Sozialpolitik:"Eine Gesellschaft, die Menschen in Abhängigkeit von Almosen bringt"

Lesezeit: 2 min

Kandidatinnen und Kandidaten für die Landtag- und Bezirkstagswahlen tauschen sich während eines sozialpolitischen Gesprächs mit Vertretern und Vertreterinnen der Arbeitsgemeinschaft Katholischer Verbände aus. (Foto: Leonhard Simon)

Immer mehr Menschen im Landkreis leben von Grundsicherung oder Sozialhilfe, weil sie die hohen Mieten nicht mehr bezahlen können. Der Arbeitskreis Katholischer Verbände befragt Kandidaten für die Landtags- und Bezirkswahlen, wie sie mit dem sozialen Sprengstoff umgehen wollen.

Von Peter Becker, Freising

Es ist ein Teufelskreis: Immer mehr Menschen im Landkreis Freising leben von Grundsicherung oder Sozialhilfe, weil sie die hohen Mieten nicht mehr bezahlen können. Schon vor Corona war die Zahl der verhaltensauffälligen Kinder und Jugendlichen hoch. Die Pandemie hat dazu wie ein Brandbeschleuniger gewirkt, so dass die Kapazität von Einrichtungen Jugendwerk Birkeneck längst gesprengt ist.

Dazu fehlen in sozialen Einrichtungen Fachkräfte und Zuschüsse werden gestrichen. Die Arbeitsgemeinschaft Katholischer Verbände in der Region München wollte in einem sozialpolitischen Gespräch unter anderem mit den Kandidatinnen und Kandidaten für die Landtags- und Bezirkstagswahlen wissen, wie sie mit diesen Konflikten umgehen wollen.

Newsletter abonnieren
:SZ Gerne draußen!

Land und Leute rund um München erkunden: Jeden Donnerstag mit den besten Freizeittipps fürs Wochenende. Kostenlos anmelden.

Die Vorstellung des Sozialpasses im Sozialausschuss des Kreistags hatte jüngst zu Tage gebracht, dass auch im Landkreis Freising 6455 Menschen unter Armut leiden. Die Dunkelziffer dürfte höher sein, weil viele Menschen den Gang zur Behörde scheuen. "Die Zahl nimmt zu", stellte Markus Mehner, bei der Caritas zuständig für Fragen zu Sozialleistungen fest. Oft dauere es Monate, bis das erste Geld bei den Bedürftigen ankomme. Dazu käme der Kampf mit der Digitalisierung und der Bürokratie. Mehner warnte vor einer "Gesellschaft, die Menschen in Abhängigkeit von Almosen bringt".

Einig waren sich alle Politiker und Politikerinnen, dass bürokratische Hürden abgebaut gehören. Sabine Bock, Bezirkstagskandidatin der Grünen, stellte fest, dass es in den Behörden eine gewisse Klientel-Feindlichkeit gebe, nach dem Motto: "Die wollen alle nur betrügen." Hintergrund ist, dass die Jobcenter für ihr ausgegebenes Geld haften. Wichtig sei aber, dass Hilfebedürftige zunächst mit Lebensmitteln versorgt würden. Die Frist, bis Hilfe bei den Bedürftigen ankommen, muss verkürzt werden. Unter anderem durch eine bessere personelle Ausstattung der Behörden, welche Anträge bearbeiten, sagte Guido Hoyer, Bewerber der Linken. Ein Satz, der in der Diskussionsrunde noch öfter zu hören war.

Dass Mangel an bezahlbarem Wohnraum herrscht, ist nichts Neues. Doch selbst auf dem Land suchten täglich Menschen um Rat und Hilfe, bemerkte Theresia Stadlbauer von der Fahrenzhausener Nachbarschaftshilfe. Der Ruf nach mehr Sozialwohnungen wurde einmal mehr laut. Landtagskandidat Benno Zierer (FW) riet, bei den Behörden Druck zu machen, damit diese Mehrfamilien- und Mehrgenerationenhäuser genehmigten. Bezirkstagskandidat Michael Firlus (SPD) fordert die Kommunen dazu auf, Grundstücke nur noch in Erbpacht zu vergeben, ein Weg, den die Gemeinde Neufahrn laut ÖDP-Landtagskandidaten Felix Bergauer ebenfalls gehen will. Mit den Einnahmen könnte der öffentliche Nahverkehr gefördert werden.

"Die Sozialwohnungen, die man hat, sollte man nicht verkaufen", sagte Johannes Becher, Landtagskandidat der Grünen, mit Seitenhieb auf die Landesregierung. Am besten sei es, die Kommunen verfügten selbst über Wohnraum, so wie die Wohnungsbaugesellschaft des Landkreises, deren Auflösung verhindert werden konnte. Der Wohnungsbau sei "die Frage unserer Zeit", stellte CSU-Landtagskandidat Florian Hermann fest. Es gelte zu bauen und gleichzeitig schonend mit den Flächen umzugehen. Benedikt Flexeder, Bezirkstagskandidat der CSU, forderte, das soziale Vermieten von Wohnraum zu unterstützen.

Ein Verpflichtendes Soziales Jahr für Jugendliche halten die Verbände für ungeeignet

"Die Jugendhilfe steht vor dem Kollaps", warnte Joachim Nunner, Geschäftsführer des Jugendwerks Birkeneck. Auch dieser Sozialbereich leidet unter Fachkräftemangel. Symptomatisch: Die Jugendpsychiatrische Praxis, die vor kurzem in Freising geöffnet hatte, war in kurzer Zeit ausgebucht. "Die gute Versorgung in der Region München besteht nur auf dem Papier", kritisierte FW-Bezirkstagskandidatin Marianne Heigl.

Geeignetes Fachpersonal sei allerorts gesucht, heißt es von Seiten der Verbände. Besonders auch im Hinblick auf das Jahr 2026, von dem an ein Anspruch auf Ganztagsbetreuung besteht. Was die Verbände den von der Einführung eines Verpflichtenden Sozialen Jahres für Jugendliche hielten, wollte Zierer wissen. Die Resonanz war eindeutig: Es bedarf einer Anzahl von Leuten, welche Jugendliche erst ausbilden müssen, die überhaupt keine Lust auf die Arbeit haben. Sabine Bock forderte statt dessen, den Bundesfreiwilligendienst finanziell besser auszustatten, um höhere Löhne zahlen zu können. Herrmann bezeichnete es als nicht zielführend, jedes Jahr um die 800 000 Jugendliche zu einer Arbeit zu verpflichten, die sie nicht machen wollten.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: