Schulen im Landkreis Freising:"Eine ganze Generation geht verloren"

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Kerstin Rehm, die Kreisvorsitzende des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes, warnt seit Langem vor einem eklatanten Lehrermangel und seinen Folgen. Verändert hat sich bislang nichts. (Foto: Marco Einfeldt)

Vom BLLV kommt harsche Kritik an der Politik. Auch im Landkreis gibt es einen Lehrermangel und überfüllte Schulklassen. Eine neue Kooperation des Schulamtes mit der LMU München macht zumindest Hoffnung auf eine bessere Schule von morgen.

Von Gudrun Regelein, Freising

Harsche Kritik an der derzeitigen Schulpolitik hat es bei der Jahresfeier des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV) gegeben. Ein verheerender Lehrkräftemangel in allen Schularten, zu wenig Lehrernachwuchs, Lehrkräfte, die an ihrer persönlichen Belastungsgrenze oder darüber arbeiten, und große oder sogar überfüllte Schulklassen seien einige der Folgen einer fehlgeleiteten Kultuspolitik, sagte Kreisvorsitzende Kerstin Rehm. Ein "fundamentaler Neubeginn im Bildungswesen" sei notwendig.

Auch im Landkreis Freising sei die Situation wieder angespannt, bestätigt Rehm der SZ Freising. Wegen der hohen Zahl an Grippe- und Coronaerkrankungen gebe es einen Engpass. "Viele Kollegen, die die Vertretung übernehmen müssen, sind am Limit." Abgesehen von der aktuellen Situation seien im Landkreis Lehrkräfte immer knapp. Not- und Überbrückungsmaßnahmen seien an der Tagesordnung. "Wir sind dankbar für jeden Nachrücker oder Studenten, der einspringt", sagt Rehm. Volle oder übervolle Schulklassen, die durch Kinder mit Migrationshintergrund immer weiter aufgefüllt werden, seien auch im Landkreis keine Ausnahme mehr.

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Viele dieser Kinder in Grund- und Mittelschulen hätten nur mangelnde bis fast gar keine Deutschkenntnisse, schildert Rehm. Das erschwere den Unterricht. Eigentlich bräuchten diese Kinder einen vorgeschalteten Grundsprachkurs, bevor sie in eine Klasse integriert werden können. Mit einer gezielten und nachhaltigen Förderung müsste aber eigentlich bereits in der Kita begonnen werden. Die Jugendhilfe und Jugendämter müssten Familien, die ihre Aufgaben nicht alleine bewältigen können, stärker unterstützen. "Hier braucht es ein ganzes Paket an Maßnahmen", fordert Rehm.

Gleichzeitig aber gebe es an die Lehrkräfte beziehungsweise Bildungsinstitutionen immer mehr Ansprüche seitens der Politik und Gesellschaft. "Schule als Denkfabrik: ja, unbedingt", sagt Rehm. "Schule als Lösungsfabrik gesellschaftlicher Defizite: nein. Das schaffen wir nicht". Die Gesellschaft und vor allem die politisch Verantwortlichen müssten endlich begreifen, dass Schule alleine nicht ausgleichen könne, was in der frühkindlichen Erziehung versäumt wurde.

Pisa-Studie zeichnet ein erschreckendes Bild

Die Schule stehe vor dem derzeit kaum lösbaren Dilemma, dass die zunehmend leistungsschwächeren, verhaltensauffälligen und die kaum Deutsch sprechenden Schülerinnen und Schüler nicht angemessen unterstützt werden können. Leistungsstärkere dagegen könne man nicht gezielt fordern. Eine Möglichkeit wäre, Grund- und Mittelschulen deutlich mehr Mittel zur Verfügung zu stellen, sagt Rehm. "So könnten sich diese auf das Wesentliche konzentrieren." Am Ende der vierten Klasse müssten alle Kinder lesen, schreiben und rechnen können - und andere grundlegende Kompetenzen erworben haben.

Die jüngste Pisa-Studie habe ein erschreckendes Bild gezeichnet, sagt Rehm. Einem Drittel der 15-Jährigen fehlten Basiskenntnisse in Mathe und Deutsch. Deutschland drohe zum Bildungsabsteiger zu werden, wenn die Politik nicht entschieden gegensteuere. "Wenn wir alles beim Alten belassen, geht uns - auch als Spätfolge von Corona - eine ganze Generation verloren, die die grundlegenden Fähigkeiten für die Arbeitswelt nicht erlernt hat."

Freigabe von Cannabis sieht Kerstin Rehm skeptisch

Ein anderes Thema, das Kerstin Rehm beschäftigt, ist die gesetzliche Freigabe von Cannabis - und vor allem die Folgen für Jugendliche. Die Entkriminalisierung sei positiv zu sehen, sagt sie, ein freier Zugang sei aber kritisch. Es gebe zahlreiche Untersuchungen, die besagen, dass Jugendliche bei verstärktem Cannabiskonsum gesundheitliche Schäden - unter anderem Psychosen - davontrügen. "Präventivmaßnahmen sind durch die Schulen aber leider nicht auch noch zusätzlich zu leisten."

Zumindest für den Landkreis kann Kerstin Rehm dann doch noch Positives berichten: Seit diesem Frühjahr gebe es eine Kooperation des Schulamtes Freising mit der Ludwig-Maximilians-Universität München unter der Leitung der Professorin Uta Hauck-Thum. Das Projekt sei für die Schülerschaft an Grund- und Mittelschulen wegweisend, sagt sie begeistert. Durch gemeinsame Projekte und Kooperationen einzelner Schulen und ein Miteinander von Schulamt, Schulleitungen und Lehrkräften sollen qualitative pädagogische Bildungsaspekte neu beleuchtet und passgenau für die Schüler konzipiert werden, erklärt Rehm. "Freising setzt damit neue Bildungsakzente für eine Vision von Schule von morgen."

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