Neuerscheinung:Geschichtliche Tatsachen und literarische Fiktion

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Die Steinerne Brücke in Regensburg, 1945 kurz nach Kriegsende. Auf und an der Donau lagerten damals große Mengen Giftgas. (Foto: Stadt Regensburg/Bilddokumentation)

Der Isener Schriftsteller Leonhard M. Seidl stellt mit seinem aktuellen Buch "Tod unter der Steinernen Brücke" wieder seine besondere Fähigkeit unter Beweis, historische Ereignisse in einen mitreißenden Kriminalroman packen zu können.

Von Florian Tempel, Isen

Der Isener Schriftsteller Leonhard M. Seidl hat schon mehrmals unter Beweis gestellt, dass er ein Händchen dafür hat, fiktionale Kriminalgeschichten mit echten zu verbinden. Mit seinem neuesten Buch "Tod unter der Steinernen Brücke", das vor wenigen Tagen erschienen ist, stellt er seine Fähigkeit erneut unter Beweis. Sein zweiter Leo-Klemm-Krimi ist eine mitreißende Story, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit 1945 spielt. Und schon der Titel stellt klar, wo der hauptsächliche Schauplatz der mörderischen Handlung ist: Das Töten findet in der famosen Weltkulturerbe-Stadt Regensburg statt.

"Was mich interessiert, sind die Bruchstellen in der Geschichte, die Grenzsituationen und rechtlosen Zeiten", sagt Seidl. Dieses Interesse hat er in früheren Büchern bereits sehr gekonnt umgesetzt. In "Hundsgift" etwa sucht eine junge Frau während der Cholera-Epidemie des Jahres 1854 in München ihren Vater, um ihn zu töten. In "Novemberlicht" war der Hauptcharakter ein entwurzelter Mann, der in den Wirren nach dem Ende des Ersten Weltkriegs im revolutionären und umkämpften München nach den Mördern seiner Eltern suchte.

In seinem ersten Leo-Klemm-Krimi "Schwarzer Regen Rotes Blut" ging es mit dem Morden gerade mal fünf Tage nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Bayerischen Wald bei Zwiesel weiter. Die Hauptfigur Leo Klemm ist ein an Seele und Körper schwer verwundeter Polizist, der im Krieg seinen linken Arm und die Hoffnung auf persönlichen Frieden verloren hat. Das Leben hat für ihn weiterhin Tod und Bösartigkeiten aller Art im Angebot - immerhin aber auch Emmi, die für ihn nicht nur eine große Liebe, sondern auch die einzige Hoffnung auf ein neues Leben ist.

"Tod unter der Steinernen Brücke" ist der zweite Leo-Klemm-Krimi von Leonhard M. Seidl. (Foto: Gmeiner Verlag)

In "Tod unter der Steinernen Brücke" führt Seidl seine Leserschaft nun noch einmal zurück in die letzten Tage vor Kriegsende. Die US-Armee steht mit ihren Panzern vor Regensburg. Der Regensburger Gauleiter Ludwig Ruckdeschel - kein fiktionaler Charakter, sondern ein echter Nazi - gibt die zynische Parole aus, "nicht schwach sein, nicht feige werden, nicht kapitulieren", verdrückt sich selbst jedoch lieber ganz schnell. Allerdings erst, nachdem er gewissenlos die Hinrichtung des Dompredigers Johann Maier befohlen hat - weil der es gewagt hat, eine friedliche Übergabe der Stadt öffentlich anzusprechen.

Die Aufklärung des Ermordung des Dompredigers wird zur Aufgabe des traumatisierten Leo Klemm. Allerdings sind es keine normalen Ermittlungen. Klemm, den wir nach seinem ersten Einsatz im Bayerischen Wald in München als Fahnder auf den Schwarzmärkten der zerbombten Großstadt wiederfinden, wird zum Opfer einer intriganten Falle, die ihm sein widerlicher Vorgesetzter stellt. Er lässt Klemm gefälschte Lebensmittelkarten unterschieben, was diesen ins Gefängnis bringt. Um aus der Sache rauszukommen, gibt es für Leo Klemm nur eine Chance. Er wird in ein Gefängnis des US-Militärs in Regensburg eingeschleust, um im Kreise seiner Mitgefangenen den Aufenthaltsort des untergetauchten Gauleiters Ruckdeschel herauszufinden.

Der Schriftsteller Leonhard M. Seidl stammt aus Giesing und lebt seit vielen Jahren in Isen. (Foto: Hochwind/OH)

Im US-Militärknast geht es nicht nur unsanft zu - es ist lebensgefährlich. Ein Gerücht macht die Runde: Unter dem Gefängnis sollen sich massenweise Ampullen mit Giftgas befinden. Klemm steckt in der Falle. Flieht er, ist er seinen Job als Polizist definitiv los. Harrt er im Gefängnis aus, stirbt er womöglich einen üblen Tod. Die Sache mit dem Giftgas ist, genau wie viele andere Details, keine überdrehte Idee, sondern von Seidl in den Archiven der Stadt Regensburg akribisch recherchiert worden.

Das macht viel aus. Seidl gelingt es durch die Verbindung von geschichtlichen Tatsachen und literarischer Fiktion, menschliche und physische Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs eindrücklich darzustellen. Die Story ist dabei packend geschrieben und ein großes Lesevergnügen. Und so absurd es angesichts so vieler Scheußlichkeiten klingen mag: Hoffentlich geht es so weiter.

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