Filmfest München:Große Gefühle auf großer Leinwand

Lesezeit: 2 min

Die Glanzlichter des internationalen Kinos führen in diesem Jahr nach Frankreich und Guatemala.

Von Fritz Göttler

Geister der Vergangenheit: Jayro Bustamante entwickelt in seinem Film "La Llorona" (im Bild: Ayla-Elea Hurtado) einen ebenso poetischen wie politischen Horror um die Erinnerungen an einen Völkermord. (Foto: Film Factory Entertainment/Filmfest München)

Die Riviera im Winter, eine Frau streift durch eine Villa, sie will sie mieten für den Sommer, mit ihrer Familie. Das Licht ist kalt, der Strand leer. Sie trägt Pelzjacke und hohe Stiefel. Sie raucht, versucht, einen Geliebten zum Bleiben zu bewegen. Ihr Mann ist Millionär, er betrügt sie permanent. Ein Tag zwischen zwei Leben, zwischen Unsicherheit und Selbstbewusstsein: Suzanna Andler, im gleichnamigen Film von Benoît Jacquot, nach dem Stück von Marguerite Duras.

Ein großer Film, einst gab es jede Menge solcher Filme auf den internationalen Festivals, dem von Cannes vor allem, bei dem das Münchner Filmfest gern sich bediente - aber Cannes ist dieses Jahr in den Juli verschoben. Mit Suzanna Andler können wir testen, wie wir nach dem Streaming-Lockdown auf große Gefühle auf der großen Leinwand reagieren, auf vielschichtige Filme, die eher Fragen stellen als Antworten liefern. Charlotte Gainsbourg ist Suzanna, mit ihrer kühlen Kindlichkeit sicher keine pure Duras-Heldin, aber auch sie wappnet sich mit magischer Unnahbarkeit gegen den Horror der Bürgerlichkeit und der sozialen Rollen, die diese den Frauen zuweist. Dem Film ist seine Entstehung eingeschrieben. Benoît Jacquot war in den Siebzigern Assistent bei ein paar Filmen von Duras, darunter der legendäre India Song. Das Stück Suzanna Andler wurde 1968 veröffentlicht, nach dem revolutionären Mai in Paris fand Duras es nicht mehr passend zur Zeit. Jacquot liebte es. Mach einen Film draus, sagte Marguerite endlich, damit ich sehe, warum. Er versprach es, das war 1996, aber kurz darauf starb sie. Ein Vierteljahrhundert und viele eigene Filme später hat er das Versprechen dann eingelöst wurde.

Eine andere französische Küste, die Normandie, diesmal im Sommer, präsentiert Sommer 85 von François Ozon. Zwei Jungs, eng umschlungen auf einer Suzuki, eine schwule Liebe, die absolut sein will, ein Gefühl von Freiheit, intoniert von Rod Stewarts Sailing. Aber die Beziehung wird von einer Mutter dominiert, die Leichtigkeit schwindet schnell. Auch Ozons Filme sind vielschichtig, man kann sie nicht einfach als Phantasma abtun. Tanz auf meinem Grab heißt der Roman von Aidan Chambers, nach dem der Film entstand, Ozon hat ihn 1985 gelesen, mit siebzehn, wollte ihn gleich verfilmen. Dem Zeitverlust entsprechend wurde dann auf Filmmaterial gedreht, nicht digital.

YouTube

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von YouTube angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von YouTube angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

Eine tragische Mutter, La Llorona, von Jayro Bustamante. Sie weint um ihre Kinder, die sie getötet hat. Bustamante gibt dem Mythos eine politische Dimension, es geht um einen Völkermord, Anfang der Achtziger den das grausame Militärregime des General Efraín Ríos Montt in Guatemala durchführte, an den Ixil-Ureinwohnern. Der General kann sich den strafrechtlichen Folgen seiner Tat entziehen, aber die Erinnerungen belagern seine Familienvilla, den Zombies gleich. Ein Horror, poetisch und politisch.

YouTube

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von YouTube angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von YouTube angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

Auch in Das Mädchen mit den goldenen Händen von Katharina Marie Schubert wird politische Realität märchenhaft konturiert. Keine simple Ossi-Befindlichkeitsstudie vom Ende des Jahres 2000, mit Corinna Harfouch als gestresster Mutter - der Bezug aufs Grimmsche Märchen lässt am Ende viele Fragen, auch an heute, offen.

© SZ vom 01.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: