In der Freisinger Altstadt schwelt ein Konflikt:Streit an den Ufern der Moosach

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Auch Kneipenlärm, der durch geöffnete Fenster auf die Straße dringt, ist für manch einen Anwohner in der Freisinger Innenstadt ein Quell des Ärgers. (Foto: Marco Einfeldt)

Anwohner klagen in der Bürgerversammlung über Lärm von den neuen Freischankflächen der Gastronomie. Der Ordnungsdienst hat keine Verstöße gegen die geltenden Satzungen festgestellt, der Oberbürgermeister wirbt um Verständnis.

Von Kerstin Vogel, Freising

Ende dieses Jahres soll der Umbau der Oberen Hauptstraße samt Öffnung der Stadtmoosach in Freising abgeschlossen sein - und es ist ein Meilenstein der Stadtentwicklung, der da gesetzt wird. Schließlich dient der gesamte, 2011 vom Stadtrat beschlossene, Umbau der Altstadt keinem geringeren Ziel, als diese vor der Verödung zu bewahren, vor einem "Downtrading", wie das in der Fachsprache heißt. Unter dem viel zitierten Stichwort "Aufenthaltsqualität" darf das seit ein paar Wochen bereits offen dahin fließende Wasser der Moosach mit den neuen Sitzstufen am Ufer dabei getrost als Herzstück der Wiederbelebung gesehen werden. Doch das Projekt ist noch nicht einmal offiziell fertig, da zeichnet sich Ärger für die Zukunft ab - und zwar nicht nur, was das künftige Verkehrskonzept für die neue Innenstadt angeht.

Zutage gefördert hat diesen offenbar bereits schwelenden Konflikt kürzlich die zentrale Bürgerversammlung. Zwar hatten nicht einmal 30 Menschen den Weg in die Luitpoldhalle gefunden, um - verloren im zu großen Raum - friedlich der Bilanz von Oberbürgermeister Tobias Eschenbacher zu lauschen. Bei einer Handvoll Anwesender aber brach sich am Ende ein Unmut Bahn, der Zündstoff birgt. Denn mit der wachsenden Aufenthaltsqualität in der Innenstadt halten sich, wenig überraschend und ganz im Sinne der Erfinder, tatsächlich mehr Menschen dort auf - auch, weil die örtlichen Gastronomen, geplagt von Corona und der ewigen Baustelle vor der Tür, das Ihre taten und die neuen Freischankflächen alsbald mit Leben füllten. Doch was sich spätestens in der zweiten Hälfte des noch dazu übertrieben sommerlichen Jahres für Wirte und Bewirtete zu einer Win-Win-Situation entwickelte, bedeutete für manch einen Anwohner offenbar eine unannehmbare Eskalation.

"Die Kinder können nachts nicht mehr schlafen"

Die Größe der zulässigen Freischankflächen sei nirgends markiert, kritisierte ein Besucher der Bürgerversammlung, die Wirte würden Tische und Stühle "weit über das zulässige Maß hinaus" aufstellen, der Ausschankschluss um 22.30 Uhr werde oft nicht eingehalten, die Musik sei zu laut, sprenge jegliche Lärmgrenzwerte, listete er in zunehmender Empörung auf, drei Tage lang sei kürzlich gefeiert worden, seine Kinder könnten nachts nicht mehr schlafen, "trotz Dreifachverglasung der Fenster". Dass nach Ausschankschluss noch Flaschen an die Gäste ausgegeben würden, die diese dann draußen leerten, hatte ein anderer festgestellt - und dass vor einer Bar bei Regen die Sonnenschirme offen blieben, damit die Raucher spätnachts darunter Schutz fänden, das könne ja eigentlich auch nicht angehen, ebenso wenig wie die zu später Stunde noch geöffneten Fenster der Lokale.

Natürlich gebe es Konfliktpotential in einem so eng bebauten Raum, räumte der Oberbürgermeister ein, der in seinem früheren Leben bekanntlich selber Wirt war. Man wolle aber doch eine belebte, gestärkte Innenstadt, warb er um Verständnis. Zum Schutz der Anwohner gebe es doch eigens eine Satzung mit Regeln für die Gastronomen - und doch, deren Einhaltung werde auch kontrolliert, hielt er den daran zweifelnden Anwohnern entgegen. Aber ja, es sei bekanntlich eine schwierige Gratwanderung, die man absolvieren müsse; zwischen den Interessen der Gastronomen, der jungen Leute und anderer Nachtschwärmer und jenen der Anwohner.

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Konflikte wie diese gibt es in Freising schon immer

Neu sind diese Konfliktlinien in Freising tatsächlich nicht. Die Älteren mögen sich noch an Auseinandersetzungen zwischen Partyvolk und Anliegern erinnern, da hießen die fraglichen Lokale noch Jagdhaus und Paramount. 2010 hatte es zuletzt einen längeren Diskurs um die Bar Ivy gegeben, deren teilweise bis um drei Uhr und länger währender nächtlicher Betrieb an der General-von-Nagel-Straße die Anwohner auf die Barrikaden trieb - mit dem schlechteren Ende für den Barbesitzer, der am Ende aufgeben und schließen musste. Die Freisinger Innenstadt war danach abends tatsächlich lange Jahre, nun ja, verödet.

Derartiges soll sich nun an den Ufern der Stadtmoosach möglichst nicht wiederholen, weshalb die Stadt Freising 2017 zusätzlich zur per Satzung festgelegten Sperrzeit ihre Sondernutzungssatzung um Nebenbestimmungen für die Innenstadt ergänzt hat. In diesen Regelwerken ist nicht nur festgehalten, wie die Möblierung der Freisitze auszusehen hat - möglichst einheitlich und "filigran" - sondern auch, dass diese Möbel nur innerhalb der festgelegten Flächen stehen dürfen und mit Beginn der Sperrzeit aufzuräumen sind. Die wiederum gilt von 23 bis sechs Uhr früh, Musik muss um 22 Uhr abgedreht werden, die Zapfhähne um 22.30 Uhr.

Der Ordnungsdienst hat keine gravierenden Verstöße festgestellt

Dass all das auch eingehalten wird, hat die Stadt in der zurücklegenden Freiluftsaison auch tatsächlich überwachen lassen, wie eine Nachfrage beim Kommunalen Ordnungsdienst ergibt. Bei den im Sommer alle drei bis vier Wochen an Freitagen und Samstagen durchgeführten Streifengängen seien sowohl die Freischankflächen als auch die Einhaltung der Sperrzeitverordnung kontrolliert worden. Dabei habe es sehr vereinzelt Beanstandungen im kleineren Rahmen gegeben. Wirklich gravierende Verstöße, etwa ein Aufstellen von mehr Mobiliar als erlaubt, sei nicht festgestellt worden, lediglich in einem einzigen Fall sei einmalig ein Nichteinhalten der Sperrzeitverordnung, sprich: ein Ausschank nach 23 Uhr, festgestellt worden. Dem Ordnungsdienst gegenüber sei der Ton durchwegs freundlich und kooperativ gewesen, Anweisungen sei immer Folge geleistet worden. Die Betreiberinnen und Betreiber der Lokale an den neu gestalteten Freiflächen an der Oberen Hauptstraße hätten selbst großes Interesse an der Einhaltung der Verordnungen gezeigt und daran, eine Belebung der Innenstadt "im Einklang mit den Anwohnerinnen und Anwohnern zu etablieren".

Das wiederum liegt vielleicht schon deshalb auf der Hand, weil Verstöße seitens der Wirte durchaus teuer werden können. Mit bis zu 5000 Euro kann zur Kasse gebeten werden, "wer vorsätzlich oder fahrlässig als Inhaber einer Schankwirtschaft oder Speisewirtschaft duldet, dass ein Gast nach Beginn der Sperrzeit in den Freischankflächen verweilt". Ein bisschen teuer dürfte auf Dauer andererseits auch die Lösung sein, die der lärmgeplagte Anwohner gewählt haben will, als ein Lokal zuletzt das dreitägige Fest feierte: Am zweiten Tag habe er mit der ganzen Familie wegfahren müssen, klagte er in der Bürgerversammlung.

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