Regionale Lebensmittelproduktion:"Jeder nach seiner Façon"

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Cem Özdemir war am Dienstag zu Besuch in die Metzgerei von Ludwig Stuhlberger (links). (Foto: Stephan Görlich)

Cem Özdemir, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, besucht die Metzgerei Stuhlberger in Wartenberg. Er ist angetan von der Kooperation mit einem Schweinemäster aus der Region - und wird zum Mitarbeiter des Tages.

Von Florian Tempel, Wartenberg

Cem Özdemir macht das ganz dezent. Natürlich ist es kein Zufall, dass er drei Tage durch Hessen und Bayern fährt. Hier wie da finden am 8. Oktober Landtagswahlen statt. Der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft ist zwar ein ausgezeichneter Redner, doch er steuert keine Bierzelte an, um dort seine Wahlkampfunterstützung für seine Partei zu leisten. Bei seiner "Sommertour", die unter dem reichlich pathetischen Titel "Die Kraft unseres Landes" läuft, sucht Özdemir nicht die Aufmerksamkeit der Massen, sondern das Gespräch im kleineren Kreis.

Der Minister will "Menschen, die mit ihrem Engagement gesellschaftlichen Zusammenhalt schaffen", treffen, wie es seine Presseleute formuliert haben. Und weiter: "Im Fokus stehen dabei regionale Wirtschaft, nachhaltige Wertschöpfung, angewandte Wissenschaft und der überragende Beitrag, den die ländlichen Räume zum Gelingen der Energiewende beitragen." Man staunt erst ein bisschen, aber man kann sagen, da ist er in der Metzgerei Stuhlberger in Wartenberg genau richtig.

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Auf der Suche nach einem interessanten Metzger wurde eine Anfrage aus seinem Ministerium vom Zentralverband des Deutschen Handwerks an den Deutschen Fleischerverband weitergeleitet, wo man sich an Ludwig Stuhlberger erinnerte. Der 69-jährige Wartenberger Metzgermeister, der neben einem Doktortitel in Veterinärmedizin auch ein Diplom in Lebensmitteltechnologie besitzt, war früher einmal Präsidiumsmitglied. Auch seine Zeit als Obermeister im Landkreis und Obmann der Metzger in Oberbayern ist schon länger vorbei. In den vergangenen Jahren hat er sich intensiv auf die Zukunft seines Familienbetriebs konzentriert, den er mit seiner Frau Cornelia, seinen Töchtern Julia und Anna sowie Schwiegersohn Toni führt und mit ihnen neu aufgestellt hat.

Minister Özdemir kommt etwas später als angekündigt an Stuhlbergers Produktionsstätte am Ortsrand von Wartenberg an. Er kommt mit einer Handvoll Mitarbeitern und Journalistinnen, die ihn auf seiner Sommertour begleiten. Die Reisegruppe fährt in einem Kleinbus und einem Van vor, beide natürlich Elektroautos. Der erste Eindruck: Cem Özdemir ist etwas kleiner als gedacht und viel freundlicher als erwartet. Er schüttelt jedem die Hand und sagt zur Begrüßung seinen Nachnamen. Er macht keine kleinen Witzchen, um chefmäßig die Stimmung zu lockern, sondern schafft durch einfache Höflichkeit entspannte Nähe.

Skeptischer Blick, aber unverzagt mitgemacht: Cem Özdemir beim Abdrehen von einem Dutzend Rohpolnischen, angelernt von Toni Stuhlberger-Hofer (links), Produktionsleiter der Metzgerei. (Foto: Stephan Görlich)

Nachdem alle Besucher mit weißen Metzgerkitteln, Schuhüberziehern, Kappen und Haarnetzen eingekleidet sind, geht es in den Schlachtraum. Das Wort hat Ludwig Stuhlberger. Er erklärt, dass "bei uns die Schlachtung nicht der billigste Mann macht, sondern der beste", alles möglichst tierschonend und ohne Zeitdruck. Es geht vor allem um die 50 bis 60 Schweine, die hier pro Woche geschlachtet werden. Der "wichtigste Mann", sagt Stuhlberger, sei Landwirt Adi Bauer, nicht nur weil er die Tiere stets in aller Ruhe selbst bringe.

Der Schweinemäster aus dem gut 30 Kilometer entfernten Buchbach "gehört fast mit zur Familie", sagt Stuhlberger. Die beiden kooperieren seit sechs Jahren. Adi Bauer hat auf seinem Hof circa 1400 Schweine, die er als Strohschweine in hellen Ställen mit viel Platz und Auslauf ins Freie hält und nur mit hofeigenem Futter mästet. Alle Schweine gehen ausschließlich an die Metzgerei Stuhlberger, auf direktem Weg und ohne Zwischenhandel. "Es ist eine ganz andere Philosophie", sagt Adi Bauer, und betont "dass man raus aus dem ganzen Industriedruck ist, ist auch ein Gewinn an Lebensqualität".

Özdemir ist seit 40 Jahren Vegetarier, aber ohne missionarischen Eifer

Özdemir hört das gerne, denn es zeigt doch, wie eine lokale Zusammenarbeit zwischen Landwirten und Lebensmittelproduzenten funktionieren kann. So normal, aber auch so wegweisend. Und dazu sind die Betriebe von Stuhlberger und Bauer dank Einsatz verschiedenster erneuerbarer Energiequellen auch noch so gut wie energieautark. Doch das Strohschweine-Konzept ist, wie Stuhlberger einräumt, noch eine Ausnahme. Und sowieso werden nur 14 Prozent des in Deutschlands verbrauchten Fleischs im Metzgerhandwerk verarbeitet.

Dem Minister gefällt alles, bis auf eine Sache, um die er vielleicht lieber drumherum gekommen wäre. Er muss ein Dutzend Rohpolnische abdrehen. Der Mitarbeiter des Tages schaut etwas skeptisch, macht dann aber unverzagt mit. Eines muss er an dieser Stelle jedoch einflechten und loswerden: "Ich bin seit meinem 17. Lebensjahr Vegetarier." Und doch finde er es gut, beteuert er, dass es Metzger gibt. Er sei grundsätzlich gegen Schwarz-Weiß-Denken. Dass andere ihm vorwerfen, er würde Fleischkonsum verordnet reduzieren wollen, sei schlicht gelogen. Er halte es mit dem Preußenkönig Friedrich dem Großen, dass "jeder nach seiner Façon selig werden" solle, und der in Bayern lieber zitierten "liberalitas bavariae". Auch wenn er persönlich darauf verzichte, sei er für "Fleisch aus der örtlichen Metzgerei und vom örtlichen Bauernhof - das ist meine Politik".

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