Musiktheater:Auferstehung einer Vergessenen

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Szenenfoto aus Saverio Mercadantes Oper "Francesca da Rimini", aufgeführt bei den Tiroler Festspielen in Erl. (Foto: Xiomara Bender)

Die Tiroler Festspiele Erl zeigen die bislang unbekannte Oper "Francesca da Rimini" von Saverio Mercadante. Hat es sich gelohnt sie auszugraben?

Von Michael Stallknecht

Die Oper ist die große Untote unter den Künsten. Schließlich singen Menschen hier sogar, wenn sie soeben erdolcht oder erwürgt wurden. Wie lange Gevatter Tod in der Oper mit sich handeln lässt, kann man derzeit bei den Tiroler Festspielen Erl erleben, die die österreichische Erstaufführung von Saverio Mercadantes "Francesca da Rimini" zeigen. Der Stoff ist bekannt, das Ende auch, aus einer der berühmtesten Episoden von Dantes Divina Commedia: Francesca, verheiratet mit Lanciotto, verliebt sich beim Lesen eines Liebesromans in Paolo, woraufhin beide vom Ehemann ermordet werden.

Sergej Rachmaninow machte daraus 1906 einen höllisch knappen Einakter, Riccardo Zandonai 1914 eine grandiose Mittelalterschmonzette. Schließlich hatten beide gute Libretti: Rachmaninow von Modest Tschaikowsky, dem Bruder des Komponisten, Zandonai vom Dichter Gabriele D'Annunzio. Saverio Mercadante hatte vor allem erstmal keinen Aufführungsort, als er 1830 seine Version komponierte, aber mit Felice Romani immerhin einen bekannten Librettisten.

Das Liebespaar liest gemeinsam - mehr wäre unschicklich gewesen

Erst 2016 wagte sich das italienische Festival della Valle d'Itria an die Uraufführung (die auf CD und DVD vorliegt). In Erl, wo der künstlerische Leiter Bernd Loebe das Stück angesetzt hat, füllt das Publikum das Festspielhaus nur knapp über die Hälfte. Dabei passiert in der Oper, was passieren muss: Alle drei Protagonisten leiden zu Beginn - und danach gut drei Stunden weiter. Im ersten Akt lesen Francesca und Paolo (mehr wäre im 19. Jahrhundert nicht anständig gewesen), Lanciotto ist und bleibt in seiner Ehre gekränkt, Francescas umherirrender Vater dauerhaft besorgt. Dafür kommt das Liebesduett erst kurz vor Ende des zweiten Akts, was vielleicht die Spannung etwas erhöhen sollte.

Schließlich ist Mercadante bis heute für ein Flötenkonzert in e-Moll bekannt, weniger dagegen für seine insgesamt 58 Opern. Belcanto heißt das Stichwort, in einer Konstellation, die so um 1830 noch möglich war: Paolo ist eine Hosenrolle für einen Mezzosopran, Lanciotto nicht wie im späteren Italien ein grimmiger Bariton, sondern ein mit üppigen Koloraturen prunkender Tenor. Die Melodien sind ähnlich lang wie beim Zeitgenossen Vincenzo Bellini, nur nicht ganz so gut. Die Anforderungen ans Personal umso ausdauernder: Theo Lebow, der Tenor, gleitet technisch souverän durch den Zierrat bis hinauf in sichere Spitzentöne. Er bewältigt mit Anstand sogar die zunehmend dramatischen Farben, für die Anna Nehkames als Francesca der Stimmkern fehlt.

Karolina Makula holt mit intelligent differenzierender, sensibel empfundener Phrasierung alles aus der kürzeren Partie des Paolo; Erik van Heyningen leiht Francescas Vater den gebührend sonoren Bariton. Bedrängt werden sie alle gelegentlich vom Orchester der Tiroler Festspiele, das ausgesprochen präzis spielt, aber auch recht laut. Was zum einen an der Erler Akustik liegt, zum anderen an Mercadantes üppiger Instrumentation. Die macht was her, wenn eine Arie Francescas von Englischhorn und Harfe begleitet wird oder vier Hörner ein schmales Terzett einleiten. Ansonsten macht sie vor allem Lärm, weil sie nur Pathosfloskel an Pathosfloskel reiht.

Tänzer verdoppeln die drei Leidtragenden nochmal

Das dramatische Ende, befeuert vom Dirigenten Giuliano Carella mit routinierter Italianità, droht unentwegt, kommt aber dann doch nicht so bald. Immerhin kriegt der Chor einiges Wuchtige zu singen, treibt die Handlung aber ebenso wenig voran wie die vor sich hin leidenden Protagonisten. Sechs davon sind besser als drei, mag sich deshalb der Regisseur Hans Walter Richter gedacht haben. Und lässt die drei zentralen Sänger von drei Tänzern verdoppeln, so dass manchmal sogar die beiden jeweiligen Doubles miteinander spielen.

Die Kostüme von Raphaela Rose zeigen das frühe 19. Jahrhundert, die Bühne von Johannes Leiacker kann sich nach hinten zu einem romantisch verfallenden Kirchenfenster öffnen, an dem es kurz vor Schluss sogar noch poetisch schneit. Dann fällt Francesca um, Paolo ersticht sich, und die Oper ist aus. Im kommenden Februar wird sie aber noch ihre deutsche Erstaufführung an der Oper Frankfurt erleben, wo Bernd Loebe ebenfalls Intendant ist und das Publikum an Raritäten wahrscheinlich interessierter als in Erl. Und danach, so Gevatter Tod will, wird sie ihre Ruhe auf dem Friedhof zu Recht nie wiederentdeckter Opern finden.

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