Prozess am Landgericht Landshut:Staatsanwalt sieht Gefahr für die Allgemeinheit

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Ein schwieriger Fall für Justitia: In der Verhandlung am Landgericht Landshut gilt es zu klären, ob eine Unterbringung des Angeklagten gerechtfertigt und verhältnismäßig ist. (Foto: Stefan Puchner/dpa)

Im Zustand der Schuldunfähigkeit begeht ein psychisch kranker Mann zahlreiche Körperverletzungen. Nach einem neuerlichen mutmaßlichen Übergriff in einer Wartenberger Therapieeinrichtung muss die Kammer über eine Unterbringung des 42-Jährigen entscheiden.

Von Alexander Kappen, Landshut/Wartenberg

Der Fall als solcher wäre im Vergleich zu vielen anderen Vorstrafen des Angeklagten eine eher kleinere Sache. Das Problem ist, dass der 42-jährige gebürtige Chamer, der sich seit Freitag wegen Körperverletzung und versuchter Nötigung vor der sechsten Strafkammer des Landgerichts Landshut verantworten muss, in den vergangenen Jahren mehr als ein Dutzend Körperverletzungsdelikte in seinem Vorstrafenregister angesammelt hat. Jedes Mal wurde das Verfahren ohne rechtskräftiges Urteil wegen Schuldunfähigkeit eingestellt.

Für die Kammer stellt sich die Frage, ob der Angeklagte tatsächlich für die Allgemeinheit gefährlich ist, wie die Staatsanwaltschaft meint. Und ob die beiden Faustschläge, die der 42-Jährige im April 2023 im Suchttherapiezentrum Wartenberg einem Mitbewohner verpasst haben soll, die nötige "Anlasstat" sind, um eine Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung anordnen zu können.

Zum aktuellen Tatvorwurf wollte sich der Angeklagte beim Prozessauftakt am Freitag nicht äußern, wie er über seinen Verteidiger erklären ließ. Angaben machte er allerdings zu seinem Lebenslauf, der von exzessivem Drogenkonsum, einem schweren Unfall und 27 im Bundeszentralregister vermerkten Straftaten geprägt ist.

Seine leiblichen Eltern kennt der Angeklagte nicht, er wuchs mit sieben älteren Brüdern bei den inzwischen verstorbenen Pflegeeltern auf, machte den qualifizierenden Hauptschulabschluss und absolvierte erfolgreich eine Lehre als Maler und Lackierer. In diesem Beruf arbeitete er anschließend auch. Allerdings waren seit dem Teenageralter Drogen sein ständiger Begleiter. Mit 14 Jahren, als sein Pflegevater starb, habe er erstmals Marihuana probiert und es dann fast täglich konsumiert, berichtete der Angeklagte.

"Mit 18 habe ich mit Heroin angefangen und davon Depressionen bekommen", erzählte der 42-Jährige dem Richter mit leiser, nur schwer verständlicher Stimme. Seit er vor einigen Jahren einen schweren Motorradunfall hatte und drei Monate lang im Koma lag, leidet er an einem hirnorganischen Psychosyndrom mit kognitiven Defiziten und Persönlichkeits- beziehungsweise Verhaltensstörungen. Dazu kam der Drogenkonsum, der laut Landgerichtsarzt Hubert Näger beim Angeklagten zu einer Gehirnentzündung geführt hat. Nach eigenen Angaben hat der Angeklagte schon mehrere Heroin-Entzüge hinter sich und nimmt heute Medikamente wegen seiner Erkrankung.

Bereits im Jugendalter begeht der Angeklagte Straftaten

Genauso wie mit den Drogen hat der 42-Jährige mit seinen Straftaten bereits im Jugendalter begonnen. Dabei hat er kaum etwas ausgelassen: unerlaubter Erwerb, Besitz und die Abgabe von Betäubungsmitteln, Unterschlagung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, fahrlässige Gefährdung des Straßenverkehrs, gefährliche Körperverletzung, Geldfälschung, fahrlässige Trunkenheit im Straßenverkehr, Fahren ohne Führerschein, Wohnungseinbruchdiebstahl, Besitz von Waffen und Munition. Und dazu die besagten Körperverletzungen im Zustand der Schuldunfähigkeit, bei denen das Verfahren eingestellt wurde.

Offensichtlich wanderte der Angeklagte zuletzt von Therapieeinrichtung zu Therapieeinrichtung, weil er überall "Streit mit Anderen hatte und ein bisserl impulsiv war", wie es der Landgerichtsarzt umschrieb, der den Angeklagten bereits seit vielen Jahren kennt.

Auch der 66-jährige Mitbewohner, der im vergangenen April vom Angeklagten in der Einrichtung in Wartenberg geschlagen worden sein soll, berichtete, dass es mit diesem "immer wieder Ärger gegeben hat, wenn er was konsumiert hat". Bei seinen Freigängen besorgte dieser sich laut dem Geschädigten Alkohol oder eine Muskatnuss, mit der man sich offenbar berauschen kann. In seinem Zimmer habe der 42-Jährige "immer Party gemacht und da gab es auch öfter Schlägereien", so der Mitbewohner.

Der Geschädigte erleidet Schmerzen, trägt aber keine Verletzungen davon

Der Streit, um den es im aktuellen Fall geht, entbrannte im Fernsehzimmer der Therapieeinrichtung. Der Angeklagte soll dort entgegen den Vorschriften geraucht haben, worauf der 66-Jährige ihn aufforderte, nach draußen zu gehen. Der 42-Jährige entgegnete laut Anklage: "Du kriegst gleich eine in die Fresse, wenn du nicht abhaust." Danach soll der Angeklagte, noch im Zimmer oder draußen auf dem Balkon, dem Mitbewohner zwei Faustschläge ins Gesicht verpasst haben, wodurch dieser keine Verletzungen davontrug, aber Schmerzen hatte.

Wenn nicht ein weiterer Mitbewohner, 41, dazwischengegangen wäre, "wäre vielleicht noch mehr passiert", mutmaßte der Geschädigte. Der 41-Jährige konnte sich in der Verhandlung an die Schläge des Angeklagten nicht mehr erinnern, sagte stattdessen, er selbst habe den Angeklagten geschlagen. Der Prozess wird fortgesetzt.

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