Erzieher im Ausstand:Das tägliche Chaos

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Die Erzieherinnen vermissen die Kinder - und dem Nachwuchs fehlt der Kindergarten. (Foto: dpa)
  • Mehr als die Hälfte der städtischen Kindergärten, Krippen und Horte sind seit vergangenem Montag geschlossen. Der Streik hat sich auch ins Münchner Umland ausgeweitet.
  • Ein Ende des Arbeitskampfs ist noch nicht abzusehen, am Mittwoch treffen sich die Streikleiter, um die weitere Strategie zu besprechen.
  • Ob die Eltern ihre Gebühren für die Zeit des Ausstandes erstattet bekommen, ist noch nicht sicher.

Von M. Staudinger, T. Schwarzenbach, M. Hammer, W. Harms

Opa hat Verspätung

Nadine Kemlein-Schiller ist nicht nur vom Kita-Streik betroffen, sondern auch vom Ausstand der Lokführer. Weil ihr zweijähriger Sohn in eine Krippe geht, gab es für ihn keine Notbetreuung - diese wird nur für Kindergartenkinder angeboten. Also sollte der Opa aufpassen, während die Eltern arbeiten. Der aber konnte vor dem Streikbeginn nicht anreisen: Bahnstreik. "Sonst hatten wir keine Alternative, also musste ich mir drei Tage unbezahlten Urlaub nehmen", sagt Kemlein-Schiller. Ihre vierjährige Tochter habe sie dann auch gleich zu Hause behalten. In deren Kindergarten wurde zwar nicht gestreikt, jedoch eine Notfallgruppe gebildet. Die Folge: 25 Kinder mehr in der Einrichtung, der Mittagsschlaf sollte entfallen. Immerhin: An diesem Dienstag kommt endlich der Opa. "Hoffentlich klappt das dann auch", sagt Kemlein-Schiller. Schließlich habe ihr Vater noch nie so lange am Stück auf den Kleinen aufgepasst.

Vorstoß im Stadtrat
:Geld zurück beim Kita-Streik

Eltern sollen Gebühren und das Essensgeld erstattet bekommen, wenn Einrichtungen wegen des Kita-Streiks geschlossen sind - so zumindest der Plan von SPD und CSU im Münchner Rathaus. Doch juristisch geklärt ist die Idee noch nicht.

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Hohe Beteiligung

Im Vergleich zu früheren Arbeitskämpfen streikten diesmal deutlich mehr Arbeitnehmer, sagt Geschäftsführer Heinrich Birner von Verdi München. "Anders als geplant hat sich die Streikbewegung auch auf das Umland ausgeweitet." In der ersten Streikwoche hätten zum Beispiel Erzieherinnen und Sozialarbeiter in Olching, Freising und Gilching ihre Arbeit niedergelegt. Auch beim Kreisjugendring München Stadt, beim Stadtjugendamt und in den Sozialbürgerhäusern wird gestreikt. Allerdings gebe es eine Notdienstvereinbarung, so dass etwa die Leitstelle des Jugendamts auch nachts besetzt und die Aufsicht in Heimen für Minderjährige gewährleistet sei. Am Mittwoch treffen sich die ehrenamtlichen Streikleiter, um eine bundesweite Strategie zu besprechen. "Legen die Arbeitgeber ein ernsthaftes Angebot vor, wird der Streik möglicherweise unterbrochen. Andernfalls geht er eventuell über Pfingsten weiter", so Birner.

Not-Kitas in München
:"Oder macht ihr das hier nicht so?"

Andere Spielsachen, unbekannte Zimmer und viele fremde Gesichter: Münchner Eltern freuen sich, wenn sie während des Streiks einen Platz in einer der 40 Not-Kitas ergattert haben. Manchem Kind hingegen fällt der Besuch nicht leicht.

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Puffer bei Notfallplätzen

Im städtischen Bildungsreferat ist es nach dem Organisationsstress beim Streikbeginn etwas ruhiger geworden. Die Notfallkitas sind eingerichtet, die meisten Eltern offenbar versorgt. Zumindest hätten die Anrufe bei den Hotlines des Referats wieder nachgelassen, sagt eine Sprecherin. Wie viele Eltern und Kinder überhaupt vom Streik betroffen sind, weiß man bisher nicht genau. In der ersten Woche seien rund 60 Prozent der Kitas bestreikt worden, für die betroffenen Kinder gebe es rund 1000 Härtefallplätze. Die sind zwar alle von den Leitern der Kitas - im Zweifel per Losentscheid - vergeben worden, doch ein gewisser Puffer sei immer noch da, etwa weil am Ende doch nicht alle Kinder in der fremden Umgebung bleiben wollten. Eltern, die noch dringend einen Notfallplatz brauchen, sollen sich an den Elternbeirat ihrer Einrichtung wenden, der dann den Kontakt zum zuständigen Stadtquartiersleiter vermitteln könne.

Kita-Streik
:"Die aktuelle Situation ist eine Katastrophe!"

Wenn Erzieher und Kinderpfleger streiken, müssen sich viele Eltern eine alternative Betreuung organisieren. Trotz des Stresses zeigen sie Verständnis für den Ausstand, nicht aber für die Arbeitgeber.

Mit Batman im Büro

Bei "The Cookie Labs", einer Münchner Kommunikationsagentur, zogen vergangene Woche Spiderman und andere Superhelden ein, denn Paul Radtke, einer der beiden Geschäftsführer, brachte wegen des Kitastreiks seinen Sohn mit ins Büro. Der städtische Kindergarten, den Linus besucht, bietet zwar auch Notfallplätze an. "Wir wollten aber keiner alleinerziehenden Mutter oder anderen, die dringender einen Platz brauchen, einen wegnehmen", sagt Radtke. Zunächst wechselten sie sich mit anderen Eltern ab, doch trotzdem blieb zu wenig Zeit für die Arbeit. Zum Glück zeigten sich Radtkes Kollegen kinderfreundlich. Als der Vater geschäftliche Termine hatte, kümmerten sie sich im Büro um Linus. "Mit den Superhelden ist der Kleine eine Zeit beschäftigt. Er wird aber auch sehr laut beim Spielen", erzählt Radtke. Wenn alle Stricke reißen, darf er sich auf dem iPad eine Batman-Serie ansehen." Dann kehre wieder Ruhe ein.

Schnelle Eingewöhnung

Am ersten Tag gab es noch vereinzelt Tränen, doch schon am zweiten hätten sich die meisten Kinder an die neue Kita gewöhnt, sagt Ulla Belser, Leiterin des Kinderhauses in der Nanga-Parbat-Straße. Ihre Einrichtung öffnet als eine von 40 Notfall-Kitas in München trotz des Streiks. Belser und ihre Kollegen betreuen seit vergangenem Montag zwölf Kinder aus einer anderen Einrichtung. "Für die Kinder ist es fast schon Alltag, zu uns zu kommen", sagt Belser. Mehrere Erzieher aus der anderen Kita greifen nun Belsers Mannschaft unter die Arme. Sie hätten sich schnell in die Arbeitsabläufe eingefunden, sagt die Leiterin. "Wir hatten uns das viel aufwendiger vorgestellt." Auch die Eltern tragen zur Entspannung bei. Sie bemühten sich beispielsweise, ihre Kinder früher abzuholen und sie nicht jeden Tag in die Kita zu bringen. Auch der Auftakt zur zweiten Streikwoche verlief in der Nanga-Parbat-Straße ohne Überraschungen: Außer den regulären Kindern kamen die gleichen Besucher, wie in der vergangenen Woche.

Seit mehr als einer Woche sind die Erzieherinnen bereits im Ausstand. (Illustration: D. Schmidt) (Foto: N/A)

Keine Kunst mehr

Stephanie Trabusch, Künstlerin und selbst Mutter eines vierjährigen Kindes, hatte zum Streikbeginn die spontane Idee, eine mehrstündige Betreuung anzubieten, während der die Kinder malen können. "Das Angebot haben viele genutzt", sagt Trabusch. Die Nachfrage für diese Woche sei dagegen nicht sehr groß gewesen. Ein Problem sei wohl, dass manche Eltern mehrere Kinder hätten. Das ältere sei dann zwar betreut, das jüngere aber könne man nicht einfach in einer fremden Umgebung lassen. Trabusch entschied sich, diese Woche Zwangsurlaub zu nehmen. "Ich bin auch im Elternbeirat aktiv und wir haben bei der Stadt München angefragt, ob wir die Räume des Kindergarten nutzen dürfen, falls der Streik andauert." Das Modell gebe es schon in Bremen. Die Stadt München habe aber noch nicht reagiert.

Null acht neun
:Erzieher, überall Erzieher

Jetzt streiken sie also, die Erzieher. Und die Eltern fragen sich: Was tun? Dabei könnte die Stadtverwaltung ganz einfach Abhilfe schaffen - wenn sie nur einmal ihre Talentscouts auf die Straßen schicken würde.

Glosse von Andreas Schubert

Schmerzlich vermisst

Sibylle Meister-Ganouchi hat schon gehört, dass sie und ihre Kolleginnen schmerzlich vermisst werden. Meister-Ganouchi ist Leiterin des Olchinger Kindergartens Regenbogen, und je länger der unbefristete Ausstand dauert, desto öfter fragen die Kleinen nach, wo die Erzieherinnen abgeblieben sind. "Das Vermissen beruht auf Gegenseitigkeit", sagt sie. Trotz allem wollen sie und ihre Kolleginnen hart bleiben und sich nicht entmutigen lassen. Zum Glück, so sagt Meister-Ganouchi, würden sie von einem Großteil der Eltern unterstützt . "Viele von Ihnen wollen eine qualitativ hochwertige Betreuung für ihr Kind und wollen, dass die Erzieherinnen ordentlich bezahlt werden." Meister-Ganouchi hofft, dass der Streik bald ein Ende findet, einerseits, weil man die Geduld der Eltern nicht überstrapazieren wolle, andererseits, weil so ein Streik kein Zuckerschlecken sei. "Ich gehe wirklich lieber arbeiten", sagt sie.

© SZ vom 19.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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