Freisinger im Krisenmodus:Der Bart bleibt dran

Lesezeit: 3 min

Anton Czemmel, auch bekannt als Clown Toni Toss, will sich erst rasieren, wenn er wieder auftreten kann. Die Neufahrner Friseurin Yildiz Kolcu hat eine Stellenanzeige aufgegeben - für die Zeit nach Corona.

Von Birgit Grundner und Alexander Kappen, Neufahrn/Wang

Die harten Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie treffen auch die Menschen im Landkreis auf den unterschiedlichsten Ebenen. Für manche bedeuten sie nur Einschränkungen in ihrem Freizeitverhalten, die meisten haben aber konkrete Sorgen - ob es nun um Gefahren für die eigene Gesundheit, um die schwierige Betreuung der Kinder oder die Rettung des eigenen Geschäfts oder Unternehmens geht. Die Freisinger SZ gibt in einer Serie Einblicke in das Leben der Menschen im Krisenmodus.

Der Clown

Auch Clown Toni Toss plant bereits für die Zeit nach dem Ende der Beschränkungen. (Foto: Privat)

Geteiltes Leid ist bekanntlich halbes Leid - und so kann der Clown Toni Toss froh sein, dass er unter seinem bürgerlich Namen Anton Czemmel auch noch einen Halbtagsjob als Sozialpädagoge im Neufahrner Jugendzentrum (Juz) hat. Zwar ist der Sozialpädagoge Czemmel ebenso von den Auswirkungen der Corona-Krise betroffen wie der Clown Toni Toss, weil er nicht seiner gewohnten Tätigkeit nachgehen kann, aber er verdient wenigstens weiterhin Geld.

Das Neufahrner Juz ist natürlich geschlossen, in der Zeit vor den Osterferien war das Personal freigestellt. "Aber jetzt müssen wir arbeiten, auch wenn es nicht allzu viel Arbeit für uns gibt", sagt Czemmel, der in Wang wohnt. Man schaue, ob es die Jugendlichen trotz der Ausgangsbeschränkungen nach draußen treibe und sorge für die Einhaltung der nötigen Distanz. Nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern eher witzig: "Wir nehmen halt Meterstab und Kreide, um den richtigen Abstand abzumessen", erzählt Czemmel. Allzu oft sei das nicht nötig, "es sind nicht viele draußen". Es sei schon "ein bisserl fad", mit dem Rad oder zu Fuß durch die Gemeinde zu streifen, "aber das ist halt ein Stück Sozialraumerkundung, wie der Sozialpädagoge sagt, wenn er spazieren geht".

Während Czemmel als Juz-Mitarbeiter wenigstens eine Art Notprogramm abspult, hängt er mit seinem selbständigen Ein-Mann-Betrieb als Clown Toni Toss "vollkommen im luftleeren Raum". Auftritte hat er derzeit keine - und somit auch keine Einnahmen. Vieles wurde abgesagt, weitere Absagen sind zu erwarten. Toni Toss ahnt: "Bis das bei mir wieder normal läuft, wird es bestimmt Herbst." Derzeit kämen auch keine Anfragen herein. Firmenfeste seien ebenso undenkbar wie Auftritte in Kindergärten: "Selbst wenn die wieder aufmachen sollten, veranstalten die bestimmt keine Sommerfeste." Auf staatliche Soforthilfen kann Toni Toss nicht bauen, um die auftrittsfreie Zeit zu überbrücken. Diese gebe es nur für Betriebsausgaben, aber nicht für ausbleibende Einnahmen.

In erster Linie vermisse er es aber, "unter Leuten zu sein und aufzutreten, der Applaus ist das Brot des Künstlers, auch wenn die Wurst darauf, also die Gage, natürlich auch nicht schlecht ist". Vielleicht findet Czemmel sogar eine Nische in der Corona-Zeit und kann wieder auftreten. Falls die Geschäfte unter Einschränkungen öffnen dürfen und Kunden wegen des Abstandsgebots vor den Läden warten müssten, "braucht man ja nicht unbedingt eine grimmig dreinschauende Security". Er, so seine Idee, könne das "ja auch kontrollieren, aber das Ganze mit Witz rüberbringen".

Wenn es so weit käme, könnte sich Czemmel auch wieder rasieren. Derzeit lässt er sich erstmals einen Vollbart wachsen, für einen Clown eher hinderlich, weil er die Mimik verdeckt. Es ist so etwas wie der Playoff-Bart bei Eishockeyspielern. Während diese sich jedoch rasieren, wenn sie aus der Meisterschaft ausscheiden und die Saison beendet ist, kommt der Bart von Toni Toss ab, wenn es wieder losgeht.

Die Friseurin

Friseurin Yildiz Kolcu gehört zu den Menschen, die derzeit wegen der Corona-Krise nicht arbeiten können. (Foto: Marco Einfeldt)

Vor kurzem hat Yildiz Kolcu eine Stellenanzeige aufgegeben. Sie sucht eine zusätzliche Mitarbeiterin für ihr Friseur-Geschäft an der Bahnhofstraße in Neufahrn. "Wenn wir wieder aufmachen dürfen, kann ich mir gut vorstellen, was dann bei mir los sein wird", sagt sie. Schließlich habe sich doch einiges "aufgestaut" in den vergangenen Wochen, und nicht allen kann sie übergangsweise so helfen wie der Kundin, die ihren Pony erst einmal selbst kürzen wollte. Wie es gemacht wird, hat Yildiz Kolcu ihr am Telefon erklärt: "Pony nach unten ziehen, ganz wenig abschneiden, wenn die Länge passt, dann lassen, und wenn nicht, noch mal einen Millimeter nachschneiden." Männer nehmen derzeit auch mal selbst die Haarschneidemaschine in die Hand, hat die Friseurin festgestellt: "Viele rennen jetzt auch wirklich mit einem Boxer-Schnitt rum."

Kein Wunder, dass die eine oder der andere es mit einem "unmoralischen Angebot" versucht und sich an allen Ausgangsbeschränkungen und Allgemeinverfügungen vorbeischwindeln will. Die Friseurin erzählt zum Beispiel von der Anfrage eines IT-Experten, der zum Schein mit dem Computerkoffer in den Laden kommen und sich dort schnell die Haare schneiden lassen wollte. In solchen Fällen bietet sie allenfalls an, die Maschine zum Selbstschneiden zur Verfügung zu stellen. Genau so macht sie es, wenn jemand nach Ansatzfarbe fragt, was auch öfter vorgekommen ist. Wie ihre Kunden hofft auch Yildiz Kolcu, dass sie ihren Laden bald wieder aufsperren darf. Als sie sich vor fast vier Wochen von ihrem Team verabschiedet hat, da "sind mir schon ein paare Tränen runtergelaufen", erzählt sie: "Ich habe mein Geschäft allein aufgebaut und bis jetzt zwölf Jahre gemeistert - wegen Corona zu schließen, das hat mich schon getroffen." Kurzarbeit und Soforthilfe hat sie beantragt - und dann irgendwann auch die Stellenanzeige aufgegeben. Viele hätten in den vergangenen Wochen doch ihre Arbeitsstellen verloren, und da wolle sie auch etwas anbieten: "Also bei mir wäre ein Platz frei."

© SZ vom 17.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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