Besuch im Wahllokal:7000 Helfer für die Demokratie

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Tonnenleerung: Walter Neubert startet die Auszählung. (Foto: Sebastian Gabriel)

928 149 Menschen dürfen in München wählen. Ehrenamtliche sorgen dafür, dass alles seine Ordnung hat - und verhindern Pannen wie bei der Landtagswahl.

Von Kassian Stroh, München

In Wahllokal 211 geht die Demokratie an diesem Sonntag ganz ruhig ihren Gang. Und vor allem: geregelt. Teresa Friesinger sitzt neben der gelb-schwarzen Wahlurnen-Tonne und gibt jedes Mal den Einwurfschlitz frei, wenn alles seine Ordnung hat. Neben sich hat sie ein Gesetz und ein Heft mit allen Regeln liegen. Der schwarze Mops in der Wahlkabine? In Ordnung. Ein Kind, das schon lesen kann? Nein. Und als eine ältere Dame laut sagt, sie habe jetzt für die Zukunft ihrer Kinder gestimmt, wird Friesinger kurz stutzig und greift nach dem Heft. Ist das noch eine zulässige Äußerung oder womöglich eine unzulässige Beeinflussung? Nein, in Ordnung, befinden die Wahlhelfer, die Dame hat ja keine Partei genannt.

Wahllokal 211 ist ein kleiner Raum im Altenheim Kreszentia-Stift an der Isartalstraße. An der Wand eine Marienfigur und ein Engel, Bücher im Regal, auf dem Tisch eine Schirmlampe, die das Alter vieler Bewohner bald erreicht haben dürfte. Hier ist Friesinger als stellvertretende Wahlvorsteherin im Einsatz, mit sechs anderen zusammen bildet sie den Wahlvorstand. Sieben von mehr als 7000 Münchnerinnen und Münchnern, die diesen Sonntag als Wahlhelfer verbracht haben.

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Ihre Motivation? "Neugier, eine sinnvolle Aufgabe", sagt Friesinger, "das sollte jeder mal gemacht haben." 125 Euro bekommt sie dafür als Entschädigung. Matthias Breinl neben ihr, der Schriftführer, bekommt etwas weniger Geld, dafür aber einen freien Tag. Er ist Lehrer an einer städtischen Berufsfachschule, arbeitet also im öffentlichen Dienst, wie etwa die Hälfte aller Münchner Wahlhelfer. Das sei eine zusätzliche Motivation, sagt er, auch wenn er dieses Amt auch aus staatsbürgerlichem Bewusstsein heraus wahrnehmen würde. Aber natürlich sei es ein bisschen gemein, dass nicht jeder einen freien Tag bekomme, sagt Breinl. Eine der Beisitzerinnen im Wahllokal 211 kriegt sogar zwei, sie arbeitet bei einem Gericht.

Die Helfer verteilen sich auf 618 Wahllokale und die MOC-Messehallen. Dort werden zentral die Briefwahlstimmen ausgezählt - fast jede dritte in München. Für die Helfer in den Wahllokalen heißt das: Je mehr Briefwahl, desto weniger Arbeit beim Auszählen. Im Kreszentia-Stift ist trotzdem viel los, fast immer sind Wähler da, aber nie so viele, dass sich Schlangen bildeten. Insgesamt 1533 Wahlberechtigte dürfen hierher kommen, 505 von ihnen haben Briefwahl beantragt, 611 schauen persönlich vorbei. Einige auch, obwohl sie zu Hause Briefwahl-Unterlagen haben. Dann wird es knifflig und Breinl und Friesinger müssen genau kontrollieren, damit niemand doppelt abstimmen kann.

Immerhin kommt es nicht zu solchen Pannen wie bei der Landtagswahl vor sieben Monaten: Da war der Andrang so groß, dass die Helfer sehr lange mit dem Zählen brauchten. Dann machte der Server Probleme, an den sie die Ergebnisse schicken wollten. Manchmal hing das Programm über Stunden fest, aber keiner durfte nach Hause - denn der ganze Wahlvorstand muss das Protokoll unterschreiben. Das aber spuckte der Drucker erst aus, nachdem die Ergebnisse übermittelt waren. Der Ärger war riesig unter den ehrenamtlichen Wahlhelfern, bis hinauf zum Oberbürgermeister, der sich über die Pannen mokierte. Das für die Technik verantwortliche IT-Referat der Stadt und das Kreisverwaltungsreferat (KVR), zu dem das Wahlamt gehört, reagierten: Die Computerprogramme in den Wahllokalen wurden verbessert. Gedruckt werden kann nun auch ohne Verbindung zum Wahlamt, so dass zur Not ein Kurier die Ergebnisse dorthin bringen könnte.

Im Kreszentia-Stift erklärt Vorsteher Walter Neubert Punkt 18 Uhr die Wahl für beendet, schneidet das Siegel an der Urne durch und kippt alle Zettel auf einen Tisch. Die Helfer bilden Häufchen nach Parteien, der von den Grünen ist am Ende mehr als doppelt so hoch wie der der CSU - im Wahllokal 211 stimmt das Dreimühlenviertel ab.

Einen befürchteten Effekt hatte die pannenreiche Landtagswahl gleichwohl nicht: Den, dass die Freiwilligen diesmal ausbleiben könnten. "Wir hatten überhaupt keine Probleme, Wahlhelfer zu finden", sagt KVR-Sprecher Johannes Mayer. Ein Grund dafür mag sein, dass die Europawahl zu den beliebteren gehört, wie Mayer sagt. Sie ist viel leichter auszuzählen als andere - jeder hat nur eine Stimme, die er auch nur einer Liste geben darf. Für die wesentlich aufwendigere Landtags- und Bezirkstagswahl etwa waren im Oktober fast 4000 Helfer mehr im Einsatz.

Breinl war einer von ihnen. Und auch er war ziemlich entnervt von den Pannen, kam erst spät in der Nacht ins Bett. Bei der Europawahl funktioniert die Computerverbindung, und Breinl kommt deutlich früher heim: Um 19.07 Uhr schickt er das Ergebnis ans KVR. Sein Dienst an der Demokratie ist beendet.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels stand, Matthias Breinl sei Beamter. Das ist falsch, er ist Angestellter im öffentlichen Dienst.

© SZ vom 27.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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