Navis im Erdbebengebiet:"Es ist erschreckend, wie Naturgewalten mit einem Fingerschnips alles zerstören"

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Bis Christian Pickal und seine Kameraden in das zerstörte Hatay vordringen konnten, dauerte es einige Zeit. Abgeriegelte und zerstörte Straßen erschwerten ihnen die Arbeit. (Foto: Murat Kocabas/IMAGO)

Die vier Männer vom Moosburger Navis-Fact-Finding-Team sind seit Sonntag zurück in Deutschland. Christian Pickal berichtet vom Einsatz in Hatay, von Hilflosigkeit, Verzweiflung, Tod und Verwüstung und der nahezu aussichtslosen Lage in Syrien.

Von Pauline Held, Freising

Christian Pickal hat in seinem Leben schon viel Zerstörung gesehen: Ganze Wohnsiedlungen, die in Trümmern lagen, Hochhäuser, geschrumpft auf wenige Meter Schutt und Asche und dazu immer die vielen Menschen, die von einer Sekunde auf die andere aus ihrem Leben gerissen wurden. "Es ist erschreckend, wie Naturgewalten mit einem Fingerschnips alles zerstören", sagt er. Mit der Moosburger Hilfsorganisation Navis war Pickal schon in Haiti, in Nepal und jetzt in der Türkei - dort, wo Erdbeben ganze Existenzen zerstören, wo Hilflosigkeit, Verzweiflung, Tod und Verwüstung herrschen.

Ob er erleichtert darüber ist, wieder wohlbehalten in zu Deutschland sein? Christian Pickal zögert, weiß nicht, was er auf die Frage antworten soll. "Es ist ein lachendes und ein weinendes Auge", entgegnet er schließlich und räumt ein, dass er lieber noch länger im Erdbebengebiet geblieben wäre, um zu helfen. Doch seit Sonntag ist das vierköpfige Erkundungsteam zurück aus der Türkei, stattdessen sind jetzt 14 Navis-Helfer und drei Experten von Apotheker ohne Grenzen vor Ort. Christian Pickals Arbeit im Erdbebengebiet ist vorerst getan. Gemeinsam mit Teamleiter und Mediziner Thomas Geiner und zwei Kollegen war der Techniker insgesamt sechs Tage vor Ort. Ihre Aufgabe war es, den Weg für das große Helferteam zu ebnen. Als "Fact Finding Team" checkten sie die Lage, organisierten Lastwagen für die Hilfsgüter und prüften, wo Navis am dringendsten gebraucht wird.

"Rund 80 Prozent der Gebäude sind völlig zerstört."

Eine Region davon ist Hatay. Das Gebiet an der Grenze zu Syrien zählt zu den kleineren Provinzen, dafür leben dort besonders viele Menschen. "Rund 80 Prozent der Gebäude sind völlig zerstört", berichtet Pickal. Die restlichen 20 Prozent seien so instabil, dass sie größtenteils abgerissen werden müssen. Bis Pickal und seine Kameraden nach Hatay vordringen konnten, dauerte es. Abgeriegelte und zerstörte Straßen erschwerten ihnen die Arbeit.

Am Dienstag kam das vierköpfige Team in Adana an, knapp 200 Kilometer von Hatays Hauptstadt Antakya entfernt. Vor Ort suchten sie den Kontakt zu Einheimischen, die früher einmal in Moosburg gelebt hatten. Sie sprachen mit Koordinationszentren, Bürgermeistern und Abgeordneten. "Es war eine akribische Recherche vor Ort", erinnert sich Pickal. Denn die Helfer brauchten Fahrzeuge und die Erlaubnis, die gesperrten Straßen zu den betroffenen Regionen zu passieren. "Zum Glück haben wir gute Kontakte zu hochrangigen Personen."

Angekommen in den betroffenen Orten suchten sie Antworten auf folgende Fragen: Was benötigen die Menschen hier? Medizin, Wasser, Nahrung? Zudem prüften sie die örtlichen Gegebenheiten. Die Helfer brauchen Platz für ihr Feldlazarett, zudem hat Navis eine Trinkwasseraufbereitungsanlage: "Dafür muss in der Nähe ein Fluss, See oder Brunnen sein", erklärt Pickal. Das kleine Team könne diese Punkte schneller und leichter checken, als wenn gleich die große Helfergruppe mit ihren neun Tonnen Hilfsgütern anrücken würde.

Zwei Absagen für einen Einsatz vom Gesundheits- und Außenministerium

Währenddessen war es die ganze Zeit unsicher, ob die große Gruppe überhaupt jemals in die Türkei kommen darf. Obwohl das Erkundungsteam um Christian Pickal bereits vor Ort war, erhielt Navis vergangene Woche gleich zweimal eine Absage für einen Einsatz vom Gesundheits- und Außenministerium. Kein Bedarf, lautete die Ansage aus Ankara. Am Freitag kam dann doch endgültig das schriftliche Okay vom türkischen Generalkonsulat in München. Die ständige Unsicherheit beeinträchtigte die Arbeit des Erkundungsteams: "Wir haben vor Ort an allen möglichen Stellen versucht, eine Genehmigung für den Einsatz zu bekommen. Wir haben mit Abgeordneten telefoniert, Mails an zahlreiche Institutionen geschrieben." Das kostete die Männer wertvolle Zeit, die ein Erdbeben aber nicht gewährt.

Nahezu völlig auf sich allein gestellt seien die Betroffenen im Nordwesten Syriens: Hilfslieferungen kämen nicht bei den Opfern an, Helfer dürften die Grenzen nicht passieren. Christian Pickal sieht für Navis im Moment keine Chance, auch in Syrien zu helfen. Die Lage sei einfach zu schwierig, zudem habe das kleine Team von Navis nur begrenzt Kapazitäten.

Das 14-köpfige Helferteam bleibt jetzt für zwei Wochen in der Türkei, dann folgt das zweite Team. "Wenn ich gebraucht werde, fliege ich auf jeden Fall noch einmal hin", sagt Christian Pickal.

Wie für die Opfer des Erdbebens spenden?

Hier eine Auswahl an Organisationen, die vom Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI) als seriös eingestuft werden, die komplette Liste findet man auf der Internetseite des DZI :

Ärzte ohne Grenzen e. V. - Médecins Sans Frontières (MSF), Deutsche Sektion, www.aerzte-ohne-grenzen.de , Bank für Sozialwirtschaft, Iban: DE72 3702 0500 0009 7097 00

Aktion Deutschland Hilft e. V., www.aktion-deutschland-hilft.de , Bank für Sozialwirtschaft, Iban: DE62 3702 0500 0000 1020 30, Stichwort: Erdbeben Türkei und Syrien

Deutsches Rotes Kreuz e. V, www.drk.de, Bank für Sozialwirtschaft, Iban: DE63 3702 0500 0005 0233 07, Stichwort: Nothilfe Erdbeben Türkei und Syrien

UNO-Flüchtlingshilfe e. V., www.uno-fluechtlingshilfe.de , Sparkasse Köln-Bonn, Iban: DE78 3705 0198 0020 0088 50, Stichwort: Erdbeben

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