Kriminalität:80-Jähriger überführt falsche Polizisten

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Ernst Hellgardt (links) und Polizei-Vizepräsident Werner Feiler. (Foto: Polizei)

Der Literaturwissenschaftler half dabei, drei Männer ins Gefängnis zu bringen. Die richtige Polizei hatte sie schon im Visier - brauchte aber noch Beweise.

Von Martin Bernstein

Mit dem Problem von "Anonymität und Autorennamen" kennt Ernst Hellgardt sich aus. Freilich eher bei Protagonisten wie Otfrid von Weißenburg oder Hermann von Reichenau. Hellgardt, 80, ist Mediävist; die Literatur des Mittelalters sein Spezialgebiet. Auch die Frage von Original und Fälschung hat den Münchner Wissenschaftler schon beschäftigt. So gesehen geriet die Betrügerbande, die es auf das Vermögen des Germanisten abgesehen hatte, eindeutig an den Falschen. Am Ende sitzen drei der Täter im Knast - Hellgardts Einsatz erst ermöglichte den Fahndungserfolg der Münchner und der Berliner Polizei.

Zunächst einmal klang es schon sehr bedrohlich, was der angebliche Polizist am Telefon sagte in jener Sonntagnacht vor gut einem Jahr: Der Inhalt des Bankschließfachs, für das Hellgardt den Schlüssel hat, sei in Gefahr. Zunächst dachte Hellgardt tatsächlich, mit einem Kriminalbeamten zu sprechen. Als sich die Telefonate aber die ganze Nacht hinzogen und die Fragen des Anrufers immer drängender wurden, kamen dem 80-Jährigen erste Zweifel. Im Morgengrauen beschloss er, selbst nach dem Rechten zu sehen. Ohne die Polizei einzuschalten. "Die brauche ich nicht", dachte der Forscher da noch.

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Doch die Polizei - und zwar die echte aus München - brauchte ihn. Sie hatte die von einem türkischen Anschluss aus operierende Bande falscher Polizisten nämlich schon im Visier, vermutlich überwachte sie deren Telefonate. Nur Beweise fehlten noch. Am besten wäre es, so die Experten von der "Arbeitsgruppe Phänomene", Täter in flagranti zu erwischen. Und so staunte Hellgardt nicht schlecht, als nach tagelangen Telefonaten mit dem mutmaßlich falschen Polizisten sich auf einmal ein anderer Kriminaler bei ihm meldete. "Wer ist denn nun der echte?" fragte der mit allen Wassern der Quellenkritik gewaschene Literaturwissenschaftler.

Als die Authentizität des zweiten Anrufers hinreichend geklärt war, schritt Hellgardt in Absprache mit der echten Polizei zur Tat. Aus einem falschen Bankschließfach wanderten Utensilien, die die Täter für echte Preziosen halten mussten, in einen Rucksack. So ausgestattet ließ Hellgardt sich von dem falschen Polizisten per Handy durch München dirigieren. Am Alten Südfriedhof wartete ein junger Mann, der sich als Ermittler ausgab und den Rucksack an sich nahm.

Die echten Ermittler freilich beobachteten ihn. Binnen 24 Stunden führte der 22-Jährige sie bis nach Berlin - und zu zwei Komplizen, 22 und 25 Jahre alt. Die Falle schnappte zu. Inzwischen ist das Trio zu Gefängnisstrafen von bis zu zweieinhalb Jahren wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs verurteilt worden. Ohne Bewährung. Die Suche nach ihren Hintermännern aus der Türkei geht weiter.

Mit solchen Tricks haben falsche Polizisten allein in München in diesem Jahr wieder mehr als vier Millionen Euro ergaunert. Wie hartnäckig und trickreich sie vorgehen, erlebte Hellgardt vor zwei Monaten. Erneut meldete sich ein angeblicher Polizist bei ihm am Telefon. "Die Masche kenne ich schon", sagte der Münchner. Doch dann ließ er sich mit einer angeblichen "Einsatzzentrale" verbinden, statt selbst die 110 zu wählen. Am Ende freilich war der Professor gewitzter als die Gauner. Er vereinbarte für den nächsten Tag ein Treffen auf dem Polizeirevier. Hellgardt kam, der falsche Polizist nicht. Die Krimis von Wolf Haas, die Ernst Hellgardt sonst gerne liest, hat er jetzt zugunsten griechischer Tragödien zur Seite gelegt. Im wirklichen Leben trifft er genügend Ganoven.

© SZ vom 20.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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