Bilanz:Wirtschaftsschulleiter Werner Kusch: "Wir leben von den Ideen der Jugend"

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Zwölf Jahre lang hat Werner Kusch die Freisinger Wirtschaftsschule geleitet. Im Sommer hat er das Ende seiner beruflichen Laufbahn erreicht und kann sich künftig ganz seiner Familie und seinen Hobbys widmen. (Foto: Marco Einfeldt)

Nach zwölf Jahren als Leiter der Freisinger Wirtschaftsschule geht Werner Kusch im Sommer in den Ruhestand. Ein besonderer Abschluss würde seiner Meinung nach den ein wenig im Schatten stehenden Schultypus aufwerten.

Interview von Alexandra Vettori, Freising

Zwölf Jahre lang ist Werner Kusch an der Spitze der Freisinger Wirtschaftsschule gestanden. Mit Ende des Schuljahres geht der 66-Jährige in Ruhestand. Er zieht eine positive Bilanz, Sorge bereitet ihm allerdings die mangelnde Leistungsbereitschaft vieler Schüler.

SZ: Wirtschaftsschulen sind eine Besonderheit im bayerischen Schulsystem. Ihre Aufgabe ist es, kaufmännischen Nachwuchs auszubilden. Doch die Schülerzahlen sinken bayernweit, von 25 200 im Jahr 2009 auf aktuell rund 17 000. Warum?

Werner Kusch: Da wirken meiner Meinung nach verschiedene Gründe zusammen: Wir befinden uns in einer Senke der demografischen Bevölkerungsentwicklung, von der alle Schulen mit vergleichbaren Altersgruppen betroffen sind. Außerdem stehen die Wirtschaftsschulen in Bayern dann, wenn Eltern die Frage nach der weiterführenden Schule beantworten müssen, nicht zur Auswahl. Bisher war der frühestmögliche Wechsel nämlich erst zur 7. Jahrgangsstufe möglich. In Zukunft kann man schon in die 6. Klasse übertreten, ab kommendem Schuljahr auch in Freising. Es gibt in Bayern fast fünfmal so viele Real- wie Wirtschaftsschulen. Allein das ist schon ein unschätzbarer Standortvorteil. Auch im Landkreis sind in den vergangenen Jahren zwei neue Realschulen eröffnet worden. Aber auch die Mittelschulen, die einen mittleren Schulabschluss anbieten, sind nicht zu unterschätzen. Schließlich sank auch die Nachfrage nach kaufmännischem Nachwuchs und wird das durch die Digitalisierung weiter tun.

Liegt die Freisinger Wirtschaftsschule da im Trend?

Leider ja. In der Hochphase vor rund 14 Jahren hatten wir 750 Schülerinnen und Schüler, heute sind es knapp 450. Wir sind aber nicht ganz so unzufrieden, wie damals mit der Enge, denn unser Schulhaus ist nur für 480 Schüler vorgesehen. Für uns ist es ein Qualitätsmerkmal, heute so viele Schülerinnen und Schüler beschulen zu können, wie wir auch Plätze haben.

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Der Lehrer- und Lehrerinnenverband hat gegen den Modellversuch "Wirtschaftsschule ab der 6." protestiert und fürchtet eine weitere Schwächung der Mittelschulen. Wie ist Ihre Position dazu?

Ich glaube, das muss ich nicht kommentieren. Es spricht für sich, wenn man weiß, dass Wirtschaftsschulen gerade mal von 1,4 Prozent aller Schülerinnen und Schüler in Bayern besucht werden. Wem nimmt man da etwas weg, wenn wir dadurch ein paar Schüler mehr bekommen sollten?

Das Kultusministerium versucht, den sinkenden Schülerzahlen entgegen zu wirken, etwa durch die neue sechste Jahrgangsstufe. Was erwarten Sie davon? Wie war die Resonanz bei der Einschreibung?

Trotz eines verkürzten Einschreibungstermins können wir schon jetzt zum Schuljahresanfang zwei neue 6. Klassen bilden. Mit dem Jahreszeugnis der 5. Klasse kann man sich aus allen Schularten bis Ende Juli zum Übertritt anmelden. Der große Vorteil für Sechstklässler an der Wirtschaftsschule ist die Stundentafel, die Fächer wie Deutsch, Englisch und Mathematik mit 20 Wochenstunden akzentuiert. So wird alles Gelernte wiederholt, geübt und erst dann mit Inhalten und Denkweisen einer kaufmännisch orientierten Schule verknüpft.

Seit fast zehn Jahren läuft eine Neuausrichtung der Wirtschaftsschule. Was wird heute davon umgesetzt?

Da unser Land keine Bodenschätze hat, die es verkaufen kann, leben wir, so wir unseren Sozialstaat auch künftig erhalten wollen, von dem Wissen, Können und den Ideen einer gut ausgebildeten Jugend. Um den Ansprüchen eines international handelnden Exportlandes gerecht zu werden, wurden alle Wirtschaftsschulen mit zeitgemäßen Lehrplänen ausgestattet. Kaufmännisches Wissen im digitalen Zeitalter durch Übungsunternehmen und Sprachkompetenz durch bilingualen Unterricht mit Englisch stehen nicht nur in Freising im Mittelpunkt. Natürlich schlafen auch die anderen Schularten nicht. Deshalb bin ich der Meinung, dass den Wirtschaftsschulen in Bayern nur dann langfristig geholfen wäre, wenn diese ein noch deutlicher sichtbareres Alleinstellungsmerkmal anbieten könnten, etwa durch die Vergabe eines höheren, dualen Berufsabschlusses. Der würde sich an den Bedürfnissen des jeweiligen regionalen Wirtschaftsraumes orientieren, bei uns durch die Nähe zum Flughafen etwa Internationaler Einzelhandelsassistent (in) oder Internationaler Speditionsassistent (in).

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An der Freisinger Wirtschaftsschule gibt es künftig eine sechste Klasse. Leiter Werner Kusch begrüßt es, dass Kinder vor einem Übertritt nun nicht mehr zwei Jahre lang an anderen Schulen zubringen müssen.

Von Alexandra Vettori

Gedacht sind Wirtschaftsschulen als weiterführende Schule vor allem für die Mittelschüler. Wie hoch ist denn deren Anteil?

Das ist richtig, es kommen vorwiegend Mittelschüler, mit Quali, so sie denn in die zweistufige Wirtschaftsschule übertreten. Aber es sehen auch ungefähr fünf Prozent ehemalige Realschüler und etwa gleich viele ehemalige Gymnasiasten ihre Chance bei uns.

Auch die kaufmännische Berufswelt wird immer anspruchsvoller. Wie vermitteln Sie das?

Gerade für Mittelschüler ist der Übertritt, vor allem, wenn sie erst nach der neunten Klasse wechseln, eine Herausforderung. Bei uns kommt jede Doppelstunde ein anderer Fachlehrer und will etwas, zum Beispiel, dass Hausaufgaben gemacht werden, Exen oder Schulaufgaben. Als berufliche Schule steht bei uns Anschaulichkeit ganz oben. Reale wirtschaftliche Prozesse werden fächerübergreifend mit viel selbstgesteuertem Lernen erfahrbar gemacht. Gerade in den Kernfächern, wie Übungsunternehmen, Informationsverarbeitung und BSK-Betriebswirtschaftliche Steuerung und Kontrolle, so heißen jetzt Betriebswirtschaft, Rechnungswesen und Volkswirtschaft. Daneben bieten wir auf freiwilliger Basis im offenen Ganztagesangebot Förderunterricht für leistungsschwächere aber auch für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler an.

Jede Gesellschaft kritisiert ihre Jugend, das war schon in der Antike so. Woran üben Sie Kritik?

Ich finde, die Menschheit - und dafür sind die jungen Generationen die Basis - hat sich sehr gut entwickelt. Immerhin haben wir nur zwei Jahrhunderte gebraucht, um uns von einer auf acht Milliarden zu vermehren. Das ging nur, weil wir unsere Lebensbedingungen ständig verbessert haben. Deshalb sind alle Bildungsmaßnahmen in unsere Jugend eine unverzichtbare Grundlage. Oder wollen Sie noch mit dem medizinischen Wissen des Mittelalters behandelt werden? Mir fällt bei der heutigen Jugend auf, dass durch das immer zur Verfügung stehende breit gefächerte Angebot und die vielen Auswahlmöglichkeiten sehr häufig der "leichtere" und "einfachere" Weg gewählt wird. Man ist heute, im Gegensatz zu früher, wie ich meine, nicht mehr bereit, sich "durch ein Tal der Tränen" zu beißen. Soll heißen, sich auch mal längerfristig hinzusetzen, um ein vermeintlich schwieriges Lern-Problem zu lösen. Wir sollten als Gesellschaft alle fördern, aber dafür auch etwas fordern!

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