Skelettfunde in Neufahrn:"Zukunft braucht Herkunft"

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Die Bauarbeiten sind weitgehend abgeschlossen, voraussichtlich im Sommer 2023 wird das Mesnerhaus eröffnen. (Foto: Johannes Simon)

Eigentlich sollte das alte Mesnerhaus in Neufahrn nur saniert werden. Dabei wurden unter den Fundamenten über hundert Skelette gefunden. Was das für die Gemeinde bedeutet.

Von Charline Schreiber, Neufahrn

Eigentlich sollte das alte Mesnerhaus in Neufahrn nur saniert werden und der Gemeinde in neuem Glanz wieder zur Verfügung stehen. Dass nun unter und rund um das Mesnerhaus über 100 Skelette und Knochen gefunden wurden, haben weder die Gemeinde noch die Archäologen erwartet.

"In den 1960-ern hat man da gegraben, um eine Kneipe zu bauen. Schon damals wurden dort Knochen gefunden", erzählt Ernest Lang, Vorsitzender des Heimat- und Geschichtsvereins Neufahrn. Zu dieser Zeit seien die Menschen noch der Ansicht gewesen, dass dort Weihenstephaner Mönche beerdigt worden waren, weil die umgebenden Gemeinden zum Kloster Weihenstephan gehörten. "Die Theorie erwies sich dann aber als Unsinn. Denn wenn tatsächlich ein Weihenstephaner Mönch gestorben ist, wäre er in das Kloster überführt und dort beerdigt worden", erklärt Lang.

Weitere Forschungen zeigten, dass die gefundenen Knochen Teil eines Beinhauses waren, das sogenannte Karner. "Wenn in einem begrenzten Friedhof, wie dem in Neufahrn, jemand beerdigt wurde und man fand noch Knochen, dann hat man diese rausgenommen und in einem Karner aufbewahrt." Die gängige Theorie war also, dass der Gewölbekeller als Beinhaus diente. Nun ändern die Ausgrabungen die Geschichte des Mesnerhauses erneut: Die Friedhofskapelle und das spätere Schulhaus wurden offenbar mitten auf den damaligen Friedhof gebaut - unmittelbar auf die bereits vorhandenen Gräber.

Normalerweise werden archäologische Funde nicht ausgegraben

Normalerweise ist es das Ziel von Bodendenkmalpflegern, dass alles, was an archäologischen Strukturen im Boden ist, auch dort verbleibe, sagt Kreisarchäologin Delia Hurka. Denn unter der Erde seien sie geschützt und blieben gut erhalten. Bei Bauvorhaben, wie der Sanierung des Mesnerhauses, müssten die Befunde aber geborgen werden, da sie sonst beschädigt oder ganz zerstört werden.

Das archäologische Büro Anzenberger & Leicht GbR hat die Ausgrabungen in Neufahrn vorgenommen. Eine genaue Anzahl der Skelette kann Birgit Anzenberger nicht geben, denn sowohl innerhalb als auch außerhalb des Hauses seien Teile von Bestattungen in verschiedenen Höhen gefunden worden. "Jetzt besteht durchaus die Möglichkeit, dass Teile der äußeren und Teile der inneren Bestattungen zusammengehören." Das Büro erstelle deswegen derzeit einen Plan, der beschreibt, wie viele bestattete Skelette es schlussendlich waren.

Sanierungsarbeiten beim Mesnerhaus in Neufahrn förderten zahlreiche Gräber zu Tage. (Foto: Anzenberger & Leicht)

Insgesamt liegen rund 180 Befunde vor, sagt Anzenberger, dabei handele es sich aber nicht ausschließlich um Skelette. Die Dokumentation der Funde sei immens aufwändig. Denn sowohl die Aufnahmen von innen als auch von außen müssen digital aneinandergesetzt werden, um zu überprüfen ob die Skelette zusammengehören. Von einer Anthropologin wird die Zusammengehörigkeit zweier Skelettteile dann nochmals überprüft. Die Verwurfsknochen, jene, die nicht weiter eingegrenzt werden können, werden wieder bestattet. Ernest Lang verrät, dass diese auf dem Grundstück der alten Kirchengemeinde beerdigt werden und dort ihre letzte Ruhe finden. "Alle anderen gehen als Skelett in die Anthropologische Staatssammlung", sagt Birgit Anzenberger.

Skelettfunde, wie die im Mesnerhaus, sind möglich, weil der Boden kalkhaltig ist, die Knochen werden konserviert. Mitte August vergangenen Jahres stieß das Archäologische Büro im Gewölbekeller auf die ersten Knochen. Nachdem mit ein Mini-Bagger der Boden abgezogen und Verfärbungen erkannt wurden, buddelten die Experten mit Spitzhacken und Schaufeln die ersten Funde aus. Mit Pinsel und Spachtel wurden die Knochen dann langsam ganz frei gelegt.

Die Ausgrabungen haben die Kosten für die Sanierung immens in die Höhe getrieben

Zahlen muss die Ausgrabung die Gemeinde Neufahrn, die nun mit hohen Kosten rechnen muss. Denn als Eigentümer liegt die Verantwortung ausschließlich bei der Gemeinde. Das Archäologische Büro Anzenberger & Leicht rechnet in Stückpreisen ab. Pro Skelett können Pauschalen zwischen 2500 und 6500 Euro entstehen, der Preis variiere je nach Art der Bestattung. Denn mit der Ausgrabung allein, sei es nicht getan. Alle Skelette müssen gewaschen, sortiert und eingetütet werden. Dabei werden sie in Wort und Bild genau dokumentiert und in eine Datenbank eingepflegt. Einige der Skelette werden mittels Radiokohlenstoffdatierung beprobt, um ihr Alter festzustellen und sie zeitlich einzuordnen. Die wissenschaftliche Auswertung liegt nicht mehr in der Verantwortung Neufahrns, sondern beim Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege, das die Ausgrabungen ebenfalls begleitet hat.

Was bedeuten archäologische Funde für eine Gemeinde wie Neufahrn? "Wenn wir unsere Geschichte nicht kennen, dann können wir keine Zukunft schaffen", sagt Anzenberger. Die Skelette erzählten eine Geschichte, sie erzählten die Vergangenheit Neufahrns. Anzenberger hat erst kürzlich einen Spruch gelesen, der die Bedeutung archäologische Funde in drei Worten gut beschreibe, sagt sie. "Zukunft braucht Herkunft. Und daran glaube ich auch."

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