Landgericht Landshut:"Es gibt derzeit kein moderateres Mittel"

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Die Unterbringung in der Forensik ist der schwerste Eingriff in die Freiheitsrechte, den das Strafgesetzbuch vorsieht. (Foto: Heiko Becker/dpa)

Weil er im Suchttherapiezentrum Wartenberg zum wiederholten Mal mit einem Körperverletzungsdelikt aufgefallen ist und keine Einrichtung vorweisen kann, die ihn aufnimmt, wird ein psychisch kranker Mann jetzt in der Forensik untergebracht.

Von Alexander Kappen, Landshut/Wartenberg

Die Unterbringung in der Forensik, da waren sich alle Prozessbeteiligten einig, die ordnet man nicht einfach mal so an. Eine solch gravierende Maßnahme muss juristisch wasserdicht und gut begründet sein. "Das ist der schwerste denkbare Eingriff in die Freiheitsrechte eines Menschen", gab der Verteidiger in seinem Plädoyer zu bedenken. Auch Richter Thomas Lindinger, dem Vorsitzenden der sechsten Strafkammer des Landshuter Landgerichts, sowie seinen Beisitzern und Schöffen war "selbstverständlich bewusst, dass dies das schärfste Schwert des Strafrechts und mit der größte Eingriff in die Grundrechte ist", wie er sagte. Dennoch sei die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in diesem Fall "erforderlich und verhältnismäßig".

Der heute 42-jährige, gebürtige Chamer hat nach Überzeugung des Gerichts im April 2023 im Suchttherapiezentrum Wartenberg einem Mitbewohner zwei Faustschläge verpasst. Ein vergleichsweise noch eher harmloser Vorfall, bei dem der 66-jährige Geschädigte seinen eigenen Angaben nach Schmerzen erlitt, aber keine Verletzungen davontrug. Doch die Tat musste im Gesamtkontext gesehen werden. Und in diesem waren die Schläge in Wartenberg nach Einschätzung des Gerichts dann offenbar der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Das Urteil beruhte auch auf einem Gutachten des Landgerichtsarztes, der die Voraussetzungen für eine Unterbringung nach Paragraf 63 des Strafgesetzbuches als gegeben ansah.

Insgesamt 27 Vorstrafen waren im Bundeszentralregister (BZR) für den Angeklagten vermerkt. In den vergangenen Jahren sammelte der 42-Jährige mehr als ein Dutzend Körperverletzungsdelikte. Stets wurde das Verfahren ohne rechtskräftiges Urteil wegen Schuldunfähigkeit eingestellt. Der Angeklagte leidet an einem hirnorganischen Psychosyndrom mit kognitiven Defiziten und Persönlichkeits- beziehungsweise Verhaltensstörungen. Grund waren ein schwerer Motorradunfall, aber auch der exzessive Drogenkonsum des Angeklagten, der nach eigenen Angaben schon diverse Heroin-Entzüge hinter sich hat.

Beim Angeklagten sei "von einer erheblichen Gefahr für die Allgemeinheit auszugehen", sagte der Staatsanwalt in seinem Schlussvortrag. Er führte das diagnostizierte hirnorganische Psychosyndrom an, ebenso "die zahlreichen Eintragungen im BZR". Der Angeklagte, der in der Vergangenheit von Einrichtung zu Einrichtung weitergereicht wurde, weil er immer wieder mit Gewaltdelikten auffällig geworden war, habe "auch schon mal einen Mitbewohner so körperlich bedroht, dass dieser im Erdgeschoss aus dem Fenster gefallen ist", betonte der Staatsanwalt. "Es ist nicht auszuschließen, dass es noch schlimmer wird", sagte er und beantragte deshalb die Unterbringung.

Der Verteidiger hält die Unterbringung für unverhältnismäßig

Eine solche sei unverhältnismäßig, meinte dagegen der Verteidiger. Die sogenannte "Anlasstat", die es für so eine Anordnung bedarf, "ist nicht sattelfest, wir haben einen unsicheren Sachverhalt. War es abends oder morgens? Wo fand die Körperverletzung statt?". Er spielte darauf an, dass nicht ganz klar war, ob die Schläge am Balkon oder im Raucherzimmer des Therapiezentrums ausgeteilt wurden. Und darauf, dass als Tatzeit 10.30 Uhr in der Anklageschrift stand, das Opfer aber davon sprach, dass es bereits dunkel war. Was, wie in der Hauptverhandlung diskutiert wurde, aber daran liegen kann, dass der Geschädigte bei der Polizei umgangssprachlich "halb elf" als Zeit angegeben hat und damit 22.30 Uhr meinte.

Nach Ansicht des Verteidigers hätte es gereicht, den Angeklagten zivilrechtlich in eine allgemeinpsychiatrische Klinik zu schicken und zur Auflage zu machen, dass er eine Depot-Medikation nehmen muss, um seiner eingeschränkten Impulskontrolle entgegenzuwirken. "Das würde reichen, um die Allgemeinheit zu schützen", so der Verteidiger.

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Von Alexander Kappen

Um die bereits im September 2023 vom Amtsgericht Landshut befohlene einstweilige Unterbringung aufzuheben beziehungsweise eine Unterbringung auf Bewährung anzuordnen, brauche man einen sozialen Empfangsraum in Form eines unterschriebenen Vertrags mit einer Einrichtung, argumentierte der Vorsitzende. Aber einen solchen gebe es nicht. "Gibt es ein moderateres Mittel als die Unterbringung in der Forensik? Derzeit nicht", sagte er.

Die angeordnete Unterbringung werde regelmäßig überprüft, so der Richter: "Man schaut, wie es läuft und gegebenenfalls gibt es dann eine Bewährung mit einer Unterbringung in einer sozio-therapeutischen Einrichtung - und funktioniert es dort nicht, geht es zurück in die Forensik." Die nötige "Anlasstat" sei übrigens gegeben. Es liege eine Körperverletzung vor, und das sei "eine erhebliche Anlasstat, wenn auch am unteren Rand".

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