Sitzgelegenheiten dienen. Dicke Betonpfosten, die künstlich angeordnet daliegen wie gigantische graue Gerippe auf violett-gelben Flechten. "Es passt nicht zur Landschaft, dass man den Menschen aussperrt", meint Tobias Maier.

Ein Lkw-Hersteller macht bis heute angeleitete "Pflegefahrten" auf den Heidewegen

Die Entwicklung der südlichen Fröttmaninger Heide ist eine Geschichte der mal friedlichen, mal brutalen Koexistenz von Menschen und Tieren, von Stadt und Natur. Die bis heute andauernde Nutzung als Weideland für Schafe und andere Kleintiere verhindert eine Verwaldung des Gebiets und erhält die artenreichen Rasen. Die Panzerfurchen, die über das ganze Gelände verteilt sind, ließen den perfekten Lebensraum für die Wechselkröte entstehen, der mit dem Kanalisieren der Isar-Auen verloren ging. Ein Lkw-Hersteller macht bis heute angeleitete "Pflegefahrten" auf den gesicherten Wegen der Heide, die die Erde festdrücken und verhindern, dass die Krötentümpel zu schnell versickern.

Die Natur erholt sich - wenn man sie lässt. (Foto: Alessandra Schellnegger/Alessandra Schellnegger)

Tobias Maier beobachtet, dass sich in jüngster Zeit neue Tierarten wie die Ringelnatter in der Heide zeigen. "Es funktioniert momentan etwas ruckelig", resümiert Maier die Lage auf der Heide. Trotzdem will er die Zukunft des Gebiets nicht pessimistisch sehen. "Es wäre halt gut, wenn sich die Leute ganzjährig an das Wegegebot halten würden." Mit Ende des Jahres gibt Gebietsbetreuer Tobias Maier die südliche Fröttmaninger Heide "aus privaten Gründen" ab und kümmert sich um seine fünf anderen geschützten Landschaften im Norden von München. Seine Nachfolgerin, die Anfang 2022 vorgestellt wird, soll nur mehr für die Heide am Münchner Stadtrand zuständig sein, denn das besondere Naturschutzgebiet ist nicht nur Heimat von seltenen Kröten und Kalkmagerrasen, sondern vor allem ein Ort der Kompromisse.

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