Es war ein besonderer Fall, in dem eine Menge Emotionen im Spiel waren. Und deshalb nahm sich Vorsitzende Richterin Sandra Strohner in der Berufungsverhandlung am Landgericht Landshut, in der es um einen tödlichen Verkehrsunfall im März 2022 bei Hohenkammer ging, auch besonders viel Zeit. Rund eine Stunde lang erläuterte sie den Beteiligten ausführlich ihr Urteil. Der angeklagte Unfallverursacher hatte ebenso wie die Staatsanwaltschaft Einspruch gegen das erstinstanzliche Urteil des Amtsgerichts Freising eingelegt. Doch beide Berufungen wurden von der siebten Strafkammer des Landgerichts als unbegründet verworfen.
Das Urteil des Amtsgerichts hat Bestand, der heute 63-jährige Angeklagte aus dem Landkreis Neuburg-Schrobenhausen muss wegen fahrlässiger Tötung und Gefährdung des Straßenverkehrs für eineinhalb Jahre ins Gefängnis. Die beiden Verteidiger hatten auf eine Strafe unterhalb der eineinhalb Jahre plädiert und zudem beantragt, diese zur Bewährung auszusetzen. Die Staatsanwältin dagegen hatte ein Jahr und zehn Monate Haft ohne Bewährung gefordert. Auch der Anwalt der als Nebenklägerin auftretenden Mutter des Opfers war gegen eine Bewährung. Nun bleibt dem 63-Jährigen noch die Möglichkeit, in Revision zu gehen und das Urteil auf Form- und Rechtsfehler überprüfen zu lassen.
Der Angeklagte hatte am frühen Morgen des Unfalltags an einer unüberschaubaren Stelle auf der Bundestraße 13 zwischen Niernsdorf und Hohenkammer die fatale Entscheidung getroffen, trotz Dunkelheit und schlechter Sicht drei vorausfahrende Autos zu überholen. An zwei Fahrzeugen kam er vorbei. Beim Überholen des dritten kam ihm das Auto eines 23-jährigen Manns aus Pfaffenhofen entgegen. Es kam zu einem Frontalzusammenstoß. Der junge Mann starb noch an der Unfallstelle. Der Angeklagte brach sich zwei Lendenwirbel und hat nun psychische Probleme. Aber das sei so gut wie nichts im Vergleich zum Tod des 23-Jährigen und zu all dem Leid, das dessen Angehörige dadurch erfahren hätten, so die Richterin sinngemäß.
Ein Sachverständiger bestätigte in der Verhandlung, dass das Auto des 63-Jährigen zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes mit mindestens 139 Kilometern pro Stunde unterwegs war. Der Angeklagte war laut Gutachten während des kompletten Überholvorgangs 14 Sekunden auf der Gegenfahrbahn. Hätte der 23-Jährige noch ausweichen können? "Eine Vermeidbarkeit der Kollision lässt sich nicht erkennen", meinte der Sachverständige.
Dass beim 23-Jährigen Alkohol im Blut festgestellt wurde, so die Richterin, "ist nicht wegzudiskutieren". Aber das habe zu keiner Reaktionsverzögerung geführt, "er hat ja noch gebremst und versucht, auszuweichen." In den 1,6 bis 1,7 Sekunden, die ihm laut Gutachten für eine Reaktion blieben, "hätten viele von uns wahrscheinlich gar nichts mehr gemacht". Durch die Leitplanke am Fahrbahnrand sei der 23-Jährige jedoch chancenlos gewesen: "Das war wie eine Mausefalle."
An dieser Stelle zu überholen, sei "ein Glücksspiel", sagt die Staatsanwältin
An der betreffenden Stelle, an der zum Unfallzeitpunkt Tempo 100 erlaubt war, sei Überholen "eine verdammt riskante Angelegenheit". Die Staatsanwältin sprach von einem "Glücksspiel". Der Unfall wäre vermeidbar gewesen, sagte die Vorsitzende, wenn der Angeklagte nach den ersten beiden überholten Autos wieder eingeschert hätte. "Aber er wollte nicht hinterherfahren und alle drei Fahrzeuge überholen." Gegenüber dem Gegenverkehr sei das im juristischen Sinne rücksichtslos gewesen.
Er sei kein rücksichtsloser Mensch, sagte der Angeklagte, als er in der Verhandlung einen Entschuldigungsbrief vorlas, den er der Mutter des Opfers geschrieben hatte. Allerdings erst nach dem Amtsgerichtsurteil. Seine damalige Anwältin und eine Psychologin hätten ihm das so geraten, erklärte der Angeklagte. Als Erwachsener hätte er sich darüber hinwegsetzen können, meinte die Richterin: "Die Chance einer frühzeitigen Kontaktaufnahme zur Familie haben Sie nicht genutzt." Die Mutter des Opfers nahm "die Entschuldigung des Rasers, der meinen Sohn getötet hat, nur zur Kenntnis", wie sie selbst sagte. Der Angeklagte müsse "hart und gerecht bestraft werden".
Das Urteil des Amtsgerichts sei angemessen, "eineinhalb Jahre sind nicht zu hoch gegriffen", sagte die Richterin. "Es muss einen Einschnitt im Leben des Angeklagten geben, um sein Verhalten im Straßenverkehr und gegenüber Mitmenschen zu überdenken - und das ist mit einer Bewährungsstrafe nicht zu bewerkstelligen."