Alte Gerichtsfälle:Ein brutaler Pfarrer schlägt zu

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Das Bild zeigt den Pfarrhof zu Attenkirchen um das Jahr 1910. (Foto: Privat/Postkartensammlung des Freisinger Stadtarchivs)

Heimatforscher Ernst Keller berichtet über einen Geistlichen, der seinem Kooperator ein paar Zähne ausschlug. Die zänkische Pfarrhaushälterin hat ihren Anteil zum Gewaltexzess beigetragen.

Von Peter Becker, Attenkirchen

Die Gelegenheit, seinen aufmüpfigen Hilfsgeistlichen "einmal tüchtig durchzubläuen", hat sich vor gut 150 Jahren der Attenkirchener Pfarrer Karl Sterr nicht entgehen lassen. Am 19. September 1873 schlägt er derart auf seinen Kooperator Mathias Schmid ein, dass dieser am Ende blutüberströmt mit ein paar eingeschlagenen Zähnen am Boden liegt. Es kommt zu einem Prozess, auf den Heimatforscher Ernst Keller jetzt bei seinen Recherchen gestoßen ist. Das Ende vom Lied: Das Königliche Bezirksgericht in Freising verurteilt den streitlustigen Geistlichen aus Attenkirchen zu zehn Talern Strafe sowie zur Übernahme der Gerichtskosten aus erster und zweiter Instanz.

Der blutige Zwischenfall sorgte weit über die Grenzen des Königlichen Landgerichts in Moosburg hinaus für Gesprächsstoff. Zur Ausgangssituation: Im stattlichen Pfarrhof zu Attenkirchen wohnen drei Personen eng aufeinander. Zum einen natürlich der aus dem niederbayerischen Pilsting stammende 47-jährige Pfarrer Sterr. In der Hierarchie ein Stück unterhalb angesiedelt ist die resolute Pfarrhaushälterin, die sich ihrer Stellung im Haus wohl bewusst ist. Weil sie oft einen Gesichtsschleier trägt, bezeichnet sie das Volk als "Schleiereule". Sie ist nicht sehr beliebt. Sie sei "ständig aufgeregt, reizbar und aggressiv", heißt es. Das Volk glaubt, dass sie mit ihrem zänkischen Wesen selbst den Pfarrer eingeschüchtert hat und der eigentliche Herr im Haus ist.

Der Kooperator bat die Haushälterin, seinen Schlafsack mit frischem Stroh zu füllen

Ganz unten in der Hackordnung steht der 27-jährige Kooperator, dem nur eine dürftig eingerichtete Schlafkammer zur Verfügung steht. Jener Mathias Schmid besitzt nun tatsächlich die Dreistigkeit, die Pfarrhaushälterin zu bitten, seinen durchgelegenen Schlafsack mit frischem Stroh zu befüllen. Ob dieser Anmaßung beschimpft die resolute Frau den Kooperator wüst. Eine Zeitung beschreibt den Disput: In "ihrer bescheidenen weiblichen Ansicht" habe die "sanfte Jungfrau" den Priester, das "Kooperatl", mit "nicht gerade schmeichelhaften Titularien" überhäuft.

Aufgeschreckt durch das Geplärr, eilt Pfarrer Sterr herbei. Seine Haushälterin klärt ihn über das dreiste Ansinnen seines "Kooperatls" auf. Anstatt sich seiner Berufung zu besinnen, greift der Geistliche nicht etwa friedensstiftend ein, sondern drischt ohne Vorwarnung wie von Sinnen auf seinen Hilfsgeistlichen ein. Die Haushälterin betrachtet dies mit Wohlwollen. Keller schreibt, die Tortur habe erst ein Ende genommen, als Schmid blutüberströmt "einem Chamäleon gleichend" und mit Verlust einiger Zähne am Boden liegt.

Die Postkarte zeigt eine Ansicht von Attenkirchen um das Jahr 1900. (Foto: Privat/Postkartensammlung des Freisinger Stadtarchivs)

Einen Tag später bereut Sterr offenbar seine blinde Wut. Er bietet seinem Kooperator an, ihn ins Krankenhaus nach Moosburg zu fahren. Schmid lehnt ab und fährt nach München zum Ordinariat, meldet den Vorfall, fordert Wiedergutmachung und die Versetzung in eine andere Diözese. Tags drauf erscheint Sterr beim Erzbistum, und versucht sich aus der Sache herauszuwinden. Das Ordinariat ist in der Zwickmühle. Es will den Ruf der Kirche nicht schädigen, aber alle Vermittlungsversuche schlagen fehl. Der Kooperator fühlt sich gedemütigt und stellt beim Moosburger Landgericht Strafanzeige wegen Körperverletzung.

Befreundete Bauern nahmen den Geistlichen in Schutz

Dort befasst sich das Gericht am 9. Oktober 1873 mit dem Fall. Der hat unter der Überschrift "Raufgeschichte des Pfarrers von Attenkirchen mit seinem Kooperator" in den Zeitungen der Region bereits für Aufsehen gesorgt. Mit dem Pfarrer befreundete Bauern nehmen den Geistlichen in Schutz. Dieser habe aus Notwehr gehandelt. Er habe dem Kooperator "nicht aufs Maul gehauen", sondern diesem nur den Mund zugehalten. Andere Zeugen behaupten das Gegenteil. Der Pfarrer selbst behauptet, sein Kooperator habe sich bei dem Gerangel unglücklich gedreht und dabei einige Zähne verloren.

Ausschlaggebend für das Urteil des Gerichts mag die Aussage eines Attenkircheners gewesen sein. "Jeder Hüterbub hat ein besseres Lager als der Herr Kooperator." Das Gericht verurteilte Sterr schließlich zu einer Geldstrafe von zehn Talern und Übernahme der Prozesskosten. Die Süddeutsche Post kommt zu dem Schluss, dass die Kirche den größten Schaden davon getragen habe. Gleichzeitig wundert sie sich darüber, dass Schmid überhaupt keinen Widerstand geleistet habe.

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Sterr will das Urteil nicht auf sich sitzen lassen und geht in Berufung. Für die Verhandlung in Freising hat er neue Zeugen benannt, die den angeblich schlechten Leumund des Kooperators zu schildern hatten. Staatsanwalt Trogg geht in seinem Plädoyer auf die "eigentümlichen Verhältnisse" im Pfarrhof ein. Die schönen Worte "Friede sei mit Euch" seien offenbar bei den Priestern in Attenkirchen in Vergessenheit geraten. Die ganze Verhandlung zeichne ein Bild einer Stätte, von der man eigentlich "Moral, Liebe und Eintracht erwartet, als ein klerikales Ölgemälde in den ordinärsten Farben".

Advokat Pletl legt sich zwar für seinen Mandanten Pfarrer Sterr ins Zeug, doch das Gericht verwirft dessen Berufung. Kooperator Schmid wurde unmittelbar nach dem Urteil durch Franz Xaver Huber aus der Mainburger Gegend abgelöst. Und ein gutes Jahr später zog ein neuer Geistlicher in den Attenkirchener Pfarrhof ein.

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