Hallbergmooser Ortsgeschichte:Leichenhaus mit Postadresse

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Aus dem Jahr 1902 stammt das alte Hallbergmooser Leichenhaus. In seiner Gestaltung spiegelt es die altbayerischen Vorstellungen sowie das Brauchtum rund um eine Bestattung wider. (Foto: Johannes Simon)

Wohnraum war knapp nach dem Zweiten Weltkrieg. Im rückwärtigen Teil des Gebäudes haben bis in die 60er Jahre Familien gelebt, darum hat es eine Hausnummer. Heimatforscher Karl-Heinz Zenker beschreibt die Geschichte des denkmalgeschützten Gebäudes.

Von Peter Becker, Hallbergmoos

Das alte Leichenhaus, erbaut 1902, in Hallbergmoos ist aus doppelter Sicht interessant. Zum einen wegen des neugotischen Baustils her, der dem der 1833 erbauten Kirche St. Theresia entspricht. Zum anderen spiegelt es in seiner Gestaltung die altbayerischen Vorstellungen sowie das Brauchtum rund um eine Bestattung wider. Wer das historische Leichenhaus, das unter Denkmalschutz steht, gebaut hat, ist bislang nicht bekannt, schreibt Heimatforscher Karl-Heinz Zenker im neuesten Hallbergmooser Sammelblatt.

Das Gebäude befindet sich auf dem alten Friedhofsabschnitt in der nördlichen hinteren Ecke. Kurioserweise trägt es die Hausnummer 8. Das liegt daran, dass bis in die Sechzigerjahre hinein dort Familien wohnten, die Post bezogen. Jeder verfügbare Wohnraum musste schließlich genutzt werden, um nach dem Zweiten Weltkrieg Heimatvertriebenen eine Unterkunft zu bieten.

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Das Leichenhaus ist mittlerweile renoviert. 1997 hatte man auf dem Dachboden verstaubte Akten gefunden worden. Zenker nimmt an, dass diese aus der Zeit des Rathausumbaus zwischen 1963 und 1965 stammen. In der 175-Jahr-Chronik von Hallbergmoos steht auf Seite 205 geschrieben: "Auf dem Dachboden fand er einen Riesenwust von Akten und Schriftstücken der Gemeinde, darunter Unterlagen, die bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückreichen." Zivildienstleistende sammelten das auf dem Boden verstreut liegende Material und packten es in 25 Kartons.

Die Kisten wurden dem damaligen Heimatpfleger Manfred Hillen übergeben. Was dieser genau mit den Akten angefangen hat, ist heute nicht mehr nachzuvollziehen. Er ist mittlerweile gestorben. Einige Kartons sind noch vorhanden und könnten Aufschluss auf Vorgänge im 19. Jahrhundert geben. Die Aktenlage aus dieser Zeit sei sehr dünn, schreibt Zenker.

In neugotischem Stil ist 1833 die Hallbergmooser Theresienkirche erbaut worden. Um 1833 war dies der maßgebliche Baustil unter der Regentschaft von Ludwig I. (Foto: Johannes Simon)

Die Kirche St. Theresia war 1833 "vom Hochbaukondukteur und Zivilbauinspektor" Daniel Ohlmüller (1791-1839) in neugotischem Stil entworfen worden. Dieser war unter König Ludwig I. in München der offizielle Baustil für repräsentative Neubauten. Die Hallbergmooser hatten zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Gegensatz zu heute wenig Geld in der Gemeindekasse. Die Kirche sollte demnach eher schmucklos ausfallen. Zu spartanisch für den Geschmack des Baumeisters, der neben den drei Torbögen die Fassade mit senkrechten Lisenen, das sind leichte, senkrecht verlaufende Verstärkungen der Wand, und waagrechtem Gesims ausstattete.

Zenker mutmaßt, dass diese eine Reminiszenz an den eigentlich vorherrschenden "Zuckerbäckerstil" in der Architektur war. Im Kaiserreich belebte man dagegen Formen aus längst vergangenen Zeiten wieder, zum Beispiel im Neobarock oder der Neogotik.

In der Fassade spiegelt sich laut Zenker die alte Volksfrömmigkeit und das Brauchtum bei Bestattungen wider. Der Baumeister scheint sich da gut ausgekannt zu haben. Früher bahrte man die Toten zunächst im Haus auf, erst am Tag der Beerdigung brachte man sie ins Leichenhaus, damit Nachbarn und Bekannte bei offenem Sarg Abschied nehmen konnten.

Das Portal symbolisiert die Pforte zum "himmlischen Jerusalem"

Nach dem Tod befindet sich der Leichnam nach christlicher Vorstellung bis zur Auferstehung am Jüngsten Tag in einer Art Wartezustand. Weil der Verstorbene aber schon vor seiner Bestattung das "Tor zum himmlischen Jerusalem sehen" sollte, sei das Portal des Leichenhauses sehr aufwändig gestaltet, erläutert Zenker. Der Torbogen stehe für die Himmelspforte. Die kleineren Bögen könnten laut Zenker an das "Nadelöhr" erinnern, durch das Menschen nach dem Schließen der Tore passieren mussten, wenn sie noch in die Stadt hinein wollten.

Um das Symbol des "Wartezustands" zu versinnbildlichen, setzte man den Sarg des Toten vor Betreten der Leichenhalle stets ab. Zenker nimmt an, dass der Zugang zu dem Gebäude früher nicht ebenerdig war, sondern dass Stufen hinaufführten. Schon im Alten Testament stehe geschrieben, dass der Eintritt ins ewige Leben stets über eine Treppe, und sei sie auch noch so klein, erfolge.

Ein reiner Zweckbau ist die neue Aussegnungshalle auf dem Goldacher Friedhof. (Foto: Johannes Simon)

Zenker stellt das alte Leichenhaus in Hallbergmoos dem neuen in Goldach gegenüber. Das sei ein reiner Zweckbau, der in keiner Weise auf die Symbolik der alten Volksfrömmigkeit hinweise, erklärt der Heimatforscher. Dessen Erscheinungsbild sei im Gegensatz dazu geeignet, vielen Gläubigen den Schrecken und die Endgültigkeit des Todes nehmen zu können. Das Goldacher Leichenhaus war im Übrigen wesentlich teurer als das Hallbergmooser.

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