Lokale Geschichte:Auferstanden aus dem Sumpf

Lesezeit: 4 min

Die Mooslandschaft bei Attaching hat immer wieder Maler inspiriert. Dieses Ölgemälde stammt von Josef Nickl. (Foto: Marco Einfeldt)

Die neue Ortschronik von Attaching schildert, wie Menschen von Tuching aus das unwirtliche Moos besiedelten. Nicht fehlen dürfen der "Schulkrieg" im heutigen Freisinger Stadtteil und der Widerstand gegen die dritte Startbahn.

Von Peter Becker, Freising

Ein paar Menschen stehen auf dem Tuchinger Berg. Ihr Blick schweift in die Ferne, über das unwirtliche, sumpfige Erdinger Moos. Trotz der siedlungsfeindlichen Umgebung machen sich ungefähr im sechsten Jahrhundert Angehörige der Sippe des Tucho, dem Namensgeber von Tuching, auf, aus welchen Gründen auch immer eine Landschwelle im Moos zu besiedeln. Die neue Niederlassung erhielt den Namen "ahatuhhinga", das "Tuching am Wasser", egal ob damit der dort fließende Kreuzbach oder das allgemein feuchte Moos gemeint ist.

So beginnt die Chronik von Attaching, welche die Verfasser Johann Hölzl und Johann Kirchberger an diesem Samstag um 16 Uhr an der Attachinger Kegelbahn in der Sportgaststätte vorstellen. Was den geschichtlichen Teil anbelangt, haben sie sich auf Schriften des ehemaligen Hauptlehrers Otto Frohnsbeck, Klaus Kratzsch, Verfasser eines Kirchenführers zur Attachinger Kirche St. Erhard, und Manfred Gesierich gestützt.

Newsletter abonnieren
:SZ Gerne draußen!

Land und Leute rund um München erkunden: Jeden Donnerstag mit den besten Freizeittipps fürs Wochenende. Kostenlos anmelden.

Wie ging es nun mit der Hofstelle weiter? Nach Angaben des Geschichtsforschers Theodor Bitterauf wird "Ahatuchinga" im Jahr 790 zum ersten Mal in einer Urkunde erwähnt. Eine Adelfamilie hatte sie der Freisinger Kirche geschenkt. Erst am Übergang vom Mittelalter zur frühen Neuzeit mehren sich Angaben, dass das Dorf an Bevölkerung zunahm. Damals soll ein großer Eichenwald teilweise gerodet worden sein, der sich zwischen Freising und Attaching befand. Aus diesem Holz soll das Chorgestühl des Freisinger Mariendoms hergestellt sein.

1595 wohnten 80 Personen in Attaching. Dies und eine Aufstellung über die Besitzverhältnisse gehen aus einer Berechnung der "Türkensteuer" hervor, die damals üblich war. Sogar die Allerärmsten mussten zahlen. Mit dem Geld wurde die Kriege gegen das expandierende Osmanische Reich finanziert.

Natürlich gehört zu einem Dorf auch eine Kirche. St. Erhard wird in einem Verzeichnis des Freisinger Stifts St. Veit zum ersten Mal erwähnt. Sehr wahrscheinlich hat es in Attaching schon früher eine einfache Landkirche gegeben, doch das Archiv des Stifts ging im Dreißigjährigen Krieg verloren. Im Hochaltar der barocken Attachinger Kirche befindet sich ein Reliquienschrein, in dem sich ein Arm des Schutzpatrons befinden soll - ein Geschenk des Fürstbischofs Eckher. Ein Friedhof ist zum ersten Mal 1587 erwähnt, als die Pest in Attaching gewütet hatte. Zuvor waren die Toten in offenen Wagen durch die Stadt Freising bis zum dortigen Friedhof transportiert worden. 1803 wurde der Besitz des Fürstbistums in Attaching im Zuge der Säkularisation versteigert. Seit 1818 bildet das Dorf eine eigene Gemeinde.

Die Lehrerin soll Kinder schlecht unterrichtet haben und am Wochenende zum "Hamstern" bei den Bauern gegangen sein

Ein besonderes Kapitel ist der Attachinger Schule gewidmet, um die es immer wieder Mal Streit gab. So Ende der 1940er-Jahre. Der damaligen Schulleiterin Charlotte de Vries warfen einige Dorfbewohner vor, die Kinder würden bei ihr nichts lernen, weil sie keinen ordentlichen Unterricht halte. Das rief den Stadtpfarrer Johann Franz auf den Plan. In einem geharnischten Brief an den Schulrat verteidigte er die Lehrerin und nahm sie gegen Vorwürfe in Schutz, sie würde bei den Bauern zum "Hamstern" gehen. Die miserable Bezahlung, schrieb Franz, reiche kaum aus, die Lehrer gesund zu halten. Hamstern müsse jeder Stadtbewohner und auch die Attachinger Bauern wüssten ihr Geschäft zu machen. Der Aufruhr legte sich wieder und de Vries wurde später gar Rektorin der Lerchenfelder Schule.

Eine ganz andere Dimension hatte der "Attachinger Schulkrieg" zu Beginn der Siebzigerjahre. Die neue Schule stand erst seit 1966, als sie vier Jahre später aufgrund einer Reform und der damit einhergehenden Auflösung der Zwergschulen schon wieder geschlossen wurde. Die Attachinger Kinder sollten fortan in Lerchenfeld zur Schule gehen. Weil dort Platznot herrschte, sollten zwei Lerchenfelder Klassen in Attaching unterrichtet werden, wogegen sich die Familien aus dem Freisinger Stadtteil weigerten. Freisings Oberbürgermeister Adolf Schäfer und Schulrat Pallor gestatteten schließlich den Verbleib der Kinder an der Volksschule St. Lantbert.

"Der Stadtrat ist ein alter Hut und soll sich pensionieren lassen", schimpft Bürgermeister Ludwig Grüll

Als dann zu Beginn des neuen Schuljahres Attachinger Kinder nicht vom Schulbus abgeholt wurden, reichte es Bürgermeister Ludwig Grüll. Er warf dem Stadtrat vor, Verträge nicht einzuhalten und die Attachinger zu unterdrücken. Während in Lerchenfeld Klassen mit 42 Kindern gebildet würden, stehe die Schule in Attaching leer. Grüll schimpfte: Der Freisinger Stadtrat sei "ein alter Hut und solle sich pensionieren lassen". Macht dürfe nicht Recht brechen. Das Verhalten des Stadtrats sei hohnsprechend und undemokratisch. Grüll verzichtete aus Verdruss 1972 auf eine erneute Kandidatur als Bürgermeister. 1978 wurde Attaching nach Freising eingemeindet.

Das Dorfbild prägen natürlich viele Bauernhöfe, deren Geschichte Hölzl aufwendig recherchierte. Was fehlt, ist aber eine echte bayerische Gaststätte, denn der traditionsreiche "Alte Wirt" ist seit Jahren geschlossen. Eigentlich schade, denn Anton Wagner, der 1829 die Augustiner-Brauerei in München übernahm, stammt aus der alten Dorfwirtschaft. Seit den Fünfzigerjahren wechselten die Pächter ständig. Seit 2015 steht das Haus leer. Der Besitzer Graf Moy würde gerne das Gebäude zugunsten von Wohnungen abreißen lassen.

Eine wichtige Anlaufstelle in Attaching ist der Kramerladen von Wilhelm Ziegltrum. (Foto: Marco Einfeldt)
Als Mahnung zum Erhalt der Schöpfung hat der Attachinger Kapellenverein diese Kapelle erbaut. (Foto: Marco Einfeldt)
Der damalige Ministerpräsident Horst Seehofer hat sich 2015 die Sorgen der Attachinger zum Bau einer dritten Startbahn angehört. Seine Zusagen erwiesen sich später als leere Versprechungen. (Foto: Marco Einfeldt)

Verschwunden, wie der "Alte Wirt", ist auch das Handwerk, welches das Dorfleben einst geprägt hatte. Die Chronik nennt die Schmiede, den Wagner und den Bäcker. Dort, wo einst die Pudermühle stand, befindet sich heute ein Boarding-House. Geblieben ist immerhin der Kramerladen in der Dorfmitte. Ihn gibt es seit 137 Jahren. Er ist quasi das "Herz der Ortschaft".

Was Attaching im vergangenen Jahrzehnt geprägt hat, ist der Widerstandskampf gegen die dritte Startbahn, dem sich unter anderem der Kapellenverein und eine Bürgerinitiative verschrieben haben. Noch immer ist nicht geklärt, ob die Flughafenerweiterung kommt oder nicht. Weil viele die Unsicherheit nicht mehr ertragen können, sind sie aus dem Dorf weggezogen. Wird die dritte Startbahn gebaut, würde dies das Ende des Sportvereins BC Attaching bedeuten. Die Stadt, der das Gelände gehört, würde zwar finanziell entschädigt, aber der Verein würde keine neue Heimat finden.

Natürlich dürfen in der Ortschronik humorvolle Geschichten nicht fehlen. Zum Beispiel, als eine Schar übermütiger Attachinger eine wüste Schlägerei in einer Freisinger Wirtschaft anzettelte. Als die Polizei im Anmarsch war, rannten die Burschen nach allen Seiten davon. Noch Wochen später fahndeten die Beamten nach den Übertätern. Unvergessen ist in Attaching auch die Geschichte, als Bürgermeister Ludwig Grüll aufgrund einer Wette Johann Presser auf einem Mistkarren durch die Freisinger Innenstadt schob. Der Wetteinsatz von 50 Mark ging an das Rote Kreuz.

Hans Hölzl und Johann Kirchberger stellen die Chronik an diesem Samstag in der Attachinger Sportgaststätte vor. Dort kann sie zum Preis von 15 Euro gekauft werden. Vom 20. November an liegt sie auch beim Kramer aus.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Historischer Wanderweg
:Geschichte und Geschichten aus Attenkirchen

Walter Schlott hat einen thematischen Rundweg durch die Gemeinde in der Hallertau gestaltet. Dieser wurde jetzt offiziell seiner Bestimmung übergeben.

Von Peter Becker

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: