Fernseh-Moderatorin:"Ich sage: Ganz viele stehen nicht dazu, obwohl es ihnen gefällt"

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Wenn man mit Carolin Reiber spricht, der scheuen und so herzlichen Moderatorin von gefühlt Tausenden Volksmusik-, Weihnachts- und anderen Heile-Welt-Sendungen, dann geht es immer auch um Klischees, Missverständnisse und Vorurteile. (Foto: Stephan Rumpf)

Carolin Reiber hat die größten Fernseh-Shows moderiert und wird an Heiligabend wohl wieder die beste Einschaltquote holen. Die Münchnerin kämpft für die Volksmusik und deren flauschige Heile-Welt-Sendungen.

Von Philipp Crone

Ich will nicht porträtiert werden", sagt Carolin Reiber, bevor sie einen Termin für ein Treffen vorschlägt. Sie erzählt zur Begründung am Telefon (unterdrückte Nummer), wie der befreundete Moderator Florian Silbereisen neulich von einem Journalisten interviewt wurde, der einen bösen Artikel schrieb, "und am nächsten Tag macht der Florian eine Sendung mit einer unglaublichen Einschaltquote". Wenn man mit Carolin Reiber spricht, der scheuen und so herzlichen Moderatorin von gefühlt Tausenden Volksmusik-, Weihnachts- und anderen Heile-Welt-Sendungen, dann geht es immer auch um Klischees, Missverständnisse und Vorurteile.

Eine der ersten Lektionen in den Journalistenschulen dieses Landes lautet: Schreib dich nie selbst in eine Geschichte rein, es sei denn, du recherchierst einen Artikel über Streifschüsse und hast gerade eine Kugel abbekommen. In diesem Fall ist es so: Die Moderatorin hat Angst vor dem Klischee, das Journalisten über sie und die ach so seichten Volksmusiksendungen verbreiten würden. Und ein Journalist hat vielleicht das Problem, die Klischeebrille gar nicht erst absetzen zu können, so fest sitzt die.

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Beide haben Vorurteile. Reiber liegt falsch, wenn sie eine hohe Einschaltquote als grundsätzliches Gegenargument gegen jegliche Kritik anführt wie bei Silbereisen. Und Journalisten liegen völlig falsch, wenn sie glauben, dass Reiber einfach eine tüdelige Kaminfeuerdame ist, die auch privat ausnahmslos in einem kitschigen Landschaftsbild lebt. Reiber, die zu Einschalt-Hochzeiten Anfang der Jahrtausendwende pro Jahr von 60 Millionen Menschen im Fernsehen gesehen wurde, sagt am Ende des Telefonats: "Sie erkennen mich im Hofbräuhaus daran, dass ich kein Japaner bin - und an einer roten Nelke im Knopfloch."

Ist ja vielleicht doch ganz witzig, die Frau im grauen Pullover und mit der Frisur wie eine wuchtige Wolke, die sich an einem späten Nachmittag in die Schwemme vom Hofbräuhaus zum Reporter setzt, zwei an einem langen Tisch. Brille runter! Warum denn das Hofbräuhaus, Frau Reiber? Ist doch Bayerntümelei mit ganz dickem Pinsel. Die Stammtischbrüder klappen ihre Zink-Deckel auf den Krügen auf und zu, die Blasmusi spielt einfaches, harmonisches Geschunkel zu den Tischen voller Japaner, Australier und Amis, die selig auf ihre großen Gläser schauen und beim Selfie mit gehobenem Krug nur leicht zittern. "Ist doch schön!", sagt Reiber, "ich habe kurz überlegt, ob ich nicht im Trachtenanzug kommen soll." Warum nicht? "Dann hätten Sie mich nicht erkannt."

Reiber sagt nicht "erkannt", sondern "errrkannt". Ein Reiber-R, das schon in Hunderten großer Sendungen wie "Lieder, die von Herzen kommen" oder "Bunt sind schon die Wälder" herumrollte. "Wegen dieser Aussprache wäre das am Anfang mit dem Ansagen fast gescheitert." Ach? Also nicht auch deshalb diese Karriere, weil da jemand ganz herzensgut schauen kann und das R wie eine Friedenstaube gurrt, dass sich alle am liebsten um den Hals fallen würden? Nein, es ist eben wirklich manches anders, als ein von Reiber gefürchteter Klischee-Schreiber glauben könnte.

Reiber schaut böse, als der Reporter ein Wasser bestellt, fragt dann selbst nach einem alkoholfreien Pils und einem leeren Weinglas. "Ein echter Sommelier trinkt das Bier aus dem Weinglas. Sie wollen sicher eine Butterbreze." Die 76-Jährige macht das, was sie so gut kann: moderieren. Ist aufmerksam, spricht nicht von sich, sondern mit den Gästen, in dem Fall mit dem Gast. Was in diesem speziellen Fall ein wenig schwierig ist, weil der Gast nur sagen könnte, dass er Volksmusiksendungen und die Musik persönlich ganz schauderhaft findet. Aber um so einen einzufangen, wird erst einmal ein flauschiger Wohlfühl-Teppich ausgerollt. "Warum das Hofbräuhaus? Es ist das berühmteste Gasthaus der Welt! Und überhaupt ist es doch in München einfach herrlich." Da sei das hier nur ein Beispiel. Man müsse nur mal von der Mozartstraße morgens zur Bavaria schauen oder zum Sonnenuntergang vom Siegestor zur Feldherrenhalle. Kann es sein, dass Reiber das wirklich so meint? Auf jeden Fall weiß sie, dass ihr Schwärmen wirkt.

Was gut aussieht und wirkt, wusste Reiber schon immer. Der Vater, "ein begabter Innenarchitekt", wurde als Bühnenbildner beim Film verpflichtet, "sein erster Film war ,Die Wikinger' mit Kirk Douglas". Reiber spricht über andere so gerne, wie sie zuhört und auf schöne Dinge aufmerksam macht. Ob sie Geschwister hat, muss man allerdings zweimal fragen. "Einen Bruder, der hat die Konditorei der Familie übernommen." Dort wuchs Reiber auf, im Betrieb der Großeltern in der Ludwigsvorstadt. "Nach der Schule hat mich da keiner gefragt, ob ich Hausaufgaben auf hatte, da hieß es nur: Leg den Schulranzen hin und hilf."

Kann sie das nachvollziehen, wenn Leute so plüschige Heile-Welt-Sendungen blöd finden?

Am Kopf der Tafel im Hofbräuhaus fragt ein Ehepaar mit einer 1860-Tüte, ob da noch Platz für sie sei. Reiber antwortet: "Ja! Sie sind mir sympathisch!" Warum? Ach, die Farben der Sechziger, weiß und blau. Wer Heimat gut findet, den findet Reiber gut. So einfach ist das. Kann man das gut finden? Warum eigentlich nicht?

Reiber überlegt nie, wenn der Reporter sie etwas fragt, antwortet sofort, im Zweifel mit einem füllenden Halbsatz wie "Ach, wissen Sie". Sie wartet höchstens mal, bis das Keifen der Trompete erträglicher ist, aber bei der Kernfrage schaut sie erst eine Weile zu den Amis rüber und denkt nach. Kann sie das nachvollziehen, wenn Leute so plüschige Heile-Welt-Sendungen blöd finden, nein, sogar unerträglich? Zum Beispiel "Die schönsten Märsche", "Die schönsten Melodien der Welt", "So schön ist unser Deutschland".

Carolin Reiber beim Wunschkonzert im ZDF (2000). (Foto: KPA)

Carolin Reiber antwortet am Beispiel ihrer Weihnachtssendung an Heiligabend. Diese Sendung hat sie vor Wochen aufgezeichnet, es kommen Gäste wie Florian Silbereisen, es ist die Weihnachtssendung mit der höchsten Einschaltquote in Deutschland, obwohl sie im Regionalprogramm beim Bayerischen Rundfunk läuft. "Meine lieben Ex-Kollegen vom ZDF schicken mir dann immer ein Fax am nächsten Tag mit der Quote und einem: Musste das sein?" Reiber lacht. Und die anderen, die das nicht anschauen? Die das blöd finden? Ihre Stimme senkt sich: "Passen Sie auf: Heilig Abend, Kaminfeuer, in einer Bauernstuben, auf dem Land, stellen Sie sich das vor? Da schmelzen sie hin, wenn einer Zither spielt." Reporter überlegt, nickt nachdenklich. Pause. "Ich sage: Ganz viele stehen nicht dazu, obwohl es ihnen gefällt."

Reiber ist in ihrer Karriere immer wieder ausgezeichnet worden, "nur Publikumspreise!", seit sie mit 18 als Münchner Faschingsprinzessin nach Texas fliegen durfte und nach der Rückkehr vom BR interviewt wurde. Dabei wurden die heutigen Kollegen auf sie aufmerksam. Sie hatte Fremdsprachenkorrespondentin gelernt, beim BR fragte man die junge Frau, ob sie Ansagerin werden wolle. Sie wollte es versuchen. "Beim Vorsprechen war ich dann allerdings so schlecht, auch gerade wegen des Rs, dass man am Ende sogar vergessen hat, mir abzusagen." Wenn sie sich selbst als normal oder sogar unterdurchschnittlich beschreiben kann, spricht Reiber schon mal über sich. Nur über die eigenen Erfolge, die Bekanntheit, jeder Gefahr aus so einer Richtung im Gespräch weicht sie mit höchster Perfektion aus.

Die BR-Leute waren pikiert, als Reiber nach Monaten nachfragte, und boten ihr ein zweites Vorsprechen an. Die junge Frau wollte es jetzt wissen. "Ich wollte vor allem einfach nicht noch einmal durchfallen." Sie übte, monatelang, die Motivation war, nichts falsch zu machen, und nicht: zu glänzen. Schon damals. Reiber sagte also an, so begann vor 56 Jahren ihre Karriere beim BR, bald durfte sie kurze Sequenzen moderieren. Später hat sie mal Sprachtraining genommen, um das R weniger zu rollen. Als das R dann nur noch ruckte, riefen die Leute an, "warum die Reiber das R nicht mehr rollt".

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1978 hatte sie gerade eine Publikumsumfrage als sympathischste Moderatorin gewonnen, als das ZDF anfragte. Statt kleinen Moderationen im Studio ging es nun zur ersten Sendung in die Dortmunder Westfalenhalle. 10 000 Gäste. Der Programmchef sagte: Du hast drei Sendungen, die letzte muss spitze sein. "Heute ist das ja ganz anders. Wir bekamen noch Zeit, um uns zu entwickeln." Ein typischer Reiber-Satz kommt auf die Frage, ob sie sich das zugetraut hat. "Die anderen haben mir das zugetraut."

Es ist wohl einer der Gründe, warum die Frau von ihrem Publikum gerne gesehen wird: die entweder sehr gut gespielte oder echte Zurückhaltung. Die Mutter zweier Söhne gibt oder ist immer die Mama, ob auf einer Bühne mit ihren Gästen, die erzählen sollen, wie das Fondue an Weihnachten schmeckt, oder an der Langtafel im Hofbräuhaus. Die Mutter begrüßt zur Sendung "Goldene Berge, goldene Lieder". Den Vergleich mit der Mutter: zu platt, zu gewöhnlich, zu oft gelesen. Stimmt trotzdem.

Bis zu zehn Minuten dauerten Anmoderationen damals, zu Zeiten der Riesenshows in den Achtzigerjahren, ohne Teleprompter, und wenn Reiber das Geburtsjahr von Radetzky falsch sagte, brach sie hinterher in Tränen aus. Nicht ums Glänzen ging und geht es eben, sondern ums Nichts-falsch-machen.

Sie machte viel richtig. In der noch immer großen Branche des Träume-Verkaufs mit wunderbaren Weisen, gesungen auf wogenden Wiesen gab und gibt sie die wahrhaft Immerfröhliche. Die Heimatbegeisterte. Und wenn es Millionen in Deutschland gibt, die sich gerne am Samstagabend in eine zauberhafte Märchenwelt versetzen lassen wollen, dann bringt sie niemand so elegant dorthin wie Reiber.

Die richtig Guten sind auf der Bühne wie im Privatleben

Wenn Carolin Reiber Menschen besonders mag, nennt die 76-Jährige sie "Herzwärmer". So wie Silbereisen. "Viele sind auf der Bühne anders als im Privatleben", sagt Reiber, "aber die richtig Guten nicht." Silbereisen sei einfach Silbereisen. "Gottschalk ist immer Gottschalk", ob die Kameras an sind oder nicht. Und Reiber ist Reiber. Das sagt sie nicht, sondern: "Man muss authentisch sein." Wieder ein Streichsatz, wieder ist er richtig.

Thomas Müller sei auch ein Herzwärmer, sagt Reiber, als sich später ein Paar hinsetzt, er mit roter Tüte vom FC Bayern. "Mein siebenjähriger Enkel Laurentius ist da einmal zu dem hin im Lokal und hat gesagt: ,Ich schaue mir jedes Spiel von Ihnen an, obwohl ich Löwe bin.' Und der Müller hat wunderbar fröhlich reagiert." Ein Herzwärmer, das sei einer, der die Menschen, die ihn anlächeln, auch zurückanlächelt. "Mei, der ist glaubwürdig."

Mei, das sagt Reiber, wenn man sie fragt, warum die Leute sie mögen, oder: "Ist halt so." Florian Silbereisen sagt: "Sie ist einfach großartig. Es ist eben bei Carolin so: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es zurück." Wenn Volksmusik-Moderatoren übereinander reden.

Am 25. Dezember bekommt Reiber wahrscheinlich wieder ein Fax von den ZDF-Kollegen, und wenn sie hier im Hofbräuhaus ein weiteres Mal gefragt wird, warum sie Heile-Welt-Sendungen moderiert , sagt sie einfach: "Einen schlechten Ruf haben wir nicht, den machen die Journalisten, aber nicht das Publikum, auch nicht Ihre Leser." Aber die Leute, die sich das ansehen ... "san die mehran".

Carolin Reiber muss los, später trifft sie noch Heino, der ist gerade in der Stadt und hat sich gemeldet. Man kennt und mag sich eben in dieser Kennen-und-sich-mögen-Branche. Reiber zieht eine Papiertüte aus der Tasche, ein Geschenk für den Reporter, Lebkuchensterne aus der eigenen Konditorei, "Sterrnderrl für Sie", sagt die Herzwärmerin.

Alle Jahre wieder: Reiber moderiert die Weihnachtssendung (2000). (Foto: OBS)
© SZ vom 22.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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